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Biel

Ein Start mit angezogener Handbremse

Vor einem halben Jahr ist das X-Project an den Rennweg gezogen. Betriebsleiterin Marisa Halter sieht viele Vorzüge im neuen Standort – bedauert aber auch, dass das Leben im Jugendkulturhaus noch nicht so richtig pulsiert.

Copyright: Peter Samuel Jaggi / Bieler Tagblatt

Carmen Stalder

Das X-Project hätte in den vergangenen Monaten einige Gründe zum Feiern gehabt. Im April vor einem Jahr stand die Party zum 20-Jahr-Jubiläum des Bieler Jugendkulturhauses an – sie musste jedoch wegen Corona abgesagt werden. Im September begann an der Aarbergstrasse 72 hinter dem Bahnhof das grosse Kisten-Packen. Doch auch ein Abschiedsfest vom langjährigen Daheim konnte nicht stattfinden. Seit Oktober schliesslich befindet sich die Institution in den neuen Räumen am Rennweg 62. Ein Einweihungsfest gab es jedoch aus den bekannten Gründen bisher nicht.

Das Jugendkulturhaus musste seinen Betrieb aufgrund der Pandemie immer wieder den neusten Regelungen anpassen. Aktuell ist es den Jugendlichen nicht erlaubt, sich in den Korridoren aufzuhalten, im Gebäude gilt Maskenpflicht und der Gemeinschaftsraum wurde gar nicht erst eingeweiht. Dennoch: Der Laden läuft, und die meisten der 27 Projekte haben ihre neuen Räume bezogen, wie sich bei einem Rundgang mit Betriebsleiterin Marisa Halter zeigt.

 

Bessere Infrastruktur

Dieser beginnt in den lichtdurchfluteten Sälen der Capsule Academy, in denen den Tänzerinnen und Breakdancern im Gegensatz zu früher weder Säulen noch ein Liftschacht im Weg stehen. In einer anderen Ecke des Gebäudes befindet sich der polyvalente Raum, der für Konzerte, Workshops oder Projektwochen vermietet werden soll. Auf dem Weg ins Untergeschoss tauchen die ersten mit Graffiti und Tags verzierten Wände auf. Zwei junge Männer, die in einem Musikstudio an neuen Beats feilen, sind auf dem Weg in eine Zigarettenpause. Hier im Keller sei es ein wenig wie im alten X-Project, sagt der eine. «Allerdings viel chilliger und sauberer – und es hat keine herumhängenden Leute.»

Die Sauberkeit ist ein Punkt, den auch Marisa Halter mehrfach erwähnt – etwa dann, wenn sie die Tür zu einer der Toiletten öffnet. «Alle freuen sich über die sauberen WCs», sagt sie. Nach der in die Jahre gekommenen Infrastruktur an der Aarbergstrasse sehnt sich definitiv niemand zurück. Hier gibt es nun endlich moderne technische Installationen, das Internet funktioniert im ganzen Haus und im Winter muss niemand frieren. Als weiteren Pluspunkt nennt Halter den Haupteingang: Hier gehen alle Nutzerinnen und Nutzer ein und aus, man begegnet sich und knüpft neue Kontakte. Am alten Standort dagegen gab es fünf Eingänge, was der Betriebsleitung den Überblick erschwerte.

 

Mehr Planungssicherheit

Erhielt das von der Stadt subventionierte Jugendkulturhaus zuletzt nur auf ein Jahr befristete Leistungsverträge, werden diese voraussichtlich ab 2023 auf vier Jahre ausgelegt. «Das gibt uns Planungssicherheit», sagt Halter. Am alten Ort bestand stets eine Hemmschwelle, wenn es um grössere Investitionen ging. Das hatte auch mit den jahrelang aufgeschobenen Umzugsplänen zu tun: 2014 wurde ein Standortwechsel erstmals zum Thema, da das Areal hinter dem Bahnhof im Entwicklungsgebiet des Masterplans der Stadt Biel liegt und irgendwann einer neuen Nutzung weichen soll. Nach mehreren Verschiebungen wurde im September 2019 der Entscheid gefällt, dass die Institution im Herbst des Folgejahres umziehen wird.

Für die Projektnutzenden sei das eine schwierige und emotionale Zeit gewesen, sagt Marisa Halter. «Das alte X-Project war für manche wie ein zweites Zuhause. Der Ort hat pulsiert und gelebt.» Auch in ihr hätten zwei Herzen geschlagen: Im neuen Standort sah sie einerseits eine riesige Chance, andererseits war die Zügelei mit Wehmut verbunden. Trotz kritischen Stimmen und einigen Unmutsbekundungen sei für den Trägerverein jedoch stets klar gewesen, dass ein Umzug besser sei, als am Ende mit leeren Händen dazustehen.

 

Rücksichtnahme gefordert

Im Vorfeld des Umzugs sorgte der neue Standort für Bedenken. Der Wechsel vom Bieler Bahnhof nach Mett erschien vielen als Einbusse. Die Betriebsleiterin sieht darin kein grosses Problem. So sehr ab vom Schuss sei das neue X-Project nun auch wieder nicht. Die Aufhebung der Buslinie 7 im Rahmen des Fahrplanwechsels sei dagegen nicht nachvollziehbar. Das Jugendkulturhaus wird seither nur noch halbstündlich von der Linie 72 angefahren. Im Winter hätten viele Eltern ihre Kinder per Auto in die Tanzkurse gebracht, sagt Halter. «Ich hoffe, dass sich das jetzt im Frühling ändert.»

Im Keller reihen sich Studios und Bandräume aneinander. Musikprojekte nehmen im X-Project über die Hälfte der verfügbaren Räume ein. In einem von ihnen probt der angehende Musikstudent Louis Waeber auf seiner Trompete. Mit dem neuen Übungslokal ist er zufrieden – bis auf die Schallisolierung: «Man hört alles voneinander und muss beim Proben Rücksicht aufeinander nehmen.» Allerdings falle aktuell fast mehr ins Gewicht, dass beim Betrieb des Jugendkulturhauses die Handbremse angezogen sei. «Es ist noch nicht das richtige X-Project», sagt Waeber.

Das empfindet auch Marisa Halter so. Die gesellige Haussitzung, an der sonst rund 50 Personen teilnehmen, konnte seit Monaten nicht stattfinden. Für die dreiköpfige Betriebsleitung, noch mehr aber für die jungen Erwachsenen, sei es schwierig, den Austausch untereinander zu pflegen. Entsprechend scheint die sonst im X-Project verbreitete Energie noch nicht so ganz am Rennweg angekommen zu sein.

Trotzdem war das X-Project in den vergangenen Monaten bereits mit einigen Beschwerden aus der Nachbarschaft konfrontiert. Dies, obwohl der Eingang bewusst nach hinten zu den Gleisen des Güterbahnhofs geht und die Nutzerinnen und Nutzer wiederholt zur Rücksichtnahme aufgerufen wurden. Marisa Halter sagt, dass man, sobald die Covid-19-Massnahmen dies zulassen, den Dialog mit der neuen Nachbarschaft suchen werde. Sie ist zuversichtlich, dass ein konfliktfreies Zusammenleben funktionieren kann. Schliesslich habe man an der Aarbergstrasse, in direkter Nachbarschaft zum Altersheim Residenz au Lac, nie grosse Probleme gehabt, im Gegenteil: «Mit gemeinsamen Projekten wurde der Austausch gepflegt», so Halter. Während der Büroöffnungszeiten (dienstags und donnerstags von 15 bis 19 Uhr) seien alle Anwohnenden und Interessierten zu einem Besuch vor Ort eingeladen. Sie hofft, dass der Tag der offenen Tür bald nachgeholt werden kann – damit das Leben im X-Project endlich richtig Fahrt aufnehmen kann.

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