Sie sind hier

Abo

Mobilität

E-Auto aus gebrauchten Teilen

Ein Beispiel für Kreislaufwirtschaft: Ein Team der Berner Fachhochschule hat untersucht, wie sich ausgemusterte Benzinfahrzeuge dank Gebrauchtteilen in E-Autos umrüsten lassen. Doch ist die Idee markttauglich?

Bild: zvg

Daniela Deck

Man nehme einen alten Audi A2 mit Benzinantrieb, den Elektromotor eines Nissan Leaf-Occasionsautos und mehr als 100 gebrauchte Batteriezellen von Mitsubishi-E-Autos und füge die Komponenten zusammen. Was dabei herauskommt, ist mehr als eine Spielerei – und sogar mehr als ein fahrbares E-Auto.

Das Projekt rückt das sogenannte Retrofitting in den Fokus, als Ergänzung zum Recycling von Rohmaterialien. Das Retrofitting setzt sich zum Ziel, vorhandenen Komponenten zu einem zweiten Leben zu verhelfen. Die verlängerte Lebensdauer wirkt sich positiv auf die Umweltbilanz der Industriegüter aus, indem gemessen an deren Lebenszyklus der CO-Ausstoss und der Energieverbrauch sinken.

Neun Studenten aus verschiedenen Fachbereichen der Berner Fachhochschule haben das Experiment diesen Frühling als gemeinsame Bachelorarbeit gewagt; vier von ihnen studieren Elektrotechnik und Informationstechnologie, je zwei Automobil- und Fahrzeugtechnik und Maschinentechnik. Verstärkung erhielt das Team durch einen angehenden Wirtschaftsingenieur, der sich mit der Markttauglichkeit des Retrofit-E-Autos befasste.

Wie können Retrofit-Fahrzeuge der E-Mobilität der Zukunft dienlich sein? Unter der Leitung von Martin Kucera, Professor für Elektrotechnik und Informationstechnologie am Departement Technik und Informatik (TI), und vier weiteren Dozenten haben die Studenten sich dieser Frage gewidmet. Ihre Aufgaben umfassten unter anderem die Beschaffung der Komponenten oder auch softwaregestützte Probefahrten mit dem Prototyp des E-Autos.

 

Batteriezellen im Labortest


Drei der Elektrotechnikabsolventen berichten über ihre Erfahrungen: Luca Horn, Theo Meer und Lars Meier. Ihr Team kümmerte sich um die Batterien und die Ansteuerung des Motors, während die Kollegen der anderen Fachbereiche den Motor einpassten und am Chassis verankerten. Hinzu kam für die Elektrotechniker das Batteriemanagementsystem, das die einzelnen Batteriezellen (Grösse: 15 x 12 x 4,5 Zentimeter, Gewicht: 1,4 Kilogramm), deren Spannung und Ladung, permanent überwacht und so für einen sicheren Betrieb der Energiezufuhr im Auto sorgt. Dieses dient am TI-Departement übrigens weiterhin der Forschung.

«Unsere Batteriezellen haben wir bei einer Schweizer Recyclingfirma bezogen und so vor der Vernichtung gerettet», sagt Meer. «Ein Occasionsmarkt existiert in diesem Bereich nicht, jedenfalls nicht in der Schweiz.» Von den 105 Zellen aus zwei Chargen erwiesen sich 96 als brauchbar und wurden im Kofferraum des Audis eingebaut. Dazu hätten sie bei einem Schlosser nach Mass ein Gehäuse lasern lassen.

Zur Triage der Zellen musste das Team intensive Laboranalysen betreiben. Horn erklärt: «Wenn die Batterien in einem Marken-E-Auto ausgetauscht werden, sind sie eigentlich noch gut. Statt 100 Prozent Leistungsfähigkeit haben sie eine Kapazität von rund 80 Prozent. Da in der E-Mobilität die Reichweite das A und O ist, landen die Batterien sehr schnell in der Wiederverwertung.»

In dieser Hinsicht bietet das Retrofitting eine echte Chance, um die Umweltbilanz der Lithium-Ionen-Zellen deutlich zu verbessern, ehe sie letztlich recycelt werden müssen. Da sind sich die drei einig. Allerdings sehen sie die Marktchancen für ausgediente E-Auto-Batterien hauptsächlich als Energiespeicher für Solarstrom. «Ausrangierte Autobatteriezellen kann man im Keller eines Hauses wunderbar als Speicher für Sonnenenergie nutzen, sodass man den Strom nachts von dort beziehen kann», sagt Horn. Das Wissen um diese Zusammenhänge gehört denn auch zu den Pluspunkten, die er und seine Kollegen in ihrer beruflichen Laufbahn brauchen können.

Was das Retrofitting von Autos mit Verbrennungsmotoren zu E-Fahrzeugen angeht, sind die Elektrotechnikabgänger skeptisch. «Selbst wenn man grössere Stückzahlen von Autos des gleichen Typs umrüstet, ist das vermutlich zu teuer, um wirtschaftlich zu sein», sagt Meier. Potenzial sieht er höchstens bei Oldtimern im oberen Preissegment. Hier könne die Ausrüstung mit einem gebrauchten E-Antrieb aus Imagegründen zur Nische für Liebhaber werden.

 

Montage im Schaufenster

Meer gibt grundsätzlich zu bedenken, dass die Autoindustrie für die Umrüstung von Benzin- und Dieselflotten kein Musikgehör habe. Supportanfragen im Projekt zu Markenkomponenten seien von den Herstellern gar nicht erst beantwortet worden. Nach umfangreichen Vorarbeiten zur Beschaffung der Komponenten zu Beginn des Jahres, startete die Bachelorarbeit im April, teils im Labor in Biel für die Batterietests, teils direkt am Auto auf dem Campus in Burgdorf. Der ausgeweidete Audi stand nicht etwa auf dem Parkplatz, sondern in der Eingangshalle des Fachhochschulgebäudes. «Das war der einzige Ort, wo das Auto geschützt vor dem Wetter über Wochen bleiben konnte», erinnert sich Meer.

Obwohl nicht als Schaufenster-Lehrstück geplant, sei die Arbeit schnell zum Publikumsmagneten geworden. «Zeitweise mussten wir alle fünf Minuten jemandem erklären, was wir da machen», sagt er. «Da hätten wir schon fast einen Marketingmanager gebraucht.»

Was die Zusammenarbeit der vier Fachbereiche angeht, so sei diese interessant, aber aufwendig gewesen. Es habe über Sharepoint und Whatsapp viel Absprachebedarf gegeben, weil selten alle gleichzeitig vor Ort waren. Es sei jedenfalls nie so weit gekommen, dass man sich die Arbeit aus der Hand genommen habe.

«Da ist es treffender zu sagen, dass wir uns zwischen den Gruppen die Arbeit zugeschoben haben. Zeitlich wurde es knapp, aber schliesslich kam der grosse Tag, an dem wir Ende Juni mit einer Garagennummer zur ersten Testfahrt aufgebrochen sind. Das war der Morgen vor dem Hagelunwetter, aber wir sind trocken geblieben», sagt Horn.

Und selbst wenn nicht, dem Audi sehe man es an, dass er ein bewegtes Vorleben hatte. «Der hat einige Dellen, aber darin besteht ja gerade der Reiz des Retrofittings: die Ausrüstung einer alten Autokarosserie mit einem – womöglich noch älteren, da nahezu wartungsfreien – Elektromotor und Batteriezellen aus einem E-Neuwagen.»

Info: Mehr Informationen unter www.bfh.ch/ev-retrofit

Dieser Artikel ist eine Co-Produktion des Departements Architektur, Holz und Bau der Berner Fachhochschule und des BT. Die BFH ist als Partnerin in die Themenplanung involviert. Die redaktionelle Hohheit liegt bei der Redaktion.

Nachrichten zu Wirtschaft »