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Tanz

Arme wie Trommelstöcke

Die Bieler Kompanie Cie champloo um Branca Scheidegger und Rafael Smadia hat ein harmonisches Chaos aus Körpern und Musik geschaffen: faszinierend, bizarr, hypnotisch. Heute hat «Nalc» Premiere.

An der Trommel Yvan Talbot: Der französische Afrika-Verrückte verbrachte 15 Jahre auf dem afrikanischen Kontinent und mischt traditionelle Instrumente mit Elektrosounds. Bild: GAU

Clara Gauthey

Schnell noch das Bein gedehnt, die Haare hochgesteckt, das Kostüm zurechtgezupft, auf den Händen gelaufen, die Knieschoner angelegt. Dann ein Abklatschen und ein Ruf: «Let’s go!» Tänzerin Branca Scheidegger von der Bieler Kompanie Cie champloo gibt das Zeichen zum Aufbruch und man wünscht sich gegenseitig «allez, bon voyage!» zu einer Art Gruppenkuscheln mit Mantra. Die fünf Tänzer des Clans «Nalc» kommen mit ihrem Musiker im Kreis zusammen, umarmen einander, sprechen in ihrem Kokon fremdartige, beschwörende Worte. Etwas Afrikanisches?

Der Tänzer stört den Musiker

Mitgebracht haben könnte das Mantra der Franzose Yvan Talbot von seinen Aufenthalten in Westafrika. 15 Jahre lang lebte, arbeitete und studierte Talbot in Mali, Guinea und Burkina Faso die klanglichen, kulturellen und sozialen Aspekte von Musik und Tanz. Er mischt in seiner Musik für Tanzproduktionen Elektro-Hip-Hop mit traditionellen In-strumenten aus Afrika.

Das Spezielle an der Produktion «Nalc», welche heute Abend im Nebia Uraufführung feiert, ist das Zusammenspiel von Tanz und Musik. Sie scheinen einander immer wieder zu überraschen und haben sich gegenseitig beeinflusst. Das geht so weit, dass in einer Szene ein Tänzer ins Spiel Talbots eingreift, es sozusagen verpfuscht, woraufhin der Musiker wiederum mit einer Änderung der Musik auf den Tänzer einwirkt. Und nicht lange, dann tanzt auch der Musiker selbst einmal mit, um die Symmetrie zu vervollständigen.

Arme werden zu Trommelstöcken, alles vermengt sich. Vielleicht kommt die Musik aus den tanzenden Körpern oder der schnelle Atem der Tänzerin bedingt den Rhythmus der Trommel?

Körperliche Tongebilde

Tanzschritte und Musik entstanden miteinander, nicht nacheinander. Und das sieht man, das hört man auch, wirken doch stellenweise die Körper wie eine Verbildlichung der Töne, finden sich Arme und Beine als Echo der Bässe und Tonkonstrukte, scheinen die Körper, auf den Tonwellen zu reiten, sie in Klangbilder umzuwandeln, und die Bewegung der Tänzer führt den Arm, der den Taktstock hält.

Choreograf und Tänzer Rafael Smadia sagt: «Ich wollte mit diesem Stück meine persönliche Ideal-Gesellschaft abbilden.» Es sei eine Gesellschaft, die ihre Regeln und Strategien gemeinsam entwickle, aufeinander höre, einander respektiere. Jeder Tänzer, jede Tänzerin habe eine Rolle: «Branca ist ein General, oder sagen wir, eine Strategin. Ich selbst ein Strassenbauer, einer kommt vom Himmel, eine verkörpert ein Kind». Yvan wiederum sei da gewesen, bevor alle anderen da gewesen seien. Er habe sein eigenes Dorf.

Eingelullt und aufgeweckt

Sehen wir die Tänzerinnen arbeiten, zerquält sich ihr Körper in maschineller, repetitiver und geometrischer Bewegung. Das Hin und Her zwischen linientreuer Solidarität und Individualität der einzelnen, Nachahmungen, Hilfestellungen und Abschottungen, werden in der Choreografie sichtbar. Die Solostimme gehört zum Chor und doch kann jeder den Takt unterschiedlich interpretieren – in harmonischem Chaos folgen alle am Ende dem Rhythmus nach und nicken gleichzeitig mit dem Kopf. Und wenn uns die wummernden Bässe fast vollständig narkotisiert und eingelullt haben, wechselt die Musik zu harten Elektrosounds, die uns aus dem Nirwana zurückholen.

Wer sich schliesslich vergeblich fragt, welche Bedeutung die Sonnenblume am Ende des Stücks hat, dem sei noch dies erzählt: Der Name der Tanzkompanie nimmt Bezug auf eine japanische Minderheitensprache, in der «champloo» soviel heisst wie «vermischen». In der Manga-Serie «Samurai Champloo» sucht das Mädchen Fuu nach einem Mann, «der nach Sonnenblumen riecht», denn das ist ihr Vater, der die Familie verlassen hat und den sie finden will, um sich an ihm zu rächen. Sonnenblumen dominieren auch als Schattentheater die Bühne des Nebia. Und wie in der japanischen Actionserie mischen sich Elemente des Hip Hop mit anderen Einflüssen.

Stichwörter: Kultur, Tanz, Kunst, Nebia

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