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Biel

Seine Bohrer holen Geheimes aus dem Eis

Der Bieler Dieter Stampfli tüftelt seit 30 Jahren an Geräten, die tief in ewiges Eis bohren. Seine Firma ist weltweit einzigartig. Forschende finden anhand der Eisproben mehr über Umweltverschmutzung und Wetterphänomene heraus.

Dieter Stampfli, Copyright: Matthias Käser / Bieler Tagblatt
  • Dossier

Sarah Zurbuchen

Zum ersten Mal hat Dieter Stampfli im Alter von 17 Jahren vom Klimawandel und seinen Auswirkungen gehört. Damals, im Jahr 1978, warnte der Wissenschaftsjournalist Hoimar von Ditfurth in einer ZDF-Sendung namens «Querschnitte» eindringlich vor den Folgen der Erderwärmung. «Mir wurde bereits in jungen Jahren bewusst,» so der Bieler, «dass wir unseren Planeten und seine Ressourcen ausbeuten». Schon bald einmal begann er deshalb, Greenpeace zu unterstützen. Seit rund drei Jahrzehnten ist Stampfli Gönner der Umweltorganisation, die heuer ihr 50-Jahr-Jubiläum feiert.

Dass er der Klimaforschung einst mit selbstgefertigten Eisbohrern zur Hand gehen würde, ahnte er damals noch nicht. Heute führt er zusammen mit seinem Bruder die Bieler Firma Icedrill.ch AG, die als einziges Unternehmen weltweit Eiskernbohrer auf kommerzieller Basis anbietet.

 

Vier Meter tief eingeschneit

Auf die Idee, Eisbohrer zu entwickeln und zu produzieren, kam der gelernte Maschinen- und Elektroingenieur zusammen mit seinem Bruder Felix, dessen Chemie-Abschlussarbeit die Analyse eines Eiskerns vom Fieschersattel war. Das Erbohren dieses Kerns war ein sehr kompliziertes Unterfangen. Mehrmals musste das Team per Militärhelikopter auf den Berg geflogen werden. Es gab heftige Wetterwechsel, das Materiallager wurde zeitweise vier Meter tief eingeschneit. Und für die Bedienung des komplexen Bohrers musste jeweils der Konstrukteur mit dabei sein.

Nach diesen Erfahrungen machte sich das Brüderpaar daran, Eiskernbohrer zu entwerfen, die einfacher zu handhaben sind. «Die Idee war, dass die Bohrer vom Forschungsteam selbst bedient werden können, ohne dass ein Spezialist mit dabei sein muss», so Stampfli. Und weil die beiden Männer gerne in den Bergen sind, verbanden sie damit gleich das Nützliche mit dem Schönen. Die Bohrer mussten schliesslich ausprobiert und verbessert werden. Am Besten ging dies auf dem Jungfraujoch, «da kam man gut auf den Gletscher». Dieter und Felix Stampfli gründeten die Firma Icedrill.ch AG. Schon nach kurzer Zeit meldete das Paul-Scherrer-Institut Würenlingen (PSI) sein Interesse an. Die Forschenden wollten auf dem Tapado in Chile bis in 40 Meter Tiefe bohren. Den Prototyp des Bohrers entwickelten die beiden im Jahr 1998. Im Februar 1999 dann die Stunde der Wahrheit: «Das Unterfangen war ein voller Erfolg», so Stampfli. Für das nächste Projekt auf dem Illimani in Bolivien brauchte das renommierte Institut eine Vorrichtung, die bis 150 Meter hinunter bohren konnte. Die beiden machten sich sofort an die Entwicklung. Es gelang: Das PSI schaffte es in sieben Tagen, durch das Eis bis auf das Felsbett hinunter zu bohren.

 

Bleispuren im Eis

Doch was genau können Wissenschaftlerinnen an Eisbohrkernen ablesen? «Von blossem Auge sieht man nicht viel», sagt Stampfli. Die langen Eiszapfen werden gut verpackt in ein Labor transportiert, wo die Forscher sie etwa auf Spurenelemente, Luftbläschen, CO2 und Isotope untersuchen. «Es geht darum, Erkenntnisse zu den Wetter- und Klimaverhältnissen sowie zur Umweltverschmutzung zu gewinnen.» Gerade im Sommer würden sich die Rückstände der Zivilisation auf dem ewigen Eis ablagern, etwa das Blei von Abgasen. «Doch auch Blei aus der Zeit der Römer ist in Gletschern zu finden.» Diese hätten das Material fleissig verwendet, etwa für Wasserleitungen oder Trinkgefässe.

Heute kann die Firma Icedrill.ch AG Bestellungen aus der ganzen Welt entgegennehmen. Geliefert wird unter anderem an die USA, China oder Brasilien. «Brasilien hat natürlich kein Eis, aber sie bohren in der Antarktis», erklärt Dieter Stampfli. Der Vater von drei erwachsenen Kindern und Grossvater von zwei Enkeln produziert die Bohrer eigenhändig teils im hauseigenen Atelier, teils in einem Decolletage-Betrieb eines Freundes in Grenchen. Dabei werden die Produkte laufend optimiert.

In all den Jahren hat Stampfli viele Stunden und Tage bei Bohrungen bei Minustemperaturen und manche eiskalte Nacht im Zelt verbracht. Besonders geblieben ist ihm eine Expedition auf Spitzbergen. «Tagsüber war es minus 30 Grad kalt, in der Nacht gar minus 40.» Doch jetzt, mit 60 Jahren, scheint er langsam genug zu haben von frostigen Aufenthalten in Eis und Schnee. «Ich ertrage die Kälte nicht mehr so gut.» Vor einiger Zeit hat ihn deshalb seine Tochter Julika, die Maschineningenieurin ist, in Sibirien vertreten.

Link: www.icedrill.ch

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