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Chessu vs. Kufa

Ich mag die Kufa: abwechslungsreich, mit Herzblut geführt, einladend. Und doch würde es mir nie in den Sinn kommen, Heiligabend dort zu verbringen.

Hannah Frei
  • Dossier

Nicht etwa, weil man Weihnachten nicht im Club verbringen sollte. Das dachte meine Mutter, als ich mich das erste Mal an Heiligabend raus schlich: «Jetzt wollt ihr ernsthaft noch weg?» Ja, das wollten ich und meine Brüder. Oder sagen wir: Ich wollte mit ihnen, sie liessen es zu. Heiligabend im Club, das ging für mich gut. Aber eben nicht Heiligabend in der Kufa. Ich bin Bielerin. Und wenn Bielerinnen an Heiligabend «umzverrecken» noch in den Ausgang wollen, dann gehen sie in den Chessu. Oder gingen. Der ist ja nun zu, bis dann irgendwann. Chessu-Weihnacht ist also nicht.

Die Kufa wär mir viel zu weit weg, nicht nur geografisch. Raphael Stauffer, der Typ auf dem Bild nebenan, der ist Lysser. Der würde wohl auch nie an eine Chessu-Weihnacht kommen. Lyss und Biel. Kufa und Chessu. Das sind zwei Welten, getrennt von acht Minuten Zugfahrt oder zehn bis 45 Minuten Autofahrt, je nach Verkehrslage. Unüberwindbar. Dabei geht es an der Kufa-Weihnacht wohl ähnlich zu und her wie an der Chessu-Weihnacht: Eintritt kostet nichts, alle sind ein bisschen gelassener als sonst, das Bier ist immer noch, sagen wir nicht das allerbeste – und auch nicht das zweitbeste. Trotzdem sind das zwei Familien, die sich zwar nicht bekriegen, aber auch nicht traurig sind, wenn sie sich nur selten über den Weg laufen.

Nun gibt es aber dieses Jahr weder Kufa-Weihnacht noch Chessu-Weihnacht. Ich und Stauffer dürften das verkraften. Dann knabbern wir halt ein bisschen länger an den Chinoise-Fleischstückchen. Nur kurz dazu: Ich find ja, in diesem Topf voller Bouillon schmeckt alles etwa gleich. Wär ein Versuch mit Tofu wert.

Aber eben: Was wohl an Heiligabend diejenigen machen, die normalerweise nicht mit der Familie zusammensitzen und nur im Club feiern? Diejenigen, die sonst niemanden haben? Oder niemanden haben wollen? Wären die vielleicht von Biel nach Lyss gefahren, wäre die Kufa-Weihnacht nicht abgesagt worden? Hoffen wir, dass an Heiligabend jeder und jede einen Platz findet, um zumindest einen Moment lang zu gedenken – auch wenn es nur dem trostlosen Fleisch im Topf gilt.

Hannah Frei, Verantwortliche Raus!
hannah.frei@bielertagblatt.ch

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