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Ausstellung

Tierisch exotisch

Das Kunstmuseum Bern präsentiert mit «August Gaul. Moderne Tiere» eine faszinierende Schau. Mit dem vermeintlich harmlosen Thema werden auch heikle Punkte angesprochen.

Bild: zvg
  • Dossier

Helen Lagger

Löwinnen brüllen besser als Löwen. Zumindest anders. Seit das Kunstmuseum und das Zentrum Paul Klee in Bern von Nina Zimmer geführt werden, scheint eine neue Sensibilität eingekehrt zu sein. Künstlerinnen, die im Gegensatz zu ihren männlichen Zeitgenossen viel zu wenig Aufmerksamkeit bekamen, wie Teruko Yokoi (1924-2020) oder Lee Krasner (1908-1984) erhalten endlich Platz. Es wird ein neuer Blick auf die hauseigene Sammlung geworfen. Und die derzeit überall beschworene Diversität scheint in den beiden Häusern mehr als eine Floskel zu sein.

 

Die Löwin als Variation zum imperialen Löwen

Eine mit Bernsteinaugen versehene Löwin – stark, erhaben und schön – bildet nun den Auftakt zur Ausstellung «August Gaul. Moderne Tiere». Der deutsche Bildhauer August Gaul (1869-1921) schuf die «grosse stehende Löwin» um 1899-1901.

Mit diesem Werk gelang dem Plastiker auf der dritten Ausstellung der Secession in Berlin der Durchbruch. Die für die Schau beauftragte Gastkuratorin Katharina Lee Chichester schreibt im zur Ausstellung erschienen Katalog, die Löwin sei eine «damals unerhörte Variation auf den machtsymbolisch-imperial aufgeladenen männlichen Löwen gewesen».

Gaul befreite die Tiere aus ihrem Käfig – dem Umstand, stets in biblischem oder mythologischem Kontext dargestellt zu werden – und erklärte sie zum autonomen Bildgegenstand. «Ich mache Tiere, weil es mich freut», lautet ein Zitat des Künstlers, der als 20-Jähriger bei einer Verlosung an der Kunstgewerbeschule eine Dauerkarte für den Zoologischen Garten gewonnen hatte. Dort konnte er vor den Käfigen zeichnen und modellieren.

Das Kunstmuseum Bern erhielt 2014 von der Zwillenberg-Stiftung rund 120 Tierplastiken und präsentierte bereits 2014 mit «August Gaul und Martin Lauterberg» einen Teil des umfangreichen Werkes. Mit «August Gaul. Moderne Tiere» wird das tierische Oeuvre nun anlässlich von Gauls Todesjahr, das sich zum hundertsten Mal jährt, in einen kulturhistorischen Zusammenhang gerückt und mit den Tierdarstellungen anderer Künstler und Künstlerinnen konfrontiert.

 

Bilder aus kolonialen Zusammenhängen

Anhand von sieben Kapiteln werden verschiedene Aspekte des sich wandelnden Verhältnisses zwischen Menschen und Tieren thematisiert. Im Eingangsbereich stösst man auf eine Trigger-Warnung: «In dieser Ausstellung werden in zwei Kapiteln Bilder aus kolonialen Zusammenhängen gezeigt, die Rassismen und Diskriminierungen enthalten», heisst es Rot auf Schwarz. Es werde der Versuch unternommen, diese Bilder in ihrer Konstruktion von Differenz und Hierarchie zu entlarven und ihre anhaltende, machtvolle Wirkung auf unser Denken und Selbstverständnis dadurch zu distanzieren.

Dennoch könnten sie verletzend wirken. Vor aus heutiger Sicht hochproblematischen Bildern, die besonders im Kapitel «Koloniale Tiere» auftauchen, sind auf roten Panels jeweils zusätzliche Informationen angebracht. Auf dem Gemälde «In der Tierbude» (1891) von Paul Meyerheim etwa wird ein versklavter Mensch gemeinsam mit exotischen Tieren einer begeisterten Menschenmenge präsentiert. Dass solche Stereotypen angeblich wilder Menschen üblich waren und bis heute nachwirken, informiert ein Text zum Bild.

 

Soll man solche Bilder überhaupt noch zeigen?

Das schwierige Kapitel wurde von der Ausstellungsmacherin in engem Dialog mit Expertinnen für Kolonialgeschichte und Antirassismus-Aktivisten entwickelt, wie man im Katalog erfährt. Es gebe Stimmen, die der Meinung seien, solche Bilder sollten gar nicht mehr gezeigt werden; andere kritisierten, man folge mit Trigger-Warnungen zu sehr dem Vorbild USA, verrät die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anne-Christine Strobel im Rahmen einer Führung.

Dabei leuchtet es doch zwingend ein: Solche Bilder haben Erklärungsbedarf, sie aber gar nicht mehr zu zeigen, wäre ebenso verheerend, da sie eine Vergangenheit dokumentieren, die es zu kennen statt zu leugnen gilt. Das Kunstmuseum Bern macht es demnach genau richtig und präsentiert sich als Institution auf der Höhe der Zeit.

 

Fischotter, Orang-Utans, Ziegen und Rehe

Wie sehr das Thema Tier mit der Menschheitsgeschichte zusammenhängt, wird auch in anderen Kapiteln spürbar. Fragen, die bis heute aktuell sind, kamen bereits zu Gauls Zeiten auf: Was unterscheidet uns vom Affen? Darf man Tiere essen? Was fühlen sie? Im Teil «Kultivierte Tiere» stösst man auf das Gemälde «Liegender afrikanischer Leopard» (1901) von Max Slevogt. Mit geschlossenen Augen und sichtlich entspannt hat Slevogt das Tier in Öl festgehalten. Exotische Tiere waren en Vogue und durch das Aufkommen der zoologischen Gärten zugänglich geworden. Darwins Evolutionstheorie war in aller Munde, der Zirkus überaus beliebt.

Die vielen Fenster, die in der Schau geöffnet werden, sind Stärke und Schwäche zu gleich. Arnold Böcklins mitten unter gemalten und skulptierten Affen platzierte «Meeresstille» (1887), ein Gemälde, das eine Meerjungfrau auf einem Felsen zeigt, wirkt etwas gar an den roten Haaren herbeigezogen, um auch noch das Thema «Mischwesen» anzuschneiden.

Doch August Gauls Bronzefiguren – es gibt wie in einem Zoo fasst alles vom Fischotter, über Orang-Utans, Ziegen und Rehe – führen leitmotivisch durch diese Dichte an Informationen und Bezüge. Am Ende des Rundgangs im Kapitel «Tier und Technik» steht man vor einem Gemälde der Dadaistin Hanna Höch (1889-1978). In «Kubus» von 1926 wird die Technologie mit der Natur versöhnt beziehungsweise mit einem Regenbogen kurzgeschlossen.

Info: Ausstellung bis am 24. Oktober, Kunstmuseum Bern.

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