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Biel

In diesen Kisten stecken ganze Gärten

Diese Woche startet die Bieler Saatgut-Börse. An sechs Standorten in der Region kann man Samen mitnehmen oder tauschen. Gewisse Sorten sind aber nicht erlaubt.

Am Freitag haben Janosch Szabo, Katja Blahak und Prisca Müzu (von links) die Tauschkisten mit Samen gefüllt. Bild: Raphael Schaefer
Sarah Grandjean
 
Man hat das Gefühl, die Menschen, die in Janosch Szabos Wohnung am Bieler Berghausweg sitzen, hätten alle Zeit der Welt. Der Tisch ist übersät mit Papier, Klebeband, Stiften, Teelöffeln und Konfitürengläsern mit Samen drin. Es riecht nach Zimttee, Bleistift kratzt über Papier. Nebst Szabo sitzen hier Katja Blahak aus Biel, Prisca Müller-Zuber «Müzu» aus Magglingen und Hans Schnyder aus Orvin. Die vier gehören zum Organisationskomitee (OK) der Bieler Saatgut-Börse, und ihr Ziel ist es, die Menschen für die Vielfalt und Wichtigkeit der Pflanzenwelt zu sensibilisieren.
 
Die Bieler Saatgut-Börse findet heuer bereits zum siebten Mal statt. Früher war dies ein ganztägiger Anlass, an dem Hobbygärtnerinnen und -gärtner Saatgut tauschen, Vorträge hören und sich mit Gleichgesinnten austauschen konnten. Seit Corona funktioniert die Börse etwas anders. Wer mitmachen wollte, konnte Janosch Szabo bis letzte Woche Samen aus dem eigenen Garten bringen, verpackt oder unverpackt. Letztere haben die vier am Freitag in selbst gefaltete Papierbriefchen abgefüllt und mit Sortenname sowie Ort und Datum der Ernte beschriftet. Da gibt es zum Beispiel: Knoblauchsrauke, 2021, Magglingen. Wiesensalbei, 2021, Biel. Tomate Schneewittchen, 2021, Biel. 
 
Die Briefchen wurden dann auf mehrere Kisten verteilt, jeweils unterteilt in Blumen, Kräuter und Gemüse. Seit gestern stehen diese an sechs Orten in Biel und der Region (siehe Infobox). Wer will, kann dort Samen gegen solche aus dem eigenen Garten tauschen oder ein paar Briefchen mitnehmen; es steht ein Kässeli für Kollekte bereit. Jeder Standort wird von einer Person aus dem OK betreut, die die Kiste regelmässig auffüllt. Wichtig: Tauschen darf man nur Samen, die nicht gentechnisch verändert wurden. Auch Hybrid-Saatgut sowie invasive und wuchernde Arten sind nicht zugelassen (von Letzteren findet sich auf der Website der Bieler Saatgutbörse eine Liste). 
 
Tauschen wie früher
 
Die Idee einer Saatgut-Börse ist entstanden, als Szabo vor einigen Jahren an einem «Samensonntag» in Basel war, einer Veranstaltung, an der man Saatgut tauschen konnte. Dies habe ihn inspiriert. Früher, als es noch keine Grosskonzerne gab, die optimiertes Saatgut verkauften, hätten Landwirte auch ihr eigenes untereinander getauscht. Diese Tradition wollte Szabo im kleinen Rahmen wiederbeleben. Und deshalb gibt es seit 2016 die Bieler Saatgut-Börse. Die erste mit 30 Teilnehmenden fand in seiner eigenen Wohnung statt, die folgenden mit rund 150 Personen gingen im Infoquartier Mett über die Bühne und seit letztem Jahr gibt es eben die Tauschkisten statt der Veranstaltung.
 
Zwar fehle der Austausch mit anderen Gärtnerinnen, sind sich die vier einig. Die Kisten kämen aber gut an: Letztes Jahr habe es ein «regelrechtes Gerenne» auf die Samen gegeben, so Blahak. Man habe gespürt, dass durch die Pandemie viele Menschen das Gärtnern für sich entdeckt haben.
 
Wie viele Samen an diesem Freitag in Briefchen verpackt wurden, wissen die Organisatoren nicht zu sagen. Es seien wohl hunderte von Briefchen, tausende von Samen. Das Verpacken ist ein grosser Aufwand, an dem sie nichts verdienen. Was an Kollekten zusammenkommt, fliesst zurück ins Projekt oder wird gespendet. Was ist ihre Motivation? «Ich möchte andere für etwas begeistern, woran auch ich Freude habe», sagt Szabo. Er steuert Samen von 50 verschiedenen Tomatensorten zur Börse bei. Anders als Pflanzen aus Hybrid-Saatgut, das sowohl in der traditionellen als auch in der biologischen Landwirtschaft häufig verwendet wird, seien seine Pflanzen zwar anfälliger und weniger ertragreich. Dafür seien die Tomaten kräftiger im Geschmack. Und sie lassen sich – im Gegensatz zu Hybrid-Saatgut – immer weiter vermehren.
 
Wissen erhalten 
 
Einer, der sich von Szabos Begeisterung anstecken liess, ist Hans Schnyder, der dereinst als Selbstversorger leben möchte: Dieses Jahr wird er 24 verschiedene Tomatensorten anpflanzen – manche einzig mit dem Zweck, sie zu vermehren. «Heute findet man kaum noch Gemüse, das nicht belastet ist», so Schnyder. Er finde es wichtig, natürliche Samen und das Wissen darüber, wie sie sich vermehren lassen, weiterzutragen.
 
Wenn Menschen mehr eigenes Gemüse anpflanzen, müsse man weniger importieren und könne lange Transportwege vermeiden, sagt Szabo. Dazu braucht es keinen grossen Garten, auch auf dem Balkon lassen sich Kräuter und Gemüse ziehen. Und Müzu ergänzt: Im Seeland herrsche ein Klima, in dem vieles gut gedeihe. Ein Setzling aus einem Samen, der aus der Region stammt, sei unter Umständen witterungsbeständiger als andere, weil er sich an örtliche Eigenheiten wie zum Beispiel Bise und Frost angepasst hat. Müzu selbst hat sich den Wildkräutern verschrieben. Zusammen mit ihrem Ehemann pflegt sie in Magglingen einen eigenen Kräutergarten, gibt Kurse und stellt Produkte wie Tee, Öle und Tinkturen her.
 
Katja Blahaks Leidenschaft sind Wildblumen. Seit Jahrzehnten pflückt sie unterwegs Blumen, lässt sie absamen und streut die Samen dann in Stadt und Natur. Manche Pflanzen werfen 200 bis 300 Samen ab, so Blahak, und wenn zum Beispiel Vögel sie aufpicken und wieder ausscheiden, werden sie weiter gestreut. Sie als Grossmutter hofft, durch die Saatgut-Börse auch Kinder für die Vielfalt der Natur zu sensibilisieren. In schwungvollen Buchstaben schreibt sie ein nächstes Papierbriefchen an: Edelwicke, 2020, Magglingen.
 
Info: Mehr über das Projekt: www.bielersaatgutboerse.ch
 
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Hier stehen die Tauschkisten
 
An folgenden Orten können bis am 21. März Samen getauscht werden:
Der Ort, Marktgasse 34, 2502 Biel  
Infoquartier Mett, Poststrasse 41, 2504 Biel  
Bio Reformhaus Nidau, Hauptstrasse 46, 2560 Nidau
Epicerie 79a, Schützengasse 79a, 2502 Biel  
Epicerie Macolin, Hauptstrasse 226, 2532 Magglingen                                                   
Le Magasin in Orvin, Route d’Evilard 2, 2334 Orvin  sg

 

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