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Biel

Vom Rausch getrieben

Raub, Gewalt gegen Behörden, Drogendelikte: Das sind nur einige der Anklagepunkte gegen einen heute 28-Jährigen. Vor dem Regionalgericht entschuldigt er sich – und gibt unter anderem dem Alkohol die Schuld.

Staatsanwalt Peter Schmid fordert eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren. Matthias Käser/a

Hannah Frei


Wären alle Privatkläger am ersten Verhandlungstag gestern erschienen, hätte man sie coronabedingt auf mehrere Gruppen aufteilen müssen. Es sind insgesamt 26 Personen. Auch die Zahl der Straftatbestände ist erheblich: 13 sind es insgesamt, darunter versuchter Raub, Raufhandel, Drohung gegen Behörden und Beamte und qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz – um nur einige zu nennen. Begangen worden seien die Delikte im Zeitraum zwischen 2014 und Anfang 2020.

Unter den Geschädigten und Opfern befinden sich die Stadt Biel, 18 Polizistinnen und Polizisten sowie zwei ehemalige Angestellte des heute geschlossenen Bieler Ladens Bonadei an der Dufourstrasse.


Dort soll der heute 28-jährige Bieler seine schwerste Tat begangen haben: Im Oktober 2014 hat er gemeinsam mit einem Bekannten, wie der Beschuldigte seinen Komplizen nennt, versucht, mit Sturmmasken über dem Kopf den Bonadei-Laden auszurauben. Der Beschuldigte war mit einem Teleskop-Schlagstock, sein Komplize mit einer Pistole bewaffnet. Mehrmals soll er die beiden Angestellten mit seinem Schlagstock geschlagen haben, so die Anklage. Als die beiden bemerkten, dass sie beobachtet wurden, ergriffen sie die Flucht – ohne Geld.


Eine Tat, die nicht nur für die Beschuldigten schwere Folgen hat: Einer der Angestellten kämpft bis heute mit psychischen Problemen. «Ich dachte, ich müsse sterben. Seit dem Tag habe ich immer noch Angst, wenn ich das Haus verlasse», sagte er.


18 Polizisten blieben fern
Der ehemalige Bonadei-Angestellte war der einzige Privatkläger, der gestern vor dem Regionalgericht aufgetaucht ist, vertreten durch Rechtsanwältin Franziska Marti. Die 18 Polizistinnen und Polizisten haben sich laut Gerichtspräsidentin Elisabeth Ochsner aufgrund der besonderen Lage wegen Corona dispensieren lassen.
Sein gesundheitlicher Zustand nach der Tat habe dazu geführt, dass er die Stelle verloren habe und bis heute nicht arbeiten könne, sagte der Privatkläger. Bereits vor dem versuchten Überfall wurde der Angestellte aufgrund einer Genkrankheit von der Invalidenversicherung zu 50 Prozent unterstützt. Heute wird er das zu 100 Prozent.


Der Beschuldigte gestand diese Tat und gab sich reuig. Die Details versuchte er jedoch zu beschönigen. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, weshalb er ein Schlagstock dabei hatte. Die Tat sei spontan geschehen, also nicht geplant gewesen. Den Schlagstock habe er immer in seiner Tasche gehabt, zum Selbstschutz. Und er wisse auch nicht mehr genau, ob er den Privatkläger überhaupt geschlagen habe. Dass dem so gewesen sein muss, dafür sprechen sowohl die Aussage des Privatklägers als auch der ärztliche Befund kurz nach der Tat. Festgestellt wurden Prellungen und Rötungen am Oberschenkel.


Dass er sich an vieles nicht mehr genau erinnere, hänge mit seinem damals exzessiven Alkoholkonsum zusammen. Er sei bei praktisch all seinen Taten betrunken gewesen. «Wenn ich betrunken bin, habe ich Wahrnehmungsstörungen», sagte er.


Alkohol spielt während der gesamten Verhandlung eine zentrale Rolle. Beim Anklagepunkt der mehrfachen Gewaltausübung und Drohung gegen Behörden und Beamte gesteht der Beschuldigte: «Heute bin ich mir bewusst, dass ich Alkoholiker bin und dass dies eine Krankheit ist. Ich möchte mich bei allen Polizisten entschuldigen.» Unter anderem dafür, dass er am Bieler Bahnhof stark alkoholisiert von einer Polizeipatrouille angehalten wurde, er die Polizisten daraufhin tätlich und verbal angegriffen und mit den Füssen wild um sich getreten hat. Sein Verhalten habe er auch nach dem Anlegen der Hand- und Fussfesseln nicht geändert.


Er hat Entzug hinter sich
Vor Kurzem hat der Beschuldigte jedoch einen Entzug in einer Klinik gemacht und sagt, er sei heute trocken. Beim Anklagepunkt des qualifizierten Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz sei jedoch eine andere Droge der Auslöser gewesen: Mindestens 20 Kilogramm Marihuana soll er gemeinsam mit einem Kollegen verkauft und damit einen Umsatz um die 170000 Franken generiert haben. Dem widerspricht der Angeklagte. Er habe lediglich gedealt, um seinen Eigenkonsum zu finanzieren. 20 Kilogramm seien es bestimmt nicht gewesen. Wie viel genau, wisse er nicht. «Ich war ein Laufbursche. Im Rechnen war ich nie gut», sagte er.


Dass es sich um mindestens 20 Kilogramm Marihuana gehandelt haben muss, hat der Beschuldigte in einer früheren Befragung zwar gestanden. Aber dies nur, weil ihm die Polizei das damals in den Mund gelegt habe, so der Angeklagte.


Für das Strafmass ist die Menge des Rauschmittels zentral: Wird mehr als 100000 Franken Umsatz generiert, gilt es als schwerer Fall. Laut Staatsanwalt Peter Schmid sind das Drogendelikt und der Raub die schwersten Taten auf der Anklageliste. Einige der anderen Anklagepunkte wurden fallengelassen oder sind sogar verjährt. Für die restlichen fordert Schmid eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren, unbedingt. Er ist zwar auch der Meinung, dass der Alkohol bei den Taten eine grosse Rolle gespielt haben muss. «Aber die Gedächtnislücken, ob sie nun existieren oder nicht, benutzt er als Joker», so Schmid. Immer dann, wenn er nicht mehr weiter wisse und sich nicht rausreden könne.


Verteidiger Markus Jordi fordert hingegen nur eine bedingte Haftstrafe von 15 Monaten. Strafminderung sei unter anderem wegen seiner Kooperation und den Geständnissen zwingend. «Und nun, nach dem Entzug, hat mein Klient gute Aussichten für die Zukunft», sagt Jordi. Das Urteil wird morgen verkündet.

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