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Biel

Bei Wind schwankt sein Arbeitsplatz

René Tschanz ist Chauffeur und Kranführer bei der Bieler Christen + Cie AG. Viel Zeit, um die Aussicht zu geniessen, hat der 58-Jährige aus Safnern allerdings nicht: Beim Kranen sind höchste Konzentration und präzises Arbeiten gefragt.

"Es liegt am Kranführer, ob die Arbeiter am Abend sagen, dass alles reibungslos abgelaufen ist", sagt René Tschanz. Bild: Yann Staffelbach
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Aufgezeichnet: Carmen Stalder

Einfach gesagt lautet meine Aufgabe als Kranführer, Material von A nach B zu kranen. Irgendjemand will etwas, und er will das an einem bestimmten Ort haben. Hier oberhalb der Tessenbergstrasse bin ich gerade dabei, für einen Gartenbauer Material nach unten zu befördern. Das Geländer ist steil und es hat keine Zufahrtswege, ohne Kran wäre es nicht möglich. Dieser Mobilbaukran ist viel breiter und schwerer als ein Lastwagen. Also musste ich vorgängig Bewilligungen einholen, damit ich überhaupt hierhin fahren durfte. Eigentlich ist die Strasse begrenzt auf 16 Tonnen, wir wiegen jedoch 48 Tonnen. Das ist schon ein ziemlicher Unterschied!

In meinem Beruf als Chauffeur und Kranführer muss ich gut fahren können und ein gutes Auge haben. Ich muss das Fahrzeug kennen und wissen, in welcher Situation es wie reagiert. Das lernt man mit der Zeit. Trotzdem kann es vorkommen, dass man irgendetwas touchiert – man ist nicht fehlerfrei. Der Strassenverkehr wird immer schwieriger, es gibt mehr Staus und mehr Zeitdruck.

Beim Kranen liegt meine Priorität darin, niemanden zu verletzen. Alles muss sicher ablaufen, es soll nichts passieren und nichts darf hinunterfallen. Gleichzeitig muss ich die Ware so schnell wie möglich von A nach B bringen. Die Kunden wollen schliesslich nicht für wenig Arbeit viel Geld zahlen. Je schneller ich arbeite, desto schwieriger wird es mit dem langen Seil: Wenn ich anhalte, beginnt es, hin- und herzuschwingen. Und wie soll ein Arbeiter unten die Kette greifen können, wenn sie wie ein Pendel schwingt?

Dementsprechend muss ich möglichst präzise fahren und genau am richtigen Punkt anhalten. Wenn ich ein Palett vom Boden heben will und mit der Laufkatze – das ist das Teil, das oben am Kran hin und her fährt – 10 oder 20 Zentimeter zu weit vorne oder hinten bin, beginnt das Gewicht zu pendeln. Wenn ich dagegen genau darüber bin, kann ich das Palett schön gerade nach oben ziehen. Es liegt am Kranführer, ob die Arbeiter am Abend sagen, dass alles reibungslos abgelaufen ist. Das hat auch mit Berufsstolz zu tun.

Es ist schon speziell, da oben im «Chübu» – so nenne ich die Kabine – zu arbeiten. Man sollte nicht zu fest darüber nachdenken, was alles passieren könnte, da macht man sich nur unnötigen Stress. Vertrauen in die Maschinen zu haben, ist massgebend. Klar, wenn man zum ersten Mal nach oben geht, ist einem schon etwas mulmig zumute. Alles ist neu, jedes Geräusch und jede Bewegung in der Kabine kann einem Angst einjagen. Bei diesem Kran hier ist der Hauptturm 30 Meter hoch, der schwankt nicht allzu heftig. Danach kommt der Ausleger, der bis auf 45 Meter ausgefahren werden kann. Dieses zweite Stück tendiert dazu, sich stärker zu bewegen. Es kommt auch immer darauf an, wie gut sie unten das Material an- und abhängen. Hier oben spüre ich jedes Kilo.

Ab einer Windgeschwindigkeit von 50 km/h geht bei mir oben die Sturmwarnung los. Bei starkem Wind ist es viel schwieriger, zu arbeiten. Wenn eine Böe kommt, muss ich versuchen, sie auszugleichen. Meine Konzentration wird dann stärker beansprucht als an einem ruhigen Tag.

Kürzlich hatte ich Böenspitzen von 48 km/h – und das inmitten von Häusern. Da war das Kranen wirklich schwierig, es ging ans Limit. Im schlimmsten Fall kann ein Kran umkippen. Das ist mir bei meinem früheren Arbeitgeber auch schon passiert: Bei einem Lastwagenkran hat eine der Stützen nachgegeben, weil der Boden durch die Vibration aufgeweicht wurde. Den Kran hat es auf ein Gerüst gelegt, das Fahrzeug war ganz schräg. Am Ende war es gar keine so grosse Sache, ich hatte Glück im Unglück: Der Kran erlitt wegen zwei zerdrückten Blechen einen Schaden von 900 Franken. Mit einem anderen Kran konnten wir ihn wieder aufstellen – und nach einer Stunde habe ich weitergearbeitet.

An meinem Beruf gefallen mir die Maschinen und ihre Bewegungen. Es ist spannend, was man damit alles erreichen kann. Ich mag auch den Umgang mit den Kollegen. Die Aussicht, die ich hier oben habe, ist sensationell. Bei gewissen Arbeiten kommt es vor, dass ich mal eine Viertelstunde warten muss. Da kann ich mir die Zeit vertreiben, indem ich herumschaue. Aber am Ende wollen die Kunden den Auftrag so schnell wie möglich erledigt haben, es geht schliesslich um viel Geld. Wenn ich zu viel herumträumen würde, hätte niemand Freude.

Ursprünglich habe ich eine Schreinerlehre absolviert. Nach dem Militär war ich dann als Lastwagenfahrer unterwegs. Davon war ich schon immer fasziniert: Du kommst überall hin, du kannst ins Wallis, ins Tessin – und das gratis während der Arbeitszeit. Einmal wurde ich bei einem Auftrag gefragt, ob ich mit einem Kran umgehen könne. Ich durfte dann diesen kleinen Kran bedienen, und das hat mir gefallen. Als ich daraufhin bei einem Unternehmen in Grenchen einen Lastwagen mit Kran herumstehen sah, habe ich gefragt, ob sie einen Chauffeur brauchen. Das taten sie – und ich habe während 32 Jahren für sie gearbeitet. Letzten Juni habe ich dann zur Firma Christen + Cie. AG gewechselt.

In all dieser Zeit sind immer mehr Auflagen dazugekommen. Die Lastwagen müssen jährlich geprüft werden, ebenso die Kräne. Vor sagen wir 20 Jahren konnte man einfach in die Kabine sitzen und loslegen, eine Kranprüfung musste man nicht ablegen. Auch unterwegs gibt es viele Vorschriften, mit den grossen Fahrzeugen dürfen wir nicht überall durch fahren. Die vielen Kreisel machen uns Chauffeuren das Leben schwer. Meistens sind wir zudem zu Zeiten unterwegs, in denen es viel Verkehr hat. Es ist eine verzwickte Geschichte.

Nicht zuletzt haben wir mit intoleranten Leuten zu kämpfen. Ich stehe eigentlich jeden Tag im Weg: Wo ich auch hinfahre, wo ich auch stehe – ich stehe im Weg. Sei es für ein Auto oder einen Fussgänger, auf der Autobahn oder wo auch immer. Da gilt es, den Dialog zu suchen. Ich habe gelernt, dass es nichts nützt, zu streiten.

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