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Filmkritik

"Wunderschön": Dellen gehören dazu

Der Episodenfilm "Wunderschön" von Schauspielerin und Regisseurin Karoline Herfurth porträtiert fünf Frauen und ihre Auseinandersetzung mit Optimierungswahn, Körperkult und Selbstliebe. Herfurths Spielfilm schafft den Spagat zwischen Drama und Komödie dank den tollen Schauspielerinnen.

Nimmt sich nur noch als «Milchstation» wahr: Sonja (Karoline Herfurth).

von Sarah Sartorius

«Gott war frauenfeindlich: Er lässt uns bluten, gebären, schwitzen und wenn wir alt sind, gönnt er uns keinen Spass mehr», so das ernüchternde Fazit einer Figur im Spielfilm «Wunderschön». Sie versucht ihrer Arbeitskollegin Frauke, die sich in ihrer Ehe und ihrem Alltag gefangen fühlt, Mut zu machen, sich jetzt einfach mal das zu nehmen, was sie braucht zum glücklich sein.

Frauke, wunderbar sehnsüchtig gespielt von Martina Gedeck, ist eine von fünf Frauen aus verschiedenen Generationen, denen die Schauspielerin und Regisseurin Karoline Herfurth in «Wunderschön», einer Komödie mit Tiefgang, eine Stimme gibt.

Fraukes Kinder sind ausgezogen, ihr Mann (Joachim Król) frisch pensioniert und etwas verloren und plötzlich stört sie vor lauter Alltagsfrust bereits nach dem Aufstehen die alte Kaffeekanne und die graue Wand zwischen Küche und Esszimmer, die endlich weg soll. Dass der – ziemlich klischiert gewählte – Tangokurs ihrem Mann nicht zusagt, war zu erwarten. «Das kann es doch nicht gewesen sein!»: Sie hat Lust auf Tanzen, sie sehnt sich nach Zuneigung, danach, begehrt zu werden. Sie sei ja noch nicht tot, konstatiert sie traurig.

Mit ganz anderen Problemen hat Sonja (Karoline Herfurth) zu kämpfen: Sie versinkt mit zwei kleinen Kindern in Selbstmitleid und Bergen ungewaschener Wäsche, ihr soeben beförderter Mann ist kaum zuhause. Sich selbst nimmt sie nur noch als «Milchstation» wahr und verspürt dabei zusätzlich den Druck, attraktiv aussehen zu müssen. Der Gang zum Schönheitschirurgen, mit der Bitte um ein «Mommy Makeover», sprich, der Entfernung dessen, was nach der Schwangerschaft an ihrem Körper haftet und der Optimierung ihres «Lovechannels», ist der letzte verzweifelte Versuch, ihrem Dasein als mit Milchpumpen behängte Mutter mit Milchflecken auf der Bluse zu entfliehen.

Selbstoptimierung, Idealbilder und das ewige Los als Frau sowohl eine fürsorgliche Mutter zu sein, erfolgreich mit beiden Füssen im Arbeitsleben zu stehen und dazu noch den perfekten Körper zu haben, wird hier anhand dieser fünf Frauenschicksalen vorgeführt.

Unter den Frauen, die in diesem Episodenfilm alle irgendwie miteinander verhängt sind, ist auch das junge Model Julie. Ihr Leben ist nur noch davon bestimmt, ihre XS-Masse beizubehalten, dabei merkt sie fast zu spät, dass sie sich selbst abhanden gekommen ist.

Die Schülerin Leyla hingegen muss sich erst noch mit ihrem Körper, der etwas mehr Platz einnimmt, anfreunden. Denn positive Körperbilder werden zwar in den Sozialen Medien gehypt, dass heisst aber noch lange nicht, dass sie auch im Klassenzimmer angekommen sind.

Nora Tschirner spielt mit Gusto die coole, schusselige Kunstlehrerin Vicky, die sich mit dem «Konzept der romantischen Liebe» partout nicht abfinden will und versucht, ihren mässig motivierten Schülerinnen und Schülern Empowerment beizubringen: «Wir verpassen den Film unseres Lebens, weil wir in der Werbepause hängen geblieben sind!»

Dass Body Positivity ein Anliegen von Tschirner ist, hat sie bereits als Protagonistin und Co-Produzentin des Dokumentarfilms «Embrace» (2017) demonstriert, der den Gründen dafür nachgeht, weshalb, laut einer Umfrage, 90 Prozent aller Frauen unzufrieden mit ihrem Körper sind.

Herfurth gelingen in ihrem dritten Langspielfilm als Regisseurin berührende Momente, etwa die Interaktion zwischen Julie und ihrem kleinen Nachbarsmädchen, das vom Druck der Schönheitsideale noch befreit ist, oder das sensible Porträt Martina Gedecks, einer Frau auf der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt.

Die Regisseurin spricht in «Wunderschön» wichtige Themen an und dass in einem leichten, oft komödiantischen Tonfall – wobei sie dabei manchmal nur knapp an Klischees und Stereotypen vorbeischrammt.

Schade ist der Film stellenweise zu sehr mit Musik zugekleistert, lösen doch die Schicksale der Frauen mehr als genug Emotionen aus. Und braucht es zum absoluten Glück jeder Frau tatsächlich zwingend einen Mann an ihrer Seite? Dies suggeriert das Ende des Films, an dem sich sogar die emanzipierte Vicky auf den nicht locker lassenden Arbeitskollegen einlässt. Gerade Frauke hätte man einen Ausbruch aus ihrem starren Alltag, einen zweiten Frühling gewünscht, statt einer Versöhnung mit ihrem Mann. Ein Flirt mit dem Tangolehrer ist dann doch etwas wenig.

Etwas enttäuschend auch für einen Film, der mehr Authentizität predigt und für den Herfurth angeblich erst zehn Kilo zunehmen musste, um den Schwabbelbauch und die Dellen hinzukriegen. Hut ab, dass sich der Film an Tabuthemen wie Vaginalfürze nach der Schwangerschaft wagt und dies auch noch witzig verpackt. Richtig mutig wäre es aber gewesen, einen tatsächlich von der Schwangerschaft gezeichneten nackten Körper zu zeigen.

Doch der Film schafft es, erneut das Augenmerk auf den Perfektionswahn, der den weiblichen Körper immer noch permanent begleitet, zu richten und dies mit Humor und ohne Mahnfinger, und damit ist schon viel erreicht.

Info: In den Kinos Beluga, Lido 1 und Bluecinema, Biel; auch in Grenchen.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Sarah Sartorius *** (von 5 Sternen)

Stichwörter: Filmkritik

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