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Post-Corona-Zeit 

Wie die Jugend zurück ins Leben will

In welcher Verfassung kommen junge Menschen nach zwei Jahren aus der Pandemie? Drei Gespräche über Partylaune, Planungsängste und eine Zukunft ohne schlechtes Gewissen.

Bilder: Nicole Philipp, Christian Pfander

Anouk Spahr: «Alles war plötzlich kurzfristig»

Anouk Spahr will nichts von einer verlorenen Jugend wissen. Auch wenn alles völlig anders kam, als sie es ursprünglich geplant hatte. Eigentlich hatte sie vor, nach abgeschlossener Matura am Gymnasium Hofwil in Münchenbuchsee nach Frankreich zu gehen. «Ich wollte auf Bauernhöfen arbeiten und die Sprache vertiefen.» Doch als die Pandemie über das Land zu rollen begann, war die Idee schnell gestorben.

Spahr fand sich in einer schwierigen Situation wieder. Ohne Plan, Idee oder konkrete Vorstellungen über ihre Zukunft beendete sie ihre Schulzeit. Corona legte das Land lahm und auch bei Spahr zeigten sich Motivationsprobleme – zumindest was ihr Studium betraf. Sie schrieb sich an der Universität Freiburg ein, studiert hat sie dort aber nie. «Ich sträubte mich gegen Onlineunterricht, deshalb entschied ich mich gegen das Studium.»

Heute sieht sie das als glückliche Fügung. «Was ich während der Pandemie erlebt habe, blieb ­vielen vor mir verwehrt.» Sie ­begann, flexibler zu denken und spontaner zu leben. «Alles war plötzlich kurzfristig.» Sie arbeitete sich durch eine Reihe verschiedenster Jobs. Sie half bei der Bearbeitung der Website der Müller Reformhaus AG, machte ein Praktikum bei der «Berner Zeitung», war im Service beschäftigt und half in einem Impfzentrum mit. «So sammelte ich viel mehr Kompetenzen, als ich das je auf einem französischen Bauernhof hätte tun können.»

 

Die kleinen Dinge

Spahr spricht von einer Zeit, die Kreativität gefordert habe. Denn die pandemiebedingte Pause habe vielen in ihrem Alter zu schaffen gemacht. «Dabei will man sich in das Leben eingeben, ausziehen, Geld verdienen, autonom werden.» Wie mit diesem leeren Zeitfenster umgegangen wurde, sei in ihrem Bekanntenkreis sehr unterschiedlich gewesen. «Einige gingen im Nichtsmachen unter. Andere füllten die Zeit mit vielen kleinen Dingen, so wie ich.»

So brachte die Pandemie Spahrs Leben nie zum Stillstand. Im Gegenteil. Vor einem Jahr kaufte sie sich einen alten Bus und reparierte ihn. Seit das Reisen wieder möglich ist, war sie viel unterwegs. «Einmal fuhren wir bis nach Albanien.» Auch ihre berufliche Zukunft scheint in weiter Ferne zu liegen. Zwar studiert sie inzwischen in Basel, doch ­völlig überzeugt ist sie vom Onlineunterricht immer noch nicht.

 

Julia Grieb: «Mich hat alles angeschissen»

Julia Grieb wollte auf jeden Fall nach Südamerika, vielleicht auch noch nach Afrika. Doch ihr Bewegungsradius reichte im Sommer 2020 kaum über die Wohnung ihrer Eltern hinaus. So hatte sie sich die Zeit nach der Matura nicht vorgestellt. Das geplante Zwischenjahr schrumpfte auf sechs Monate zusammen. Grieb arbeitete im Voi. Das verdiente Geld wurde jedoch nicht in Flugtickets investiert, sondern landete auf dem Sparkonto. Das sollte aber auch sein Gutes haben. Doch dazu später.

Zuerst einmal war alles recht schlimm. «Ich hatte das Gefühl, den Zeitpunkt, um ausgiebig zu reisen, verpasst zu haben.» Und nicht nur das machte ihr zu ­schaffen. «Mich hat grundsätzlich alles angeschissen. Vor der Pandemie war ich gern unterwegs und traf viele Leute.» Auf einmal war das nicht mehr möglich. Auch heute fühlt sie sich nicht gänzlich wohl im Ausgang. Das hat seine Gründe. «Über Weihnachten habe ich mich an einer Party angesteckt. Das blieb mir von da an immer im Hinterkopf.»

Keine schreckliche Zeit

Dennoch geht sie gnädig mit den vergangenen zwei Jahren um. Es sei keine schreckliche Zeit gewesen. «Sie war oft nervig, aber auszuhalten.» Grieb relativiert aber. Sie habe früh angefangen, in den Ausgang zu gehen. «Dadurch habe ich schon viel vorgeholt, das mir später gefehlt hätte.» Die Festivals im Sommer habe sie aber schon sehr vermisst.

Das führte sie aber in eine komfortable Lage, in der sie ohne Pandemie kaum gelandet wäre. Denn nun hatte sie Zeit und Geld. Von ihrem Job bezahlte sie die Autoprüfung und konnte es sich leisten, von Zuhause auszuziehen. «Wäre ich reisen gegangen, wäre das niemals möglich gewesen.» Doch eines hat sie dennoch beschäftigt. «Das Gefühl, dass kein Ende in Sicht ist, machte mir Mühe.»

Dieses Gefühl der Ungewissheit hat sich gelegt. Dafür macht sich Vorfreude breit. «Ich freue mich darauf, kein schlechtes Gewissen mehr haben zu müssen.» Dieses habe sie oft begleitet, als sie sich in den letzten Jahren mit Leuten getroffen habe. Die Angst, jemanden anzustecken oder angesteckt zu werden, hat sie sehr vorsichtig gemacht. «Ich bin froh, wenn bald wieder eine gewisse Grundruhe einkehrt.»

Und das Reisen? «Das habe ich jetzt auf die Zeit nach dem Studium verschoben.» Ins Ausland könnte es trotzdem noch gehen. «Vielleicht mache ich ein Auslandssemester.»

 

Ava Wüthrich: «Nicht nur an die Maturaarbeit denken»

So hatte sich Ava Wüthrich ihren 16. Geburtstag nicht vor­gestellt. Anstatt im Ausgang musste die Thunerin  zu Hause feiern. Dabei hätte im neuen ­Lebensjahr alles anders werden sollen. «Ich wollte an viele Partys, an Raves im Café Mokka. Sachen, die Menschen in meinem Alter eben machen.» Es folgten lange Monate in den ­eigenen vier Wänden. «Das war mühsam. Es war recht langweilig und mental ging es mir nicht so gut.»

Dies auch, weil sich bei ihr ein gewisses Ohnmachtsgefühl entwickelte. «Wir Jungen mussten immer alles mitmachen, konnten aber nie etwas dazu sagen. Alle Alterskategorien sind in der Politik vertreten, ausser wir.» Ava wünschte sich, man hätte die Jugend mehr miteinbezogen. Das habe sie verdient. «Die Jugendlichen haben grosse Solidarität gezeigt und ihre Interessen hinten angestellt.» Sämtliche Massnahmen seien mitgetragen worden, und dies mit grossem Durchhaltewillen. «Dabei haben wir die grössten Einschränkungen im Vergleich zum persönlichen Risiko erlitten.»

Heute ist Ava 17 und will endlich die Vorzüge nutzen können, die das Erwachsenwerden mit sich bringt. Sie hat bereits konkrete Vorstellungen. «Am meisten freue ich mich darauf, mit Kolleginnen in die Ferien zu ­fahren.» Vor der Pandemie sei sie dafür zu jung gewesen. Jetzt soll es im Sommer nach Italien auf einen Campingplatz gehen. «Irgendwo in der Nähe des Meers.»

Vorfreude und Sorge

Zu aller Vorfreude mischt sich ­jedoch auch ein gewisser Zeitdruck. «Die Gymerzeit ist fast vorbei. Jetzt ist der Moment, um noch unbeschwert Spass haben zu können.» Gleichzeitig habe sie einiges aufzuholen. Deshalb gilt für den kommenden Sommer folgende Regel: «Nicht zu Hause herumhocken. Auch auf Partys gehen, wenn es schon spät ist. Offen sein, um ‹Schissdräck› zu machen. Nicht nur an die Maturaarbeit denken.»

Trotz all diesen Vorsätzen schaut Ava auch mit einer gewissen Skepsis den kommenden Monaten entgegen. «Ich habe ­etwas Angst, dass die Massnahmen zu schnell aufgehoben werden und wir dann wieder im Lockdown landen.»

Texte: Martin Erdmann

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