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Verbrechen

«Sei brav, sonst holt dich der Deubelbeiss!»

Mit Ernst Deubelbeiss und Kurt Schürmann traten 1951 die ersten Schweizer Gangster auf den Plan: Sie entführten und erschossen einen Bankier – und beendeten einen misslungenen Postraub mit einer Schiesserei unerhörten Ausmasses.

Ernst Deubelbeiss avancierte nach seinen Taten vor allem wegen seines Aussehens und Namens zum Kinderschreck. Bild: Keystone
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Irene Widmer/sda

Dass Ernst Deubelbeiss zum Kinderschreck avancierte, lag wohl auch am Namen: Ein Teufelbiss eignet sich nun mal besser zum Bösewicht als ein Scheuermann. Dabei war eigentlich Kurt Schürmann der brutalere: Er hatte in der Fremdenlegion den Umgang mit Waffen erlernt und er war es, der den Bankier Armin Bannwart erschoss.

Doch im Gegensatz zum milchgesichtigen Schürmann hatte Deubelbeiss eine «Verbrechervisage». Ein Gerichtsgutachter attestierte ihm ein «schweres Kinn», das «einen pathologischen und brutalen Charakter» verriet. Seine Vermieterin lobte ihn dagegen als sauberen Mieter, der pünktlich den Zins ablieferte. Aber «gschpässig» sei er schon gewesen: Er machte Yoga und ernährte sich vegetarisch. Zehn Tuben gezuckerte Kondensmilch habe er in der Schublade gehabt!

Deubelbeiss, der als Hauswart in einer Forschungsanstalt Zugang zu einer Werkstatt hatte, war für die Ausrüstung des Gangsterduos zuständig. Er sägte die Läufe der Maschinengewehre ab, damit man sie unter den Mänteln verstecken konnte. Ausserdem malte er Magazine einseitig an, damit man sie im Dunkeln nicht falsch einsetzte – eine Anregung, die das Zürcher Polizeicorps dankbar aufnahm.

Kennengelernt hatten sich die beiden in der Waadtländer Strafanstalt Bochuz, wo sie wegen Vermögensdelikten einsassen. Beide waren Mitglieder in der Partei der Arbeit gewesen und fabulierten davon, eine revolutionäre Untergrundpartei zu gründen zum Zwecke einer gerechten Gesellschaft.

 

Warum redet der deutsch?

Zwecks Bewaffnung ihres nicht existenten revolutionären Stosstrupps räumten Deubelbeiss und Schürmann im Sommer 1951 ein Munitionshäuschen auf dem Hönggerberg aus: 15 Maschinengewehre und fast 10 000 Schuss Munition.

Das Kapital zur Parteigründung wollte man in der Privatbank Winterstein an der Zürcher Talackerstrasse «abheben». Zu diesem Zweck wurde der Teilhaber der Bank, Armin Bannwart, am 4. Dezember 1951 vor seiner Villa in Zollikon entführt. Doch ausgerechnet an diesem Tag hatte Bannwart den Tresorschlüssel nicht dabei. Also zwang ihn das Ganovenduo, seinen Prokuristen Züllig von einer Telefonzelle aus aufzubieten, um den Schlüssel zur Bank zu bringen.

Züllig kam das seltsam vor und er machte einen Kontrollanruf bei Bannwart daheim. Frau Bannwart, eine Westschweizerin, teilte Zülligs Sorge: Auch sie hatte einen Anruf von ihrem Mann bekommen, doch anders als sonst sprach er mit ihr deutsch statt französisch. Züllig alarmierte die Polizei und liess sich von einem Detektiv zur Bank begleiten. Als die Gangster die beiden sahen, flüchteten sie ins Reppischtal, wo Schürmann Bannwart erschoss.

 

Chicago im Stumpenland

Den nächsten Coup des Paars, den Postraub in Reinach, nannte eine Zeitung «Chicago im Stumpenland» – es war freilich eher Slapstick als Thriller. Als erstes war der Bolzenschneider zu schwach für das Fenstergitter und dieses musste aufgeschweisst werden. Obwohl weithin sichtbar, fiel das zu nachtschlafender Stunde niemandem auf. Deubelbeiss wunderte sich später, dass es reichte, einen einzigen Gitterstab zu entfernen, um hineinzukommen. «Da waren Sie ja auch noch Vegetarier und schlank», meinte der Richter.

Deubelbeiss hatte auf der Arbeit ein Gestell konstruiert, auf das man Blachen als Sichtschutz hängen konnte. Doch auf der Fahrt waren die Blachen gefroren und liessen sich nicht drapieren. Briefträger-Regenmäntel mussten als Ersatz herhalten.

Das alles ging nicht geräuschlos vonstatten. Gegen drei Uhr weckte in der Wohnung über der Bank Frau Huber ihren Gatten Traugott, weil sie etwas Verdächtiges hörte. Huber rief den Dorfpolizisten Max Ammann an, der sich stehenden Fusses aufs Velo schwang.

 

Pyjama-Held Huber

Bei der Post angekommen winkte der Gefreite Ammann den Versicherungsvertreter Huber vom Balkon herunter, drückte ihm seine Dienstpistole in die Hand und schlich zum Hintereingang. Schürmann sah einen Schatten vorbeihuschen und als er aus dem Fenster schaute, blickte er direkt ins Gesicht des Polizisten. Schleunigst wurde zusammengepackt. Als Schürmann aus dem Haus trat, drückte Huber ab. Sein Schuss wurde sofort mit einer Salve aus Deubelbeiss’ Maschinenpistole beantwortet.

Als Schürmann ins Fluchtauto hechtete, wurde er an der Hüfte getroffen und fiel auf die Handbremse, worauf das Auto langsam davonrollte. Deubelbeiss ballerte weiter, während er hinter dem Auto herrannte. 108 Patronenhülsen wurden schliesslich vor der Post Reinach eingesammelt. Aber Deubelbeiss und Schürmann waren noch einmal davongekommen.

 

Das verräterische Beret

Fahndungsaufrufe in Zeitungen und Radio setzten die Schweizer Bevölkerung in einen nie dagewesenen Alarmzustand. Der entscheidende Hinweis kam dann vom Chemiker Robert Staub. Dem fiel auf, dass Deubelbeiss seine geliebte Baskenmütze nicht mehr trug, ausgerechnet, seit nach einem Räuber mit Beret gefahndet wurde. Ausserdem hatte der Abwart am Abend vor der Schiesserei die Heizung nicht auf Nachtbetrieb umgestellt und war am anderen Morgen zu spät zur Arbeit erschienen. Staub schloss messerscharf: Der muss am Abend schon gewusst haben, dass er am nächsten Tag nicht früh genug da sein würde, um auf Tagbetrieb umzuschalten. Die Falle schnappte knapp drei Wochen nach dem missglückten Postraub zu, Deubelbeiss und Schürmann wurden am 11. Februar 1952 verhaftet, ein Jahr später begann der Prozess. Es war ein beispielloses Happening: Das Publikum stand schon ab fünf Uhr morgens Schlange. Und als das Gericht in Reinach den Tatort besichtigte, erhielten die Kinder des Dorfes sogar schulfrei.

 

Der brave Kinderschreck

Beide Täter erhielten lebenslänglich für je über 50 Verbrechen, die meisten harmloser Natur. Der milchgesichtige Schürmann wurde in der Strafanstalt pfleglich behandelt, durfte eine Schreiner- und eine Elektrikerlehre machen und wurde vom Anstaltspriester zum Messdiener befördert. 17 Jahre nach dem Urteil kam er frei. Er heiratete, hatte Kinder und war ein geachtetes Mitglied seiner Gemeinde.

Deubelbeiss, derjenige mit dem «brutalen» Kinn, wurde im Zuchthaus gepiesackt. Er sass zehn Jahre in Einzelhaft, von Lehre oder Therapie keine Rede. Immerhin scheint er Malutensilien bekommen zu haben: Letztes Jahr wurde eine mit «Ernst Deubelbeiss 1955» signierte Seelandschaft im Auktionshaus Zeller in Lindau am Bodensee versteigert.

Das Malen hat wohl nicht gereicht, um Deubelbeiss’ angestaute Wut zu kanalisieren: 1960 ging er dem Anstaltsdirektor Emil Meyer an die Gurgel. Deshalb wurde er erst 1978 auf freien Fuss gesetzt. Deubelbeiss änderte seinen Namen in Ernst Schmid und lebte noch 27 Jahre brav und unbescholten in Oerlikon. Im Interview mit dem «Beobachter» freute er sich darüber, dass der Gutachter, der ihn als unverbesserlichen Asozialen bezeichnet hatte, nicht Recht behielt.

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