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Biel

Sie sind zu neunt, ohne Ämtliplan

Ihre Wohngemeinschaft füllt ein ganzes Haus: Am Bieler Blumenrain wohnen neun Personen unter einem Dach, unter ihnen auch eine Familie. Es gibt weder einen Koch- noch einen Putzplan. Und doch isst selten jemand allein.

Der Jüngste ist zweieinhalb Jahre alt, der Älteste 32. Ihren Garten zeigen sie gern, sich selbst hingegen weniger. Bild: Carole Lauener
  • Dossier

Hannah Frei

In der WG am Blumenrain kann man leicht den Überblick verlieren. Da wären Zora, Nico, Raphael, Jay, Chrige, Lill, Judith, eine zweite Zora und Miro. Miro ist der Jüngste, zweieinhalb Jahre alt. Jay ist der Älteste, 32 Jahre. Und Jay ist Miros Vater. Chrige ist Miros Mutter. Raphael ist Lills Freund und Freunde sind sowieso alle in diesem Haus.

Einen Ämtliplan gab es mal, daran gehalten habe sich jedoch niemand so richtig, sagt Zora Knoll. Das Putzen übernehme, wer sich gerade daran störe, im Wissen, dass die anderen im Gegenzug andere Aufgaben erledigen, ohne sie darauf aufmerksam zu machen. Und es wird zusammen eingekauft, zusammen gekocht, zusammen gegessen. Jeder und jede bezahlt pro Monat 200 Franken auf ein Gemeinschaftskonto ein. Wer einkaufen geht, bezahlt damit. «Ausser, wenn man sich beispielsweise einen eigenen Honig gönnen möchte», sagt Zora Albrecht. Das mit dem Honig scheint bei der Gruppe so eine Sache zu sein. Jeder versucht, die andere zu übertreffen, in dem er sich einen noch besseren, noch spezielleren Honig besorgt. Die sind dann auch alle schön mit Name angeschrieben. Alles andere gehört allen. «Das funktioniert erstaunlich gut», sagt Knoll. Was in der WG nie fehlen darf: Spaghetti, Käse, Joghurt, Milch und Brot. Fleisch gebe es hingegen selten, so Knoll.

Albrecht studiert, arbeitet aber daneben im Bioladen Phoenix am Bahnhof. Sie bringt regelmässig Essen mit, meist vergünstigt. «Wenn es mir zu schwer wird, schreibe ich in den WG-Chat und jemand kommt mir helfen», sagt sie. So kann sich die WG trotz kleinem Budget hauptsächlich von Biowaren ernähren. Das schätzen alle. Grün ist nicht nur ihr Garten, der in den warmen Monaten für die WG-Bewohnenden zum Wohnzimmer wird. Grün ist auch ihr Bewusstsein. Und doch steht da ein kleines, blaues, motorisiertes Gefährt vor dem Eingang. Das hat einer der Bewohner günstig erwerben können. Den Fahrschein hat er zwar noch nicht, dafür hat die WG nun ein Auto für grössere Einkäufe oder Transporte. «Aber wenn das Auto nicht da wäre, würde es wohl niemand vermissen», sagt Raphael Keusen.

Ein altes Haus voller Herzblut

Als das Haus vor neun Jahren zu einer WG wurde, ging es erst einmal los mit renovieren. Neuer Parkettboden, neuer Putz, neue Anstriche. Das Haus ist alt, der Vorbesitzer hatte wenig investiert. Anfangs waren es fünf Freunde. Von den Erstbezügern der WG ist nur noch einer übrig, Jay. Doch das Herzblut, dass die Jungen damals bei der Sanierung ins Haus gesteckt haben, spüre man noch heute, so Albrecht. «Hier fühlt man sich rasch Zuhause.»

Sie sind Physiotherapeutinnen, angehende Sozialarbeiterinnen, Eventmanager, Pflegefachfrauen, Mechaniker – und Krokodil und Huhn und Maus. Letzteres ist Miro. Er erklärt den WG-Bewohnenden regelmässig die Welt, oder will, dass jemand sie ihm erklärt. «Er hält uns alle auf Trab», sagt Knoll. Die Kombination aus Gross-WG und Familie funktioniere gut. Dass ein Kind im Haus lebt, schränke sie nicht ein, auch nicht, was die Lautstärke der Musik oder der Gespräche am späteren Abend betrifft. Man müsse ohnehin auf die anderen Rücksicht nehmen. Manche arbeiten nachts, andere müssen morgens früh raus. Dazu kommt, dass Jay, Chrige und Klein-Miro in Bern ein zweites Zuhause haben. So ist das Haus in Biel nicht immer voll.

Anders sieht es aus beim Schuhregal. Lange standen die Schuhe aufgereiht hinter-, vor- und übereinander auf der Treppe - und versperrten den Weg. Um eine Garderobe einzurichten, opferte die WG vor ein paar Jahren einen Teil ihres Wohnzimmers. Sie zogen eine Wand hoch, fixierten ein Regal, das nun bis oben mit Schuhen gefüllt ist.

Die WG wohnt zur Miete. Die Gruppe könnte sich auch vorstellen, das Haus zu kaufen. Konkret sei dies jedoch noch nicht wirklich zum WG-Thema geworden, sagt Knoll. Manchmal kommt es zu Wechseln in der WG, jemand zieht aus, ein anderer ein. Ausgeschrieben war in all den Jahren jedoch lediglich einmal ein Zimmer. Ansonsten gehen diese unter der Hand weg, sagt Knoll.

Streit gebe es selten. Und wenn doch, regle man dies rasch untereinander, sagt Knoll. «Einen richtigen WG-Streit hatten wir noch nie.»

Hier läuft immer etwas

Alleine zu leben, das käme für Raphael Keusen und die anderen beiden zurzeit nicht in Frage. «Es ist der Vibe, der hier für mich einfach stimmt. Es ist immer etwas los.» Hier lebe man auch wirklich zusammen, meistere den Alltag gemeinsam. Und trotzdem bleibe genügend Raum, um sich zurückzuziehen. In jedem Stock gibt es ein Bad, eines mit Dusche, eines mit Badewanne.

Bevor Zora Albrecht in die WG gezogen ist, hätte sie von sich aus nicht nach einer Neuner-WG gesucht. «Aber dann war ich nach dem Ausgang als Besucherin ein paar Mal hier und habe mich in die WG verliebt.» Obwohl so viele Leute auf einem Haufen sind, könne man sich praktisch überall einbringen, den Garten mitgestalten, Projekte umsetzen, sei es die WG-Teemischung mit Kräutern aus dem Garten, das WG-Sauerteigbrot oder die jährliche, schon fast legendären WG-Party. «Wir sind eine WG voller guter Freunde», sagt Knoll. Und diese wird sich wohl nicht so schnell auflösen.

Stichwörter: Wohnen, WG, Biel, Haushalt

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