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Standpunkt

Die Schweiz hängt sich ab

Mit dem gegenwärtig herrschenden Behörden- und Politikmisstrauen in Teilen der Bevölkerung, das wegen der Coronapolitik zugenommen hat, ist dieses Abstimmungsresultat allein nicht zu erklären.

Tobias Graden

Tobias Graden


Dazu fallen die gestrigen Resultate zu differenziert aus: Sowohl das Covid-19-Gesetz als auch das Terrorgesetz haben zwar nicht überwältigende, aber doch klare Mehrheiten gefunden. Vielmehr scheint die simple Botschaft der Gegner verfangen zu haben. Zwar war dieses «Achtung, die wollen dem unschuldigen Bürger ans Portemonnaie» mit teils falschen Zahlen gespickt und es stimmte für die grosse Mehrheit der Menschen nicht einmal, aber als Message war es überaus wirksam. Und das lässt tief blicken.

Das Signal, das die Schweiz aussendet, ist einerseits unglaublich egoistisch. Wenn nicht einmal eines der reichsten Länder der Welt, das zudem so gut durch die Coronakrise gekommen ist wie kaum ein anderes, gewillt ist, seinen Teil zur Lösung des Problems beizutragen, das es – pro Kopf gerechnet – zu einem guten Teil mitverursacht hat: Wer soll dann vorangehen?

Anderseits ist diese Haltung unglaublich kurzsichtig. Sie zeigt nicht nur, dass eine Mehrheit nicht weiterdenken mag als bis zum eigenen Geldbeutel, sie zeigt auch, dass diese nicht fähig ist, zwischen Kosten und Investitionen zu unterscheiden. Sie gewichtet das kurzfristige Risiko höherer Kosten höher 
als die langfristigen Chancen, die eine rechtzeitige Weichenstellung bietet. Denn die Welt wird sich weiter drehen, und 
die Richtung ist klar: hin zu mehr Klimagerechtigkeit, hin zu zukunftsträchtigen Technologien.

In der Politik zeigt sich dies beispielsweise mit der Ankündigung der USA, zum Pariser Abkommen zurückzukehren. Es zeigt sich auf juristischer Ebene, wo beispielsweise kürzlich der Ölmulti Shell durch ein Gericht in den Niederlanden zu einer deutlichen Senkung seiner CO2-Emissionen verpflichtet wurde, mit der Begründung, diese fügten dem Land grossen Schaden zu.

Es zeigt sich aber auch in der Wirtschaft selber: Die Mehrheit der Aktionäre der Ölkonzerne Exxon Mobil und Chevron setzten kürzlich gegen den Willen des Verwaltungsrats umweltfreundlichere Anliegen durch. Und dass sich das fossile Zeitalter dem Ende zuneigt, zeigt sich auch in der Tendenz der schwindenden Finanzinvestitionen in jenen Teil der Wirtschaft.

Wenn die Schweiz sich dieser Entwicklung verschliessen will, hängt sie sich schlicht ab. Den Pioniergeist, den sie bei der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts zeigte und dem sie ihren heutigen Wohlstand verdankt, lässt sie, offenbar satt geworden, vermissen.

Es ist ein Manko, das zuvorderst an der Landesregierung festzumachen ist und das sich nicht nur in der Klimapolitik zeigt. In der Europapolitik wagte es der Bundesrat nicht einmal, sein Verhandlungsergebnis zum Rahmenabkommen dem Volk vorzulegen, sondern zog die grosse Ratlosigkeit und einen drohenden jahrelangen Stillstand vor. Führungswillen suchte man auch beim CO-Gesetz praktisch vergebens, obwohl dieses in den Parteien und bei Verbänden eigentlich breite Unterstützung fand. Aber wo war die Kampagne, welche die Chancen betonte? Eine Message, die dem kleinkrämerischen Geist der Gegner eine Lust auf Zukunft entgegensetzte?

Es ist völlig illusorisch zu glauben, dass uns diese Abwehrhaltung nichts kosten wird. Was Europa betrifft, so zeichnen sich Erschwernisse beim Marktzugang bereits ab, und sie treffen gerade auch die exportorientierte Region Biel-Seeland (das BT berichtete). Auch in Sachen CO-Reduktion dürfte der internationale Druck in wenigen Jahren ansteigen und für die Schweiz Kosten verursachen. Ganz zu schweigen von den Kosten, die der Klimawandel überhaupt mit sich bringt.

Es ist höchste Zeit, dass die Schweiz auch wieder die Chancen dieser globalen Entwicklungen sieht und ergreifen will. Wenn wir ständig nur so egoistisch und ängstlich zugleich auf die Wahrung unseres Wohlstands achten, schwindet er von alleine.

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