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Kriminalität

SVP-Stadträte sehen kein Bandenproblem

Jugendliche aus Biel waren an einem Streit mit tödlichem Ausgang in Lausanne beteiligt. Doch lokale Politiker wollen von kriminellen Gangs nichts wissen: Es gebe zwar gewaltbereite Junge, aber keine Banden.

Wollen lieber auf präventive Massnahmen setzen: Polizisten auf Patrouille in Lausanne. Bild: Keystone

Philippe Reichen

Ein 20-jähriger Kongolese stirbt im Lausanner Ausgehviertel Flon. Sein 21-jähriger Freund mit portugiesischen Wurzeln überlebt mit schweren Stichverletzungen. Die jungen Männer seien Opfer eines erbitterten, monatelangen Streits zweier Jugendbanden, ­berichteten Journalisten hernach. Die Banden hätten sich gegenseitig provoziert, indem sie in gezielten Aktionen Mitglieder der ­anderen Gruppe entführt hätten. Vor einer Woche trafen die Gruppen in Lausanne schliesslich per Zufall aufeinander. Am frühen Sonntagmorgen kam es zu einer Prügelei, jemand zückte ein Messer und stach die beiden Männer nieder. Den genauen Tathergang muss die Waadtländer Staatsanwaltschaft in einer Strafuntersuchung klären.

Bekannt ist: Die Gruppe des Getöteten stammt aus La Chaux-de-Fonds, die mutmasslichen Täter aus Biel. In der Westschweizer Öffentlichkeit kam die Frage auf: Gibt es ein bislang unentdecktes Problem mit Jugendbanden?

Mit Messer in den Ausgang

Auch in der Deutschschweiz wird diese Debatte jetzt geführt – befeuert von nationalen SVP-Politikern. SVP-Nationalrat Thomas Aeschi spielte auf Twitter auf den Lausanner Fall an. In St. Gallen gab es in den letzten Wochen mehrere Schlägereien und Messerstechereien. Die dortige Kantonspolizei beobachtet, dass ­immer mehr junge Menschen mit Messern ausgehen. Nachdem ein 20-jähriger Kosovare nach einer Prügelei bei einer Tankstelle im luzernischen Geuensee gestorben war, schrieb Roger Köppel im ­aktuellen «Weltwoche»-Editorial: «Mein Eindruck ist, dass sich die Schweiz allmählich zur Kampfzone migrationsgetriebener Ausländergewalt entwickelt.»

Haben die von der Linken ­regierten Industriestädte wie La Chaux-de-Fonds oder Biel ein Problem mit migrationsgetriebener Ausländergewalt? Versetzen Jugendgangs die Bevölkerung in Angst und Schrecken?

«Wir haben kein Problem mit gewalttätigen Jugendbanden in La Chaux-de-Fonds und auch keine Integrationsprobleme», betont SVP-Stadtrat Thierry Brechbühler. Aus dem Gespräch wird klar: Der Vorfall in Lausanne macht ihn betroffen. Die Attacken gegen seine Stadt nimmt er mitunter persönlich. Die Vergleiche zwischen La Chaux-de-Fonds und den Banlieues in Paris oder Marseille seien völlig verfehlt, sagt Brechbühler. Es gebe in seiner Stadt keine Quartiere, die von kriminellen ­Jugendlichen kontrolliert würden und in die sich die Polizei nicht mehr hineingetraue. Auch habe die Gruppe aus La Chaux-de-Fonds, die in Lausanne attackiert wurde, seines Wissens nie öffentliche Einrichtungen zerstört.

Seine Stadt versuche, alle Jugendlichen zu erreichen und zu fördern, ihnen Visibilität und ­Anerkennung zu geben. Dasselbe habe die Stadt mit der Gruppe getan, die mit der Bieler Gruppierung in einen Konflikt geraten sei, der sich langsam hochgeschaukelt habe und in Lausanne eskaliert sei, sagt Brechbühler. ­Bekannt ist, dass die La-Chaux-de-Fonniers sich über den Rap definierten. Man habe sie in Quartierfeste integriert und kleine Videos gedreht, hält der SVP-Stadtrat fest. Und bei jenen wenigen Songtexten, die von Gewalt handelten oder sie guthiessen, habe man klargemacht, dass man sich auch anders ausdrücken könne, sagt Brechbühler.

Auch der Bieler Sicherheitsvorsteher Beat Feurer (SVP) dementiert, dass seine Stadt ein Problem mit Bandenkriminalität hat. Soweit ihm bekannt sei, sei die Bieler Gruppe im Umfeld eines neu gebauten Wohnblocks in ­einem sozial gut durchmischten Quartier entstanden, sagt der ­Sicherheitsdirektor und dementiert damit, sozialer Ausschluss oder Integrationsprobleme könnten eine Ursache für die Gewaltbereitschaft sein. Die Quartierarbeit funktioniere, auch den ­Bieler ­Jugendlichen stünden Bezugspersonen zur Verfügung, die ihre ­soziale Integration förderten, hält Feurer fest.

Polizei kennt Jugendliche

Die Polizei des Kantons Neuenburg teilt auf Anfrage mit, zu den Vorfällen in Lausanne könne sie sich nicht äussern. Provokationen zwischen den Jugendlichen habe sie aber während einiger Zeit ­beobachtet und die betroffenen Jugendlichen angehalten, sich an die Gesetze zu halten, und wegen einzelner Aktionen auch Strafuntersuchungen eingeleitet. Doch das Ziel müsse nun sein, mit präventiven Massnahmen zu verhindern, dass sich neue junge Menschen gewalttätigen Gruppen ­anschlössen. Die Kooperation mit der Berner Kantonspolizei sei im Übrigen «exzellent», so ein Neuenburger Polizeisprecher.

Beim Lausanner Polizeidirektor Pierre-Antoine Hildbrand (FDP) hinterlässt die Gewalttat derweil ein flaues Gefühl. Über die Situation in seiner Stadt sagt er, es gebe gewaltbereite Jugendliche, aber es gebe keine Jugendbanden.

Hildbrands Polizeikorps ist daran, die Gewalttat vom letzten Sonntag aufzuklären. Warum die Situation zwischen den Jugendlichen eskalierte, wird man wohl erst im Strafprozess definitiv ­erfahren. Die Zeitung «Le Temps» gibt an, den Grund zu kennen. Sie schrieb: «Eine junge Bielerin war mit einem Jugendlichen ihrer Heimatstadt zusammen. Doch dann ging die Beziehung in die Brüche, und sie verliebte sich in einen Jugendlichen aus La Chaux-de-Fonds.» ­Danach folgte Provokation auf Provokation, und am Ende kam es zur Lausanner Schlägerei mit tödlichem Ausgang.

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