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Tiergeschichten

Im Berner Jura, wo alten Pferden Ehre erwiesen wird

1958 wurde die Stiftung für das Pferd in Le Roselet im Kanton Jura gegründet. Seither ist die Stiftung stetig gewachsen und unterhält bald vier Stationen. Eine davon ist auf dem Jeanbrenin im Berner Jura. Dort leben 35 Pferde und Ponys ein Leben, das jener in freier Natur nahe kommt.

Beatrice Michel und Jonathan Gindrat mit Santos, der jeweils die Neulinge in die Herdengemeinschaft einführt. Matthias Käser
  • Dossier
von Brigitte Jeckelmann
Sie heissen Coeur d’Espoir, Lillefot, Santos, Angélique, Mister Lou, Rino, Robin, Shandy und Vagabond. Die Rede ist von Pferden, die ihren Lebensabend in Le Roselet, der Stiftung für das Pferd verbringen dürfen. Rund 180 Pferde, Esel und Ponys im Alter zwischen 20 und 35 Jahren leben dank der Stiftung in den Weiten des Juras. Sie besteht aus bisher drei Standorten in Le Roselet bei Les Breuleux, Maison Rouge bei Les Bois und Le Jeanbrenin auf der Passhöhe zwischen Tramelan und Corgémont im Berner Jura. Bald soll eine vierte Station für rund 20 weitere Pferde dazukommen. Denn die Stiftung platzt aus allen Nähten, die Nachfrage übersteigt die freien Plätze bei Weitem. Auf dem Jeanbrenin, der kleinsten Station, leben 35 Tiere. Jedes von ihnen hat eine Geschichte - Beatrice Michel und Jonathan Gindrat kennen sie alle. Beatrice Michel ist Zoologin und Präsidentin des Stiftungsrats, Jonathan Gindrat und seine Frau leben mit ihrem Kind auf dem Hof und sorgen für die Tiere. 
Michel und Gindrat stehen auf dem Allwetterplatz inmitten der Herde von Braunen, Füchsen, Schimmeln, Rappen und Schecken. Hier oben auf über tausend Metern Höhe weht ein deutlich rauerer Wind als unten in der Stadt. Den Pferden ist es egal, sie haben ein dichtes Fell, das sie schützt, einen Stall mit geräumigen Boxen für die Nacht, einen Unterstand auf dem Allwetterplatz - und natürlich riesengrosse Weiden mit Gräsern und Kräutern. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie umsorgt, gehegt und gepflegt werden, obschon sie ihren Besitzerinnen und Besitzern nicht mehr als Reit-, Fahr-,Therapie-, Freizeit-, oder Sportpferde dienen können. Nutzlos sind sie deswegen noch lange nicht. Beatrice Michel lässt ihren Blick über die Tiere schweifen. Manchen von ihnen ist das Alter anzusehen. Das Fell über den Augen ist grau, der Rücken eingesunken. Es geht eine Ruhe von den Tieren aus, die beeindruckt und sich auf den Besucher überträgt. Ihre dunklen Augen scheinen in die Unendlichkeit zu blicken. «Es kommen viele ältere Besucherinnen und Besucher her, die sich durch die Pferde getröstet fühlen», sagt Beatrice Michel. Sie spüren: Hier wird das Leben geachtet, hier darf man Pferd sein, Mensch sein. Einfach leben um des Lebens willen. 
 
Hans Schwarz, der Gründer
Das Leben achten, dem Kameraden Pferd Ehre für die geleisteten Dienste erweisen - das war seinerzeit das Anliegen von Hans Schwarz, dem Gründer der Stiftung. 1958 entstand durch seine Initiative Le Roselet. Schwarz, glühender Pferdefreund, Oberstleutnant in der Armee und Journalist, der sich traute, offen gegen die Nationalsozialisten Kritik zu üben, konnte nicht mitansehen, wie manche Menschen Pferde einfach beim Schlachter entsorgten. Schwarz war bekannt für seine abenteuerlichen Distanzritte. So zog er etwa zu Pferd auf den Spuren der Kreuzritter über Wien, Budapest, Bukarest bis nach Istanbul und durch den Balkan wieder zurück. Ein anderer Ritt führte ihn nach Waterloo. Seine Reiseberichte und viele andere Geschichten hat er in seinem eigenen Buchverlag veröffentlicht. Heute sind sie auf www.hans-schwarz.ch nachzulesen. 
Hans Schwarz starb 1965, sein Geist hallt bis heute nach. Immer mehr Pferdebesitzer hierzulande möchten ihren Tieren im Alter ein freies Leben ermöglichen. In der engen Schweiz ist das nicht so einfach. Hans Schwarz hat nicht zufällig den Jura für seine Stiftung ausgewählt, dort, wo es fast unendliche Weiden gibt. 
Bevor die Pferde auf dem Jeanbrenin angekommen sind, haben sie Unterschiedliches erlebt. Teils sind es tragische Geschichten, aber mit einem Happy End. Wie zum Beispiel jene von Angélique, der edlen Zuchtstute. Sie geriet in die Hände einer angeblichen Tierfreundin, die Pferde hortete. Letztlich besass die Frau dem Bericht von Beatrice Michel zufolge 60 Tiere, die in erbärmlichem Zustand waren, ein Fall für den Tierschutz. Angélique sei halb verhungert gewesen, erinnern sich Michel und Gindrat. Heute geht es ihr gut, sie ist wohlgenährt, ihr Fell glänzt und sie freut sich ihres Lebens an der Seite der beiden grossen Braunen Hikali und Dandy, «ihre besten Freunde», sagt die Zoologin. Oder Mister Lou. Der Schimmel gehörte einer Frau, sie wurde psychisch krank und konnte sich nicht mehr um ihn kümmern. Die Sozialbehörde wandte sich an die Stiftung, die ihn übernommen hat. Lillefot, der Forellenschimmel, eine Mischung zwischen Connemarapony und Halbblut, feierte einst mit seiner Reiterin internationale Erfolge im Militarysport. 
 
Santos, der Freibergerfuchs, war ein Familienpferd. Sein ausgeglichener, freundlicher Charakter prädestiniert ihn zum «Türöffner» für Pferde, die neu zur Gruppe auf dem Jeanbrenin stossen. Das muss ganz behutsam geschehen. Jonathan Gindrat erklärt, dass er Neulinge immer erst mit Santos auf einer separaten, von der übrigen Herde getrennten Weide, zusammenlässt. Santos besorgt so quasi die Einführung. Nach und nach lernt der Neue immer mehr Herdenmitglieder kennen und wenn es so weit ist, wird er in die Gruppe entlassen. Freundschaften bilden sich. «Viele können kaum mehr ohne einander sein», sagt Beatrice Michel. Nur Santos, der Türöffner, werde von seinen Schützlingen nach der Kennenlernphase meist wieder verlassen. Er habe bisher noch keinen festen Freund gefunden. «Ich habe aber nicht den Eindruck, dass er deswegen traurig ist», sagt Jonathan Gindrat. 
 
Während des Gesprächs auf dem Allwetterplatz nähert sich die Herde unauffällig der kleinen Gruppe Menschen. Sie wollen doch wissen, was da über sie geredet wird. Eine Nase stupst an die Hand, Nüstern blasen warme Luft in den Nacken, Zähne knabbern am Rucksack. Auf einmal geht ein Ruck durch die Pferde. Von hinten verschafft sich Jesica Platz. Die kleine, braune Stute knufft ihre Kolleginnen und Kollegen zur Seite und stellt sich mitten zwischen die Menschen. Beatrice Michel lacht: «Sie ist eine, die genau weiss, was sie will.» Jedes Pferd hat seinen eigenen Charakter, Michel und Gindrat kennen sie genau. Die Tiere wachsen ihnen ans Herz. 
 
Loslassen ist wichtig
Gleichzeitig ist ihnen klar: Den Pferden steht nur eine begrenzte Zeit in der Stiftung zur Verfügung. Mit zunehmendem Alter kommen die Gebresten. Man behandle diese, solange die Lebensqualität für die Pferde stimmt. Und wenn die Zeit gekommen ist, werden sie erlöst. Loslassen ist wichtig. Nicht nur für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung. Auch die Besitzerinnen und Besitzer müssen ihre Tiere innerlich loslassen. Denn sie gehen in das Eigentum der Stiftung über. 
Die Pferde verbringen die Nächte im Stall in Einzelboxen. Tagsüber sind sie je nach Witterung stundenweise auf dem Allwetterplatz und auf der Weide. Sommers manchmal sogar die ganze Nacht. Langeweile haben sie nicht, versichert Beatrice Michel. Die Tiere seien sozial gefordert: Freundschaften pflegen, auch mal Gehässigkeiten austauschen - da läuft den ganzen Tag etwas. Würde man die Kilometer zählen, die die Tiere pro Tag zurücklegen, da kämen einige zusammen. Die Pferde führen so ein artgerechtes Leben, das jenem in freier Natur nahekommt.
Nun steht die Gruppe erwartungsvoll vor dem Gatter, das auf die Weide führt. Zeit für Jonathan Gindrat, das Tor zu öffnen. Erst zaghaft trippeln die Pferde aufs Grün hinaus. Doch die Weite lockt, das erste beginnt zu traben, dann fällt es in Galopp und sogleich stürmt die ganze Herde los, als ob sie alle Fohlen wären.
Eine Bildergalerie finden Sie unterwww.bielertagblatt.ch/pferdeLink zur Website der Stiftung: www.philippos.ch
 
Schweizer Tierschutz plädiert für die Gruppenhaltung von Pferden
Der Schweizer Tierschutz STS erteilt der Stiftung für das Pferd Bestnoten. Die Zoologin Sandra Schaefler von der Fachstelle Heimtiere und Pferde, sagt: «Die Haltung ist aus unserer Sicht sehr pferdefreundlich.» Positiv wertet der STS die Gruppenhaltung tags- oder nachtsüber auf dem Allwetterplatz und der Weide. Zwar sei der STS der Meinung, dass Pferde möglichst Tag und Nacht in einem gut geführten und strukturierten Gruppen-Auslaufstall mit regelmässigem Freigang leben sollen. «Wenn aber Pferde altern und spezifische Bedürfnisse haben – beispielsweise eine individuelle Fütterung benötigen – ist es gut vertretbar, wenn sie die Nacht in Einzelboxen verbringen.» Die Stiftung für das Pferd trägt laut Sandra Schaefler den Grundbedürfnissen von Pferden Rechnung. Dazu gehören ausreichend Bewegung, die Möglichkeit zur kontinuierlichen Nahrungsaufnahme über mehrere Stunden und Sozialkontakte. Auch die Betreuung von Pflegern, Tierärzten und Zahnärzten bewertet der STS als sehr gut. 
Aus der Wahrnehmung von Sandra Schaefler besteht bei Pferdebesitzerinnen der Trend, den Tieren einen schönen Lebensabend zu gönnen, statt sie ins Schlachthaus zu bringen. Dies schlägt sich auch in der Registrierung von Pferden nieder: Immer mehr Besitzer lassen ihre Tiere als Heimtiere, und nicht als Nutztiere eintragen. Das bedeutet, dass die Pferde bei Krankheit mit einer breiteren Palette an Medikamenten behandelt und wenn es nicht anders geht statt geschlachtet eingeschläfert werden. Das Pferd wird also nicht bis zuletzt genutzt, sondern «man nimmt es zunehmend als Partner wahr», sagt Sandra Schaefler. Grundsätzlich gibt es in der Schweiz laut Schaefler viel zu wenig Plätze für nicht mehr erwünschte Pferde. 
Die Gründe dafür: Viele Leute schaffen sich gemäss Schaefler Pferde, Ponys oder immer öfter auch Esel an, ohne sich zuvor über deren Unterhalt und Bedürfnisse genügend Gedanken gemacht zu haben. Im Nachhinein stellen sie dann fest: Der Zeitaufwand und die Kosten für Stall, Futter, Hufschmied, Zahnarzt und Tierarzt sind beträchtlich. Überschlagsmässig muss ein Pferdebesitzer hierzulande mit 1000 bis 1500 Franken monatlich rechnen, wenn er sein Tier korrekt versorgen will. Hinzu kommen Ausgaben für die Ausbildung von Pferd und Reiter und die Ausrüstung. Das alles sprengt so manches Budget bei Weitem. Und je älter das Pferd, umso mehr Tierarzt- und Zahnarztkosten stehen an. Sich vor einem Pferde- oder Eselkauf ausreichend theoretische und praktische Kenntnisse anzueignen, ist aus Sicht von Sandra Schaefler zentral. 
Bei der Pferdehaltung in der Schweiz hat sich gemäss Sandra Schaefler zwar einiges gebessert: Der Trend zu Gruppen- und Auslaufhaltung sei klar festzustellen. Dennoch würden noch immer gut die Hälfte aller Pferde in Einzelboxen gehalten, die Tiere nur stundenweise auf die Weide gelassen, und dies dann auch nur alleine - aus Angst vor Verletzungen. Das sei besonders bei Sportpferden der Fall. Dabei, kritisiert Schaefler, ist ein Pferd in der Natur mindestens während 16 Stunden in Bewegung. 
Der Schweizer Tierschutz hat zum Thema Pferdehaltung eine Kampagne lanciert (siehe Infobox rechts) und belohnt besonders pferdefreundliche Pensionsställe. Brigitte Jeckelmann
Stichwörter: Pferde, Le Roselet, Jura

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