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Kommentar

Grassierender Realismus

Die offizielle Schweiz ist nicht ein Land, das vor Gestaltungskraft strotzt. Das zeigt sich beispielsweise in der grossen ungelösten aussenpolitischen Frage, dem Verhältnis zur EU.

Bild: Tobias Graden, stv. Chefredaktor

Hier hat die Schweiz auf Stand-by gestellt und scheint zu hoffen, dass sich mit der Zeit irgendwie irgendeine Lösung ergeben wird. Ein ähnliches Prinzip lässt sich in der Bewältigung der Coronakrise beobachten. Hier hat sich der Bundesrat zuletzt vor allem durch Abwarten hervorgetan, was ihm durchaus Kritik eingebracht hat. Ausländische Beobachter reiben sich bisweilen gar verwundert die Augen, etwa wenn an einem Skirennen das Publikum dicht an dicht steht und sich niemand mehr gross um das Virus kümmert. Fachleute sehen denn auch die Lage keineswegs gelassen: Erst vorgestern warnte die Taskforce wieder vor dem Risiko stark steigender Hospitalisationszahlen.

Doch im Bundesrat grassiert der Realismus. In erster Linie verkürzt er Quarantäne- und Isolationsfristen, damit die Maschine Schweiz nicht allzu heftig stottert. Die Lage ist ungewiss: Die Ansteckungszahlen sind zwar so hoch wie noch nie, auf den Intensivstationen scheint sich die Situation aber tatsächlich langsam zu entspannen. Es ist möglich, dass dies wieder ändert – es ist aber auch denkbar, dass es so weitergeht.

Nach bald zwei Jahren Pandemie kommt damit immer mehr ein Prinzip zum Tragen, das zuletzt zu Unrecht viel gescholten wurde: die Eigenverantwortung. Die Omikron-Welle läutet wohl die endemische Phase ein, das sehen viele Experten so. Das heisst: Wir werden nun mit dem Virus leben, der Staat wird zunehmend weniger sagen, wie. Noch gibt es Sicherheitspuffer, aber grundsätzlich hat der Bundesrat gestern diesem Prinzip Rechnung getragen.

Tobias Graden, stv. Chefredaktor

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