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Analyse

Der Druck auf die Bauern wächst

Die Agrarinitiativen wurden abgelehnt. Das Verhältnis zwischen den Bauern und dem Rest des Volkes hat sich verändert. Für die kommende Massentierhaltungsinitiative kann dies entscheidend sein.

Der Blick auf die Landwirtschaft ändert sich, auch bei der Tierhaltung: Alpabzug im Meiental am Sustenpass. Bild: Keystone

Salome Müller

Der Bauernverband hat wieder gesiegt. Die Frage ist: War es eines der letzten Male? Die Schweizer Stimmberechtigten haben die zwei Landwirtschaftsvorlagen abgelehnt: Sie sagten mit 60,7Prozent Nein zur Trinkwasser- und mit 60,6 Prozent Nein zur Pestizidinitiative. Aber der Abstimmungskampf wurde heftig geführt, es gab Vandalenakte, Hasstiraden, Morddrohungen. Es war, als ginge es bei den Agrarinitiativen um alles. Und im Grunde tat es dies auch.
Karel Ziehli, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Uni Bern, sagt: «Die Trinkwasser- und Pestizidinitiative sind ein weiteres Indiz dafür, dass sich der Gesellschaftsvertrag zwischen den Bauern und dem Rest der Schweizer Bevölkerung verändert.»

Die Idee des Gesellschaftsvertrags lautet: Die Schweiz unterstützt die Bauern, und die Bauern ernähren die Bevölkerung. Am 1. Januar 1954 trat das Bundesgesetz «Förderung der Landwirtschaft und Erhaltung des Bauernstandes» in Kraft, seit 2017 ist die Ernährungssicherheit in der Verfassung verankert.

In den 90er-Jahren erfolgten mehrere Reformen. Direktzahlungen an die Bauern wurden mit ökologischen Leistungsnachweisen verknüpft. Laut Karel Ziehli war dies die erste wichtige Veränderung im Gesellschaftsvertrag. Die Trinkwasser- und Pestizidinitiative setzten diesen Trend fort.

Umweltverbände und Personen aus der Zivilbevölkerung wollten mit den Initiativen schärfere Regeln für die Landwirtschaft festlegen. Die Bevölkerung formulierte Ansprüche: Das Trinkwasser sollte sauber sein, das Vieh von eigenem Futter ernährt werden, die Produktion ohne Pestizide auskommen. Die Böden sollten nachhaltig genutzt, das Klima geschützt werden.

Forderungen an die Bauern
Die eine Partei des Gesellschaftsvertrags hat angefangen, sich neu zu definieren. Jener Teil der Bevölkerung, der im urbanen Gebiet lebt und den Agrarinitiativen zugestimmt hat, versteht sich zunehmend als Kundin. Für die andere Partei des Vertrags, die Bauern, hat diese Veränderung einen grossen Einfluss. Denn die Kundin will mitbestimmen.

Obwohl beide Initiativen von einer Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung abgelehnt wurden, sagt Karel Ziehli: «Für den Bauernverband könnte es heikel werden, wenn er jetzt wieder sagt, dass man ihn machen lassen solle, weil er es besser wisse.»

Die Nachbefragung von Tamedia und «20 Minuten» zeigt: Zum Teil wollen sogar jene Personen eine ökologischere Landwirtschaft, die zweimal Nein gestimmt haben. 12 Prozent von ihnen finden, die Bauern sollten «noch deutlich mehr» tun, für 25 Prozent waren die Vorlagen zu extrem, sie teilen aber das Anliegen der Initiantinnen.

Der Druck auf die Bauern wächst. In der Bevölkerung, im Parlament. Es stehen neue Volksinitiativen an, die Unterschriften sind gesammelt. Die Massentierhaltungsinitiative, die Biodiversitätsinitiative, die Landschaftsinitiative, die Gletscherinitiative: Alle tangieren die Landwirtschaft.

Die Massentierhaltungsinitiative wird im Herbst im Parlament behandelt. Sie fordert mehr Fläche und Auslauf für die Tiere – eine Tierhaltung, die dem Standard von Bio Suisse entspricht. Würde sie angenommen, müssten viele Hühner- und Schweinemastbetriebe schliessen oder den Tierbestand stark reduzieren. Es geht erneut um eine grundsätzliche Frage: Welche Landwirtschaft wollen wir?

Der Bundesrat und das Parlament haben zu all den hängigen Initiativen einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag formuliert. Bei der Trinkwasser- und Pestizidinitiative hatte ein solcher noch gefehlt.

Politikwissenschaftler Karel Ziehli sagt, die Politik habe erkannt, dass Umweltthemen wichtig geworden seien. Und sie habe gemerkt, dass sie auf den Druck aus der Bevölkerung reagieren muss. Die Umweltverbände seien ernst zu nehmende Mitspieler geworden, die es schafften, viele Leute für ihre Anliegen zu mobilisieren. Ziehli sagt: «Die Politik muss zeigen, dass sie für Veränderungen Hand bietet.»

Reizthema Tierschutz
Der Bundesrat gab vor wenigen Wochen bekannt, was er der Massentierhaltungsinitiative entgegensetzen will: Das Wohlergehen für alle Tiere soll als allgemeiner Grundsatz in der Verfassung verankert werden. Nutztiere sollten tierfreundlich untergebracht werden, regelmässig Auslauf bekommen und schonend geschlachtet werden. Die Position des Bauernverbands ist bereits klar: Er sagt Nein zur Massentierhaltungsinitiative. Und Nein zum Gegenvorschlag.

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