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«Als Anwältin muss man an einen fairen Prozess glauben»

Mit 30 Jahren hat Cécile Wendling die Anwaltskanzlei ihres Vaters in Biel übernommen – aufgrund seiner Erkrankung früher als geplant. Diese Entscheidung sei eine der schwierigsten ihres Lebens gewesen, sagt sie im Podcast «Sags Frei».

Sie wohnt, arbeitet und prozessiert in Biel. Wenn sie Klienten auf der Strasse trifft, bleibt sie stets professionell.  Haf
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Interview: Hannah Frei
 
Cécile Wendling, Recht oder Gerechtigkeit?
Cécile Wendling: Da kann ich mich nicht entscheiden, das sollte dasselbe sein.
 
Ist es immer dasselbe?
Von diesem Grundsatz muss ich als Anwältin ausgehen. Man versucht ja immer, auf der Basis der Gesetze eine gerechte Lösung zu finden. Und zwar nicht nur für die Person, die ich vertrete, sondern für alle Beteiligten. Besonders dann, wenn man eine beschuldigte Person vertritt, ist es wichtig, an einen fairen Prozess und ein faires Urteil zu glauben.
 
Haben Sie jemals einen Prozess miterlebt, der Ihrer Meinung nach nicht zu einem gerechten Urteil führte?
Nein. Ich sage nicht, dass dies nicht vorkommen kann. Aber bei mir war das noch nie der Fall. Es ist auch immer wichtig, dass man sich der Risiken und dem Ermessensspielraum bewusst ist, bevor man eine Verhandlung beginnt. Dementsprechend muss man auch den Klienten darauf vorbereiten. Er soll nicht das Gefühl haben, ungerecht verurteilt zu werden. Daher ist die Vorbereitung sehr wichtig.
 
Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders nahe gegangen ist?
Bei den Strafverteidigungen sind es die Schicksale der Menschen, die einem nahe gehen. In Erinnerung ist mir eine junge Person geblieben, die drogenabhängig ist. Die Verzweiflung der Person mitzuerleben und zu sehen, dass auch das Rechtssystem nicht viel dagegen tun kann, das kann einen schon mitnehmen. Bei Drogenabhängigen ist das Risiko eines Rückfalls nach einem Verfahren gross – auch wenn die Person einen starken Willen hat und aufhören möchte.
 
Sie wohnen an ihrem Arbeitsort, auch das Regionalgericht befindet sich in Biel. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie auf der Strasse Klientinnen und Klienten oder Personen aus den Gegenparteien sehen?
Das kommt natürlich häufig vor. Ich mache nicht nur Strafverteidigungen, sondern auch andere Fälle wie etwa baurechtliche Projekte. Je nachdem, wie man sich kennt und worum es geht, bleibt es dann manchmal bei einem Blickaustausch oder man geht eben bewusst auf die Person zu und sucht das Gespräch. Das ist sehr unterschiedlich, da ich auch ganz unterschiedliche Klienten habe.
 
Fällt es Ihnen schwer, dabei immer professionell zu bleiben?
Gar nicht, nein. Diese Arbeit muss man sehr ernst nehmen, man trägt eine grosse Verantwortung. Es geht um Schicksale, darum, wie das Leben einer Person weiter verlaufen wird. Oder um schwerwiegende finanzielle Konsequenzen. Da muss man professionell auftreten. Aber ich kann trotzdem auch zwischendurch locker sein.
 
Sie haben Anfang Jahr als 30-Jährige die Kanzlei ihres Vaters übernommen und mit der Berner Anwaltskanzlei Bigler Kaufmann fusioniert.
Das stimmt so nicht ganz. Den Entscheid, die Kanzlei zu übernehmen, habe ich bereits 2018 gefällt. Für mich war auch klar, dass ich nicht alleine eine Kanzlei führen möchte. Ich wollte aber nichts überstürzen. 2020 fand dann der Zusammenschluss mit Bigler Kaufmann statt und auf Anfang 2021 wurde dieser umgesetzt.
 
Wie kam es dazu, dass Sie bereits mit 30 Jahren die Kanzlei übernommen haben?
Ich habe bereits während des Studiums in der Kanzlei gearbeitet. Damals war mein Vater schon krank, er hat seit über 20 Jahren Parkinson. Als die Krankheit dann immer schlimmer wurde, habe ich angefangen, Aufgaben von ihm zu übernehmen. Während meiner Anwaltsprüfung erhielt er zusätzlich eine Krebsdiagnose. Daher stand unmittelbar nach den Prüfungen im Raum, ob ich bei der Kanzlei einsteigen möchte. Ich wusste: Entweder geben wir die Kanzlei ab, oder ich übernehme. Das war eine sehr schwere Entscheidung für mich.
 
Haben Sie sich jemals unter Druck gefühlt, was die Übernahme der Kanzlei anbelangt?
Nein, das hat auch mit der Art meines Vaters zu tun. Er war schon immer ein sehr herzlicher Vater und erzog uns im antiautoritären Stil, er hatte keine Erwartungshaltung uns gegenüber. Mir hat die Juristerei immer Spass gemacht und es stand mir offen, ob ich später einmal übernehmen möchte oder nicht. Und ich entschied mich dafür. Das ist eine grosse Chance für mich ...
 
Info: Weshalb Cécile Wendling vor Gericht schon mal laut werden kann und weshalb sie manchmal das Gefühl hat, sich als Frau beweisen zu müssen, hören Sie in der neusten Folge «Sags Frei» auf Spotify, Apple-Podcast oder hier:
 

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