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Gericht

Keine Tierquälerei, aber Hausfriedensbruch

Ein Tierschützer wird wegen Tierquälerei angeklagt. Wie das geht? Tobias Sennhauser wollte auf Missstände in der Hühnermast hinweisen – und landete vor Gericht.

Tobias Sennhauser (ohne Plakat), Präsident der Tierrechtsorganisation Tier im Fokus, stand in Burgdorf vor Gericht. Bild: Beat Mathys

Regina Schneeberger

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: ein Tierschützer, der wegen Tierquälerei vor Gericht steht. Beschuldigter im Prozess, der gestern am Regionalgericht Emmental-Oberaargau verhandelt wurde, war nämlich niemand Geringeres als Tobias Sennhauser, Präsident der Tierrechtsorganisation Tier im Fokus.

Er musste sich wegen mehrfachen Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz verantworten. Angezeigt haben ihn drei Landwirte, in deren Masthallen Sennhauser eindrang, um Videoaufnahmen zu machen. Die Filme wurden später übers Internet und verschiedene Medien verbreitet. Sennhauser wollte damit auf aus seiner Sicht herrschende Missstände in der Massentier­haltung aufmerksam machen.

Auch den Behörden liess der Aktivist die Videos zukommen, erstattete Anzeige gegen die Bauern wegen Verstössen gegen das Tierschutzgesetz. Zu einer Anklage kam es allerdings nicht.

 

Im Berufsstolz verletzt

Sennhauser hingegen erhielt einen Strafbefehl von der Staatsanwaltschaft. Er bekam eine bedingte Geldstrafe von 2500 Franken und Bussen und Gebühren von 1000 Franken aufgebrummt. Gegen den Strafbefehl erhob er Einsprache. Darum beschäftigte sich nun das Gericht mit dem Fall. Und dieses sprach ihn in den schwerwiegendsten Anklagepunkten frei: Weder wegen Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz noch wegen Sachbeschädigungen muss er sich verantworten. Richterin Tania Sanchez verurteilte ihn einzig wegen mehrfachen Hausfriedensbruchs. Die bedingte Geldstrafe reduziert sich auf 650 Franken, die Busse auf 150 Franken. Tragen muss er zudem ein Drittel der Verfahrenskosten.

Bevor es zum Urteil kam, wurden an diesem Vormittag aber Kläger und Beschuldigter ein­vernommen. Auf der einen Seite sind die drei Landwirte. «Ich fühle mich in meinem Berufsstolz verletzt», sagte einer der Kläger. Er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, das zeige auch der Bericht des Veterinäramts. Die Bauern gaben zu Protokoll, sie hätten alle Türen abgeschlossen. Sennhauser soll jeweils ein Loch ins Aussengehege geschnitten haben und so in die Halle gelangt sein.

Der Beschuldigte weist die ­Vorwürfe von sich. Er sei durch offene Türen oder ein bestehendes Loch im Zaun hineingelangt. Dass er, der sich für die Rechte der Tiere einsetzt, wegen Tierquälerei angezeigt ist, findet Sennhauser besonders absurd. Er habe erst geklopft, habe sich so angekündigt, um die Tiere nicht zu erschrecken. In der Halle selbst habe er sich vorsichtig und langsam bewegt. Zudem habe er einen Schutzanzug getragen, um keine Krankheiten einzuschleppen. Mit den Ausführungen reagierte Sennhauser auf den Strafbefehl. Darin heisst es nämlich, dass durch das unbefugte Eindringen die Tiere gestresst worden seien.

Unterstützung erhielt er von seiner Anwältin. «Ich traue den Hühnern ja viel zu, aber sie können nicht zwischen befugtem und ­unbefugtem Betreten unterscheiden», sagte sie. Ihr Mandant sei in allen Anklagepunkten freizu­sprechen. Auch vom Hausfriedensbruch. Obwohl er zugab, in die Hallen eingedrungen zu sein. Er habe damit ein übergeordnetes öffentliches Interesse verfolgt, habe sich für den Tierschutz und die Transparenz eingesetzt.

Er wolle auf Missstände bei der sogenannten «besonders tierfreundlichen Stallhaltung» (BTS) aufmerksam machen, sagte Sennhauser. Wer die BTS-Normen des Bundes einhält, erhält Direktzahlungen. «2,5 Prozent der Tiere verenden bei dieser Haltung qualvoll», so der Tierschützer. Besonders stossend sei, dass eine solche Haltung mit Subventionen unterstützt werde.

Seine Worte zeigen: Sennhauser nutzte den Prozess gleich, um auf seine Anliegen aufmerksam zu machen. Bereits am Morgen versammelten sich vor dem Gerichtssaal in Burgdorf ein halbes Dutzend seiner Mitstreiter und hielten Plakate in die Luft.

 

Andere Wege wählen

Richterin Tania Sanchez anerkannte in der Urteilsbegründung zwar, dass es sich bei der Umsetzung des Tierschutzgesetzes um ein öffentliches Interesse handle. Allerdings hätte der Beschuldigte andere Wege wählen können, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Er hätte etwa Anzeige erstatten können, ohne das Video als Beweismittel. So verurteilte sie Sennhauser wegen Haus­friedensbruch. Dass er die Drahtgitter bei den Aussengehegen aufgeschnitten hat, kann ihm jedoch nicht nachgewiesen werden.

Beweismaterial gibt es dafür in Sachen Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz. Dieses liefert Sennhauser mit seinen Videos gleich selbst. Die Hühner hätten gestresst reagiert, das sei auf den Aufnahmen ersichtlich, so Sanchez. Sie seien aber nicht nachhaltig geschädigt worden. Zumal Sennhauser sämtliche Massnahmen getroffen habe, um die Hühner nicht unnötig zu erschrecken. Der Tierschützer wird also von der Tierquälerei freigesprochen.

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