Sie sind hier

Abo

Automobilbranche

Feintool macht vorwärts mit der grossen Wende

Mit dem Kauf der deutschen Kienle + Spiess wächst der Lysser Technologiekonzern auf einen Schlag um fast 900 Mitarbeitende – und verbessert die Marktstellung im Bereich Elektromobilität markant.

Der Hauptsitz von Kienle + Spiess in Sachsenheim, etwa 35 Kilometer nördlich von Stuttgart.  zvg
Tobias Graden
 
Er fahre mittlerweile selber ein Elektroauto, verriet Feintool-CEO Knut Zimmer am Rande der Halbjahreskonferenz letzten August. Sein erstes Fazit fiel positiv aus: «Es ist anders, doch es funktioniert ganz gut.» 
Im Privaten hat Zimmer die Transformation also schon vollzogen, die Autobranche als Ganzes und damit auch ihre Zulieferer stecken derzeit mittendrin. Die Technologieumstellung vom Benzin- auf den Elektroantrieb ist auf breiter Basis voll im Gange. Will der Lysser Technologiekonzern seine Stellung im Markt halten, muss er diese Umstellung mitmachen. Während seine traditionelle Kernkompetenz, das Feinschneiden und Umformen, bislang vor allem in der Herstellung von Teilen für das Getriebe von Verbrennungsmotoren zum Tragen kam, so hat Feintool in den letzten Jahren Know-how im Elektrobereich hinzugekauft – beispielsweise mit der Akquisition der früheren Stanz- und Lasertechnik Jessen GmbH. 
 
200 Millionen Umsatz
Der gestern verkündete Kauf der deutschen Kienle + Spiess ist aber der bislang grösste Schritt in diese Richtung. Das Unternehmen mit Hauptsitz im baden-württembergischen Sachsenheim, einem zweiten Standort in Deutschland und einem in Ungarn, ist spezialisiert auf die Fertigung der Kernkomponenten von hocheffizienten elektrischen Antrieben, den Rotoren und Statoren. 872 Mitarbeitende erzielen im laufenden Geschäftsjahr 2021/22 einen erwarteten Umsatz von rund 190 Millionen Euro. Zum Vergleich: Feintool beschäftigt derzeit rund 2600 Mitarbeitende weltweit und dürfte dieses Jahr einen Umsatz von gegen 600 Millionen Franken aufweisen. Anders gesagt: Feintool wird auf einen Schlag um etwa einen Drittel wachsen. 
«Kienle + Spiess ist in seinen Bereichen Technologieführer», sagt Feintool-Sprecherin Karin Labhart, «das Unternehmen ergänzt uns ideal.» Die Übernahme erlaube es, Feintool künftig als einen der führenden europäischen Hersteller von Motorkernen für batterieelektrische Fahrzeuge und Hybride, Industrieantriebe und regenerative Energien zu positionieren, heisst es in der gestrigen Mitteilung. 
 
Schritt nach China
Warum verkauft die japanische Sumitomo-Gruppe, der bisherige Besitzer von Kienle + Spiess, eine so hochgelobte Firma? «Feintool bietet im Gegenzug internationalen Marktzugang», sagt Karin Labhart, «es ist eine Win-win-Situation: Kienle + Spiess kann dank Feintool wachsen.» Die Lysser fungieren hierbei insbesondere als Türöffner in China. Im Feintool-Werk in Taicang bei Shanghai ist Feintool daran, die Produktion von Komponenten für Elektromotoren aufzubauen. «Das Know-how von Kienle + Spiess kommt da gerade richtig», sagt Labhart, «wir werden dieses auch in Taicang implementieren.»
Gleichzeitig bietet der Kauf für Feintool die Chance, die Abhängigkeit vom Automobilmarkt zu verringern und sich breiter aufzustellen. Die Energiewende und die Klimaziele führen auch im Industriebereich und bei stationären elektrischen Antrieben – etwa in Lüftungsanlagen – zu weiterer technischer Entwicklung hinsichtlich eines geringeren Verbrauchs. 
 
Aktienkapital wird erhöht
Was die Akquisition genau kostet, wird nicht bekanntgegeben. Einen Rahmen bietet aber die gleichzeitig für nächstes Jahr angekündigte Kapitalerhöhung, bei der alle bisherigen Aktionäre ihrem Anteil gemäss teilnehmen können. Diese soll einen Umfang von bis zu 200 Millionen Franken haben. Die Artemis-Gruppe von Michael Pieper, mit 50,3 Prozent Hauptaktionärin von Feintool, wird dabei nicht nur ihre Bezugsrechte ausüben, sondern sie hat auch zugesagt, die Kapitalerhöhung bis zum vollen Umfang zu garantieren. Bis zu dieser wird der Kauf mit einer so genannten «Brückenfinanzierung» gesichert, eine Art Vorschuss: Feintool nimmt dazu einen entsprechenden Bankkredit auf, der bis zum Abschluss der Kapitalerhöhung läuft. 
Noch steht die Zustimmung der jeweiligen Kartellbehörden aus. Etwa im Februar dürften diese eintreffen, und die «Feintool-Familie», wie Labhart es nennt, erfährt grossen Zuwachs. Die Anleger beurteilen den Schritt positiv: Die Feintool-Aktie stieg gestern um über 6 Prozent.

Nachrichten zu Wirtschaft »