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Kriegsberichterstattung

Im TV sind alle schuld – ausser Russland

Keine Toten, keine Raketen, keine Flüchtlinge und eigentlich auch kein Krieg: 
Wie das Staatsfernsehen den Russinnen und Russen erklärt, was in der Ukraine passiert.

Bild: Keystone

Zita Affentranger

Das Erste, was die russischen ­Zuschauerinnen und Zuschauer erfahren: Wladimir Putin ist nun nicht mehr nur einfach Präsident, sondern «Präsident und Oberkommandant». Weshalb seine offizielle Funktion geändert wurde, bleibt für die Zuhörenden etwas schwer verständlich, denn von Krieg ist nicht die Rede, der Gebrauch des Wortes in Zusammenhang mit der Ukraine ist in Russlands Medien verboten worden.

 

Keine Rede 
vom K-Wort

«Russland ist zur Tat geschritten, weil es vom Westen keine Antworten auf seine Forderungen bekommen hat», sagt der Journalist Dmitri Kisseljow in seiner Wochensendung «Westi Nedeli». Die USA hätten diese Woche die Diplomatie aufgegeben, beklagt er. «Sie sollen Russland nicht hören und schon gar nicht zuhören.» Stattdessen hätten sie «die Ukraine gegen Russland und gegen sich selber aufgehetzt». Von Invasion, Überfall, Raketenbeschuss und Beginn des Häuserkampfs im Osten des Landes ist keine Rede.

Die USA hätten die Ukraine zu einem Antirussland unter Kontrolle der Nato gemacht, zitiert er Putin. Und nun habe Russland es auf sich genommen, Europa erneut vom Nazismus zu befreien. Bilder zeigen angebliche ukrainische Stellungen in Wohngebieten, das seien Methoden von Terroristen. «Das russische Militär beschiesst keine Wohngegenden», sagt ein Vertreter der Streitkräfte. Das russische Publikum muss daraus verwirrt schliessen, dass man wohl doch im Krieg ist.

Der längste Beitrag widmet sich der «Befreiung» der Gebiete im Osten der Ukraine, die Putin vor einer Woche als unabhängig anerkannt hat. In der Reportage aus der Region Donezk sind die Soldaten in ausgelassener Stimmung, er könne jetzt bald nach Hause gehen, sagt einer in die Kamera, «und schöne Grüsse an alle». Die Strassen sind leergefegt, obwohl doch offenbar alles unter Kontrolle ist, der Reporter wirft einen Blick in einen Keller, wo drei Frauen lauthals über die Ukraine schimpfen. Nichts von harten Kämpfen mit der ukrainischen Armee und Hunderten Toten auf beiden Seiten. Opfer gibt es nicht in den Beiträgen, schon gar nicht russische.

Zwar unterschlägt das russische Fernsehen den Raketenbeschuss in Kiew nicht. Aber natürlich war es nicht die russische Armee. Schuld sind jene, die das ukrainische Volk «terrorisieren», also die ukrainische Regierung. Es folgt eine Liste von militärischen Objekten, welche die russische Armee zerstört habe.

Der Krieg findet nur in Form von vernichteten Panzern und westlichen Hightechwaffen statt. Von Widerstand der ukrainischen Armee ist nicht die Rede, von Rückschlägen schon gar nicht. Die Armee habe «Tschernobyl unter Kontrolle», das sei auch nötig, weil Kiew eine ­Atombombe bauen wolle.

Und dann führt Russland entgegen den internationalen Abkommen Gefangene vor. Einer telefoniert gerade nach Hause, alles sei gut, sagt er, sie sollten sich keine Sorgen machen. Wenn sie kapitulierten, könnten alle nach Hause, heisst es im Beitrag. Die Ukraine sei nun auf dem Weg der Besserung, sagt Kisseljow. Eine «gesunde Transformation» habe begonnen.

 

Russen, die die Operation infrage stellen, sind Verräter

Und die verzweifelten Ukrainer und Ukrainerinnen in den Kellern und Metrostationen, die sich vor den russischen Angriffen in Sicherheit bringen? Ja, westliche Medien berichteten natürlich ­darüber, wie die Menschen in Kiew oder Charkiw «ein paar Tage» dort verbringen, sagt der Reporter zynisch, doch über das Leid der Ostukrainer, die acht Jahre im Bombenhagel gelebt hätten, sei nie berichtet worden.

Weitere Bilder aus Kiew zeigen, wie Waffen an die Bevölkerung verteilt werden. Flüchtlinge gibt es in der russischen Berichterstattung nur im Osten des Landes, 120 000 seien schon nach Russland gekommen. Die über 300 000 Frauen und ­Kinder im Westen kommen nicht vor.

Russinnen und Russen, welche die Operation zu Hause infrage stellen, sind nichts als Verräter, die den Jungs in den Rücken schiessen, sagt Kisseljow düster und lässt die Bilder jener Kulturschaffenden und Journalisten über den Bildschirm flimmern, die letzte Woche einen Protestbrief gegen den Krieg unterschrieben haben.

 

Dann folgt das obligate «Hurra, Hurra, Hurra»

Schliesslich, nach bald zwei Stunden, besucht der Präsident in Moskau eine Baustelle für ein riesiges Zentrum zur Weltraumforschung. Putin sieht zufrieden aus. Schliesslich zollen ihm die aufgereihten Bauarbeiter Respekt und Unterstützung für die Militäraktion in der Ukraine, Krieg darf es ja eben nicht heissen: «Wir unterstützen Sie, wir sind bei ihnen», sagt einer der Arbeiter. «Und wir sind mit den Jungs.» Und dann folgt aus vielen Kehlen das obligate «Hurra, Hurra, Hurra» auf den Oberkommandanten.

Stichwörter: Russland, Ukraine

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