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Biel

Seine Lieblingstiere verätzten ihm die Finger

Früher hielt er sie in seinem Zimmer als Haustiere: Der 18-jährige Julien Klein-Hietpas ist ein grosser Fan von Ameisen. Für seine Maturarbeit hat er deshalb auch einige Widrigkeiten auf sich genommen.

Julien Klein-Hietpas und sein Studienobjekt. copyright: Peter Samuel Jaggi
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Sarah Zurbuchen
 
Den einfachsten Arbeitsweg hat sich Julien Klein-Hietpas für seine Maturarbeit nicht ausgesucht. Der Ort befindet sich mitten im Malewagwald zwischen Leubringen und Frinvillier bei einem Ameisenhaufen. Von seinem Wohnort aus an der Schützengasse sind es rund drei Kilometer, die er zuerst per Velo, dann zu Fuss in steilem Gelände zurücklegen musste. Und dies während drei Wochen zirka 20 Mal. «Es war schon sehr anstrengend», sagt der 18-jährige Bieler, der vor Kurzem die Matura bestanden hat. Doch das war lange nicht die einzige Unannehmlichkeit, die er für seine Feldstudie in Kauf genommen hat.
 
Ausflug in den Kleiderschrank
Schon fast sein ganzes Leben lang sei er von Ameisen fasziniert, so Julien Klein-Hietpas. Bereits als Kind habe er die winzigen Tiere beobachtet, wie sie herumwuselten, Strassen bildeten, vertikal und gar überhängend kletterten. Erste Experimente mit Fruchtstückchen und Honig als Lockmittel weckten dann den Forscherdrang in ihm. «Irgendwann habe ich erfahren, dass man Ameisen auch als Haustiere halten kann.» Doch um eine Population heranzuzüchten, brauchte es eine Königin. Auf einem Familienausflug auf dem Bözingenberg flog ihm eine solche dann direkt aufs T-Shirt. Kurze Zeit später habe sie sich die Flügel abgeworfen, ein Zeichen dafür, dass sie befruchtet war und bald Eier legen würde. So viel wusste er damals bereits. 
 
Zuhause kam das Tier in ein mit feuchter Watte ausgestattetes Reagenzglas. Dort legte die Königin Eier, die Eier entwickelten sich zu Larven, und aus den Larven schlüpften Dutzende von Ameisen, die sich im selbst gebauten Terrarium von Klein-Hietpas heimisch machten. Ein neuer Staat war gegründet. Doch nicht immer hielten sich die Ameisen an die Grenzen ihres neuen Lebensraums. Neugierig, wie sie sind, kletterten ein paar Ausreisser gerne mal über die Wände des Terrariums und erkundeten die nähere Umgebung. Da kam es hin und wieder vor, dass der eine oder andere Winzling sich in den Kleiderschrank oder zwischen die Bücher im Kinderzimmer verirrte.
 
Die Haut löst sich ab
Doch zurück zu den Nebenwirkungen der Feldstudie. Die Arbeiterinnen einer Ameisenkolonie haben unterschiedliche Aufgaben. Julien Klein-Hietpas wollte in seiner Maturarbeit untersuchen, ob es zwischen den Ameisen, die das Nest pflegen, und jenen, die Material und Futter sammeln, einen Aufgabenwechsel gibt. Nach intensiven Vorexperimenten setzte er sich schliesslich zum Ziel, 500 Ameisen vom Nest und 500 Ameisen von ausserhalb des Nestes mit einem jeweiligen Farbklecks zu markieren, um sie besser beobachten zu können. «Es musste schnell gehen. Ich schaffte in einer Stunde zirka 100 Ameisen», so der junge Mann. 
 
Es stellte sich heraus, dass dies mit den Fingern am einfachsten ging. Der Gymnasiast nahm jede einzelne Ameise vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und tunkte das Hinterteil kurz in gelbe oder weisse Farbe. Was er dabei nicht bedachte, war die Verteidigungsstrategie der Tiere. Ein kleiner Spritzer Ameisensäure jedes Mal tat seine Wirkung. Zwar spürte er beim Markieren nichts, es habe nur etwas nach Essig gerochen. «Doch nach dem ersten Tag bildete sich an Daumen und Zeigefinger eine grosse Blase, die Haut löste sich von meinen Fingerkuppen ab», sagt er. Für die nächsten zwei Tage stülpte er sich deshalb die Fingerteile von Einweghandschuhen über.
 
Mit Puder gegen Angriffe
Doch Ameisen verspritzen nicht nur eine Säure, sie können mit ihren starken Mundwerkzeugen auch ziemlich kneifen. Auch dazu musste der 18-Jährige herhalten. «Sie kletterten meine Beine hoch und bissen mich, um mich von ihrem Bau fernzuhalten.» So unangenehm dies auch war, genau diese Eigenschaft bewundert Julien Klein-Hietpas an den Insekten: Ihre Wehrhaftigkeit und Aggressivität. «Lange Hosen und Socken waren bei meinen stundenlangen Aufenthalten beim Ameisenhaufen sehr nützlich», sagt er. Mit der Zeit wendete er einen zusätzlichen Trick an: Er puderte den Rand einer Kunststoffbox mit Talkum ein, drehte die Box um und stellte sich obendrauf. Das Puder verhinderte, dass die Ameisen nach oben kraxelten, weil sie darauf ausrutschen.
 
Spannend findet er auch die Organisationsstruktur eines Ameisenstaates. Aus vielen kleinen Individuen entstehe so etwas wie ein intelligenter Organismus, «und es braucht dazu keinen Chef». Die Ameisen würden mit verschiedenen Duftstoffen, sogenannten Pheromonen, kommunizieren und sich ausserdem optimal an die Umwelt anpassen. 
 
Im Ökosystem seien sie sehr wertvoll, weil sie den Boden auflockern und Nährstoffe einbringen. «Wer im Garten Ameisen hat, darf sich glücklich schätzen», sagt Julien Klein-Hietpas. Leider seien Ameisen noch gar nicht so gut erforscht, sagt der Bieler mit den braunen Locken. Deren Leben zu untersuchen, sei knifflig und komplex, ausserdem finde ein Grossteil der Abläufe im Bau und unterirdisch statt. 
 
Ebenso schwierig ist die Bestimmung der jeweiligen Ameisenart. «Es kann etwa einen Unterschied machen, ob eine Ameise fünf oder 6 Härchen auf dem Rücken hat.» Dazu brauche es natürlich ein Mikroskop. Doch bei einigen Arten reicht nicht einmal das aus und nur eine genetische Analyse gibt Aufschluss über die Art. Auch in dieses Thema hat sich der Maturand hineingekniet und sich von der Waldameisenexpertin Isabelle Trees vom Naturhistorischen Museum Bern in die diffizile Methode der Artenbestimmung einführen lassen.
 
Noch lange nicht genug
Inzwischen hat der Ameisenfan seine Maturarbeit längst abgegeben (sie wurde mit der Bestnote bewertet) und die Matur abgeschlossen. Ob er nun genug hat von der Ameisenthematik? «Nein», sagt er, er könne sich sogar vorstellen, mit einer speziellen Königin wieder einmal einen Staat bei sich zu Hause zu gründen. Zuerst einmal absolviert er jetzt aber den Zivildienst, und danach möchte er studieren. Wenig überraschend interessiert ihn Biologie, doch auch Technik findet er faszinierend. «Am Liebsten etwas, das beides miteinander verbindet», sagt er.
 
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Ameisen können fliegen
«Ameisen gehören zur Insektenordnung der Hautflügler und werden unter dem Namen der Formicidae zusammengefasst. Ameisen besitzen eine (...) komplexe Sozialstruktur. Innerhalb dieser Sozialstruktur gibt es einige morphologisch unterscheidbare Typen. Diese werden grob als Männchen, Gynen (Vollweibchen, oft auch Königin genannt) und Kasten (Arbeiterinnen, steril) zusammengefasst. Königinnen (...)  sind die einzigen eierlegenden Ameisen der Kolonie und können je nach Art und Grösse der Kolonie täglich tausende Eier legen. Die Männchen (...) fliegen an wenigen Abenden pro Jahr, meist im Sommer, aus dem Nest aus und paaren sich in der Luft mit den gleichzeitig losgeflogenen Gynen anderer Kolonien gleicher Art. Es sind oft die Männchen welche man an einem warmen, feuchten Sommerabend an Gewässern, im Garten oder auf dem Balkon massenhaft ausfliegen sieht. Die Männchen sterben kurz nach der Paarung, während die Gynen mit dem Aufbau ihrer eigenen, neuen Kolonie beginnen. Diese einmalige Begattung der Gyne reicht für die Gesamtheit ihres Lebens für das Legen von Eiern. Im Nest baut sich dann eine komplexe Sozialstruktur auf. Die Arbeiterinnen, welche man zahlreich an der Oberfläche beim Fouragieren, das heisst beim Sammeln und Tragen von Nahrung und dem Fortbewegen auf Ameisenstrassen und beim Patrouillieren beobachten kann, machen den grössten Teil der Kolonie aus. Sie besitzen viele verschiedene Aufgaben, welche sie sich untereinander dynamisch verteilen. Je nach Quelle werden die verschiedenen Aufgaben wie folgt unterschieden: Nestkonstruktion, fouragieren, Brutpflege, sich putzen, andere putzen, geputzt werden, füttern/gefüttert werden (von anderen Ameisen), essen, im Nest wandern und inaktiv sein.»

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