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Ohne Schüss keine Omega

Heute ist der Bieler Bevölkerung der See heilig, für die Entwicklung der Stadt war aber die Schüss zentral. Das zeigt die neu gestaltete Schau «Biel und das Wasser» im Neuen Museum Biel.

Florian Eitel: «Der See war im 19. Jahrhundert völlig irrelevant.» copyright: barbara héritier/bieler tagblatt

Tobias Graden

Wie oft ist schon beklagt worden, die Stadt Biel finde den Zugang zum See nicht. Auch das neu ausgestellte Stadtmodell im Neuen Museum Biel (NMB) verleitet leicht zur altbekannten These: Der aufgeschüttete Bahndamm möge zwar verkehrstechnisch sinnvoll gewesen sein, doch er habe die Stadt vom See abgeschnitten, konstatierte Stadtpräsident Erich Fehr (SP) gerade diese Woche wieder (vgl. BT von gestern). Und die Ursprünge Biels liegen bekanntlich auf einem Hügel, nicht am See. Man könnte also schier zur Einsicht gelangen, die Stadt habe ein problematisches Verhältnis zum Wasser.
Klingt plausibel, bloss: Dem ist nicht so. Auch Biel ist nah am Wasser gebaut. Mehr noch: Ohne Wasser wäre Biel nicht das, was es heute ist. Das zeigt der neu gestaltete Teil «Biel und das Wasser» der Dauerausstellung im NMB.

Energiespender und Kloake
Die Bieler Lebensader war aber lange nicht der See, sondern die aus dem Jura herabfliessende Schüss. «Ohne Schüss keine Omega!», postuliert Florian Eitel, Kurator Geschichte am NMB, «der See dagegen war im 19. Jahrhundert völlig irrelevant.» Und was wäre Biel schon ohne Omega? Doch nicht nur die Uhrenmanufaktur profitierte in der Frühphase der Industrialisierung von der Kraft des Fliessgewässers. Auch der Ort, an dem heute das NMB selber steht, wäre ohne die Schüss nicht so entstanden. Hier befand sich die Indiennes-Manufaktur, eine Stofftuch-Fabrikation, die das Wasser des Flusses zum Auswaschen der Tücher nutzen konnte. Die Bedeutung dieses Industriezweigs war zu seiner Blütezeit enorm: Im frühen 19. Jahrhundert beschäftigte die Fabrik 1000 Mitarbeitende – bei einer Bevölkerungszahl von 3000 Menschen in Biel.
Schon früh entwickelte sich Biel entlang der Schüss, auch im Mittelalter, beispielsweise durch die Mühlen, wie Ludivine Marquis ausführt, Kuratorin Archäologie. Heute dagegen hat der Fluss seine Bedeutung für die Wirtschaft verloren. Naturnah aufgewertet und der Bevölkerung zugänglich gemacht, dient er den Menschen als Naherholungsgebiet.
Zurück in die Vergangenheit. Weiter flussaufwärts, am Ausgang der Taubenlochschlucht, befanden sich die Gebäude der Drahtwerke. Seit dem 17. Jahrhundert waren sei ein innovativer Teil der Exportindustrie, später gar ein Pionier der Elektrizitätswirtschaft, wie Eitel ausführt. 1883 gelang ihnen die europaweit erste elektrische Fernübertragung – es war die Geburtsstunde des späteren Energieservice Biel ESB.
Das Beispiel der Drahtwerke zeigt allerdings ebenso die problematische Seite der Schüss-Nutzung: Sie wurde nicht nur als Energiequelle verwendet, sondern auch als Abwasserkanal: Die Fäkalien der Fabrikarbeiter wurden einfach in den Fluss abgeführt. 1886 reichte darum die Gemeinde Bözingen Klage ein. Das Gericht stellte sich – heutzutage unvorstellbar – allerdings rasch auf die Seite der Drahtwerke: Die Schüss sei ein öffentliches Gewässer, beschied es der Klägerin, jeder dürfe es nach seinem Gusto nutzen. Die Episode mag zwar als historische Anekdote durchgehen, doch als Grundthema ist sie nach wie vor aktuell: Wie soll die Nutzung natürlicher Ressourcen gestaltet sein, dass sie nachhaltig ist?

Wie es früher roch
«Biel und das Wasser» ist neben der Ausstellung der erste Bereich in der Dauerausstellung des Neuen Museums Biel, der in den nächsten drei Jahren komplett neu gestaltet wird. Es gehe «ein Ruck durch das Museum», heisst es in der entsprechenden Mitteilung, «die Dauerausstellung wird Schritt für Schritt erneuert. Sechs Themeninseln widmen sich künftig der kulturellen Geschichte der Stadt und der Region.»
Der «Ruck» geht dabei nicht nur durch die Ausstellungsräume, sondern auch durch das Museum als Institution. 2022 ist es zehn Jahre her, dass das archäologische Museum Schwab und das stadthistorische und kunstgeschichtliche Museum Neuhaus zum Neuen Museum Biel fusionierten. «Nun wollen wir auch inhaltlich richtig zusammenwachsen», sagt Direktorin Bernadette Walter – die neu gestalteten Teile der Dauerausstellung sind Ausdruck und Produkt dieses Prozesses. Alle drei Abteilungen – Archäologie, Geschichte und Kunst – haben zusammengearbeitet und die Ausstellungsinhalte nicht in chronologischer, sondern thematisch gruppierter Darstellung erarbeitet. Gleichwohl umfasst die Schau einen weiten Zeitraum, nämlich von den früheren Pfahlbauern bis zu den heutigen Robotern. Auch szenografisch kommt das NMB in der Jetztzeit an: Textblöcke sind in leicht zu bedienende Bildschirmoberflächen ausgelagert, als Einleitung zum Thema fungiert ein Video des Künstlerduos Haus am Gern, das die Taubenlochschlucht mit einer Drohne abgeflogen hat. Hinzu kommt: Die Schau soll nicht nur altmodisch belehren, sondern partizipativ sein und alle Sinne ansprechen.
Auch den Geruchsinn, wie gleich eingangs zu erleben ist. Wer den runden Deckel bei der ersten Station öffnet, dem schlägt ein beissender Odeur entgegen. Eingefangen hat ihn Florian Eitel in Steffisburg bei der Gerberei Zeller, einer der letzten in der Schweiz. Die Gerberei – die Verarbeitung von rohen Tierhäuten zu Lederwaren wie Bucheinbänden oder Wassereimern – war ein zentrales Gewerbe im Mittelalter und darüber hinaus. Ihre Abfälle landeten einfach in den Gassen, bis sie der Regen wegspülte. Das führte zu einem ganz spezifischen, nicht eben wohlriechenden Duft in den Siedlungen. Jean-Jacques Rousseau, nach seinem Aufenthalt auf der St. Petersinsel nach Biel gekommen, beklagte sich jedenfalls bitterlich darüber: Seine Bleibe sei «eine hässliche, kleine, rückwärts gelegene Kammer im dritten Stock nach dem Hof zu, wo ich meine Augen an dem Gerüst stinkender Häute eines Samischgerbers weiden konnte», schrieb er über seinen Aufenthalt in Biel. Die Zeit auf der Petersinsel bezeichnete er als die schönste seines Lebens, in Biel dagegen hielt er es gerade mal drei Tage aus.

Als niemand baden mochte
Vier Themenfelder werden in «Biel und das Wasser» behandelt: «Die Schüss als Lebensader», «Sauber und gesund», «Ein See für alle und alles», flankiert von einer Bildergalerie, die vornehmlich Seemotive bietet. Der See hat die Künstler in der Vergangenheit stark beschäftigt: Alleine in der Sammlung des NMB finden sich über 300 Darstellungen des Bielersees.
Dieser war aber längst nicht immer so sauber wie heute. Noch 1969 badete fast niemand darin, wie im Bereich «Ein See für alle und alles» festgehalten wird. Das Strandbad habe zwar viele Eintritte verzeichnen können, hielt der Gemeinderat damals fest, allerdings sei es vor allem zum Sonnenbaden genutzt worden. Im See geschwommen sei wegen des schmutzigen Wassers fast niemand.
Dabei kannte man das Bad als soziale Praxis schon in der Römerzeit, wie ein Film zeigt, der auf Basis der Forschungserkenntnisse aus der Römervilla in Port entstanden ist. In Biel selber gab es dann im Mittelalter zwei Badehäuser. Der totale Paradigmenwechsel in der Beziehung zum Wasser erfolgte aber erst spät. Bis in die 1950er-Jahre hinein hatten nur wenige Wohnungen in Biel einen Wasseranschluss. Doch dann kam mit dem Wirtschaftswachstum in der Nachkriegsära die grosse Demokratisierung des Wohlstands – und damit auch der Quantensprung im Wasserverbrauch. Waren dies um 1920 noch 20 Liter pro Kopf und Tag, so waren es 1977 rund 500. Seither ist diese Menge wieder gesunken – und das Wasser im See glücklicherweise sauberer geworden.
Info: Vernissage morgen ab 11 Uhr, um 13 Uhr präsentiert Florian Eitel die Ausstellung «Biel und das Wasser».

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