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Theater

«Wir bewegen uns auf dünnem Eis»

Grenouille, das Bieler Theaterzentrum für junges Publikum, startet nächste Woche in die neue Saison. Zum Auftakt gibt es ein Mini-Festival – und einen Appell der künstlerischen Leiterin.

Charlotte Huldi sagt: "Wir bringen aktuelle Geschichten auf die Bühne." Bild: Yann Staffelbach

Annelise Alder

Erst ganz am Schluss der Medienorientierung nimmt Charlotte Huldi, künstlerische Leiterin von Grenouille, Theaterzentrum junges Publikum, das unsägliche C-Wort in den Mund. Sie hat dabei eine dezidierte Meinung: «Theater muss für alle zugänglich sein.»

Würde das Covid-Zertifikat für Veranstaltungen eingeführt, hätte das verheerende Folgen. Der Grossteil des Grenouille-Publikums hat nämlich keinen Zugang zur Impfung, dies aufgrund des Altersspektrums der Kinder und Jugendlichen. «Ich erwarte vom Bund eine Lösung für diese Tatsache», sagt Charlotte Huldi, «ein junges Publikum braucht andere Regeln als ein Covid-Zertifikat.»

Schutzmassnahmen gibt es bei Grenouille trotzdem. Die Vorstellungen sind nur bis zu zwei Dritteln besetzt, es wird gelüftet und desinfiziert und es gilt eine Maskenpflicht ab zwölf Jahren.

Kinder und Jugendliche brauchen aktuelles Theater

Die erfahrene Theaterfrau appelliert nicht ohne Grund an die Behörden: «Kinder und Jugendliche brauchen Theater mehr denn je.»

Grenouille bringt nämlich aktuelle Geschichten auf die Bühne und thematisiert existenzielle Fragen des Lebens. Es geht um menschliche Beziehungen, um Schuld, Zivilcourage oder Mut. Theater gibt Impulse und eine Orientierung in einer komplizierten Welt, auch für die Jüngsten der Gesellschaft.

«Lange musste das junge Publikum auf für es speziell geschaffene Vorstellungen warten», heisst es in der Medienmitteilung des Theaters. Auch deshalb beginnt die neue Saison des Theaterzentrums früher als sonst. Und sie beginnt fulminant – nämlich mit einem Mini-Festival (siehe Infobox). Drei Gastspiele sind zu erleben. Sie richten sich an Kinder zwischen drei und sechs Jahren und an Erwachsene. Die auftretenden Compagnien sind wie immer handverlesen.

Zu Gast ist unter anderem das Theater Sgaramusch aus Schaffhausen mit dem Stück «Tätärätätää», bei dem drei Clowns an ihren Ansprüchen und an den vermeintlichen Erwartungen fast zu scheitern drohen. Spass ist auch dabei und natürlich – wie immer bei Grenouille – viel Poesie.

Das diesjährige Saisonprogramm des Theaterzentrums für junges Publikum enthält den bewährten Mix aus Eigenproduktionen, Gastspielen und Vermittlungsangeboten. «Teilhabe ist uns sehr wichtig», so Charlotte Huldi. Über zehn Projekte, darunter Kooperationen mit Theater Orchester Biel Solothurn oder der Hochschule der Künste Bern sind in diesem Bereich verzeichnet. Dazu kommen Schulvorstellungen und Gastspiele in der gesamten Schweiz.

Neu amtet Grenouille auch als Gastgeber für die Vergabe des Prix Assitej Schweiz. Jedes Jahr zeichnet die internationale Vereinigung für Kinder- und Jugendtheater Persönlichkeiten, Gruppen oder Institutionen aus, die sich zugunsten des professionellen Theaters für junges Publikum engagieren. Die Preisträgerinnen dieses Jahr sind der Theaterverein Voyeure und die Figurenspielerin Chine Curchod. Die Preisverleihung findet am 3. September auf der Schüssinsel statt.

Fokus auf den Tanz,
um viele zu erreichen

Das Theaterzentrum für junges Publikum legt in der kommenden Saison einen Fokus auf Tanzveranstaltungen. Die Sparte passt ausgezeichnet zum Selbstverständnis des Hauses als zweisprachige Institution. «Weil Tanz nonverbal ist, eignet er sich besonders gut für ein kulturell und sprachlich gemischtes Publikum.» Zu Gast ist unter anderem das Biel-Berner Kollektiv Rapilento mit dem Stück «Drunter und Drüber – Dessus Dessous».

Besonders gespannt darf man auf die diesjährige Eigenproduktion sein. Sie heisst «Wolf» oder «Loup», je nachdem ob die Hauptsprache der Vorstellung Deutsch oder Französisch ist. Bilingual ist die Produktion in jedem Fall – auch dies ein typisches Merkmal von Grenouille-Eigenproduktionen.

Beim Stück von Theo Fransz, mit Livemusik von Bertrand Vorpe, handelt es sich um eine Art moderne Romeo und Julia-Geschichte. Themen sind Gewalt und Verfolgung, Vorurteile und Traditionen. Es geht um zwei junge Menschen, die sich entscheiden müssen. «Die Szenografie wird speziell sein», sagt Huldi, die für die Inszenierung verantwortlich zeichnet. «Wir haben kein Frontaltheater. Das Publikum wird rundherum bespielt.»

Zudem gibt es ein Wiedersehen mit dem Erfolgsstück «Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute» von Jens Raschke. Das «Herzensprojekt» von Charlotte Huldi, das auch am diesjährigen Theaterfestival Jungspund in St. Gallen gezeigt wird, musste letzte Saison nach wenigen Vorstellungen abgesetzt werden. Die Coronapandemie hatte weitere Theatervorstellungen verunmöglicht.

Heute blickt das Theaterzentrum Grenouille mit vorsichtigem Optimismus in die Zukunft. Die Programmbroschüre erscheint dieses Jahr in zwei Halbjahres-Editionen. «Wir haben inzwischen Erfahrung gesammelt im Umgang mit Corona», sagt Charlotte Huldi.

Für ein Theater ist die Pandemie nach wie vor ein grosses Risiko. «Schauspielerinnen und Schauspieler sind nicht auswechselbar. Hat jemand Corona, dann muss die Vorstellung abgesagt werden.» Auch deshalb sagt die künstlerische Leiterin von Grenouille: «Wir bewegen uns auf dünnem Eis.»

 

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Mini-Sommerfestival

  • 1. September, 15 Uhr, und
3. September, 19 Uhr: «A l’envers, à l’endroit». Inszenierung: Muriel Imbach. Mit der Gruppe Cie La Bocca della Luna (ab sechs Jahren) im Saal der Capsule Academy im X-Projekt.
  • 4. September, 11 Uhr: «Tätärätätää». Mit dem Theater Sgaramusch, Schaffhausen (ab fünf Jahren).
  • 5. September, 11 Uhr: «La Barbe». Ein Musiktheater mit Chansons, Beatbox und Versen der Cie Jerrycan. Eine Koproduktion mit dem Théâtre am stram gram, Genf (ab drei Jahren).
  • Zudem am 3. September, 17.30 Uhr: Preisverleihung Prix Assitej auf der Schüssinsel. aa
Stichwörter: Theater, Biel, Jugend, Kultur, Grenouille

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