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Niederried

Revision der Turbine lässt tief blicken

Die BKW hat nach 30 Jahren eine der beiden Turbinen des Wasserkraftwerks Niederried generalüberholen lassen. Dabei werden Orte zugänglich, an denen sonst Wasser oder Maschinen sind.

Bild: Adrian Moser

Hans Ulrich Schaad

Den Besucher überkommt ein mulmiges Gefühl. Durch eine blaue Plastikplane dringt von aussen Tageslicht zwischen die kahlen Betonwände. Das Unbehagen liegt ein paar Meter dahinter. Fast zehn Meter hoch türmt sich das Wasser des Stausees Niederried hinter einer Spundwand.

Was, wenn der Druck des Wassers plötzlich zu gross wird und ein Mini-Tsunami den Raum überflutet? Dann gibt es kein Entrinnen, man wird einfach weggespült.

«Sie müssen keine Angst haben», versichert Patrick Theilkäs, Fachspezialist hydraulische Maschinen bei der BKW. «Die Sperre hält.» Theilkäs führt durch einen Teil des Wasserkraftwerks Niederried-Radelfingen, der normalerweise nicht zugänglich ist, weil er meterhoch unter Wasser steht.

Etwa alle fünf Jahre wird der Zufluss zur Turbine durch die sogenannte Betonspirale für die Inspektion der Turbine trockengelegt. Nur etwa alle 30 Jahre wird das Laufrad der Turbine generalüberholt und die ganze Maschine ausgebaut. Dieser Zeitpunkt ist wieder da. Im Winterhalbjahr 1991/92 wurde die Maschine zum letzten Mal in ihre Einzelteile zerlegt und umfassend revidiert.

Der Aufwand ist sehr gross, weshalb die grosse Revision nur sehr selten gemacht wird. Die Kosten belaufen sich auf rund 1,6 Millionen Franken, nicht eingerechnet ist der Produktionsausfall während der Revision. Andere Komponenten wie Steuerungselemente werden häufiger kontrolliert und durch modernere Systeme ersetzt.

 

Strom für 22 000 Haushalte

Über die Betonspirale wird das Wasser auf das Laufrad der Kaplanturbine gelenkt, dabei werden bis zu 85 Kubikmeter pro Sekunde über eine Höhendifferenz von 9,5 Meter turbiniert. Das Laufrad dreht sich mit 125 Umdrehungen pro Minute und ist über eine Welle mit dem Generator verbunden.

Das Wasserkraftwerk Niederried-Radelfingen beherbergt zwei identische Maschinen, die im Jahr 80 Gigawattstunden Strom produzieren. Das reicht für ungefähr 22 000 Haushalte. Im ersten Untergeschoss ist das konstante Brummen der zweiten Maschine zu hören. Und es windet durch die leicht geöffneten Fenster. Ein gewollter Durchzug, der durch die drehende Turbine angetrieben wird. Mit der angesaugten Frischluft wird der Generator gekühlt. Die oben austretende warme Luft heizt das Maschinenhaus. Früher wurde sie zuweilen zum Trockenen der Wäsche genutzt.

Wir steigen drei Stockwerke höher und blicken von einer Brüstung hinunter ins Maschinenhaus. Dort öffnet sich ein grosses Loch, das sich gegen unten verjüngt. Daneben liegen die einzelnen Teile der Turbine. Sie sind in den letzten Wochen gründlich gereinigt worden und warten auf den Wiedereinbau. Nur wenn der gesamte Maschinenstrang demontiert wird, kann das Laufrad, das sich ganz zuunterst befindet, herausgenommen werden.

Das Laufrad wurde bei Grimsel Hydro, dem Technologiezentrum der Kraftwerke Oberhasli, revidiert. Obwohl es 60 Jahre alt ist und seit 1992 fast rund um die Uhr in Betrieb war, sei es bei der Demontage in einem guten Zustand gewesen, sagt Theilkäs. Es werden Lager und Dichtungen überprüft und wo nötig ersetzt. Kleinere Schäden an den Radschaufeln aus Stahl werden ausgebessert.

Theoretisch könnte man bei der Generalrevision des Laufrads die Schaufeln ersetzen. «Das wurde bei der letzten Revision vor 30 Jahren gemacht», sagt Patrick Theilkäs. Damals konnten dadurch einige Prozent mehr Leistung herausgeholt werden. Die in Niederried verwendeten Kaplanturbinen seien besonders geeignet für Kraftwerke mit grösseren Wassermengen und eher geringem Gefälle.

Mit einem überbreiten Sondertransport wird das Laufrad mit einem Durchmesser von 3,8 Metern aus dem Haslital angeliefert. Die frisch polierten Radschaufeln spiegeln das Sonnenlicht. In den folgenden Tagen wird weiteres Material angeliefert, das im Berner Oberland revidiert worden ist, insgesamt rund 50 Tonnen.

Das Montieren des Laufrads ganz unten in der Öffnung ist eine Präzisionsarbeit und verlangt eine ruhige Hand des Kranführers. Zwischen Schaufelspitzen und Mantel liegen nur etwa zwei Millimeter. Es soll möglichst wenig Wasser an den Turbinen vorbeifliessen.

 

Revisionen im Winter

Die BKW nimmt solche Revisionen in der Regel während des Winterhalbjahrs vor, wenn die Aare weniger Wasser führt. So kann das ganze Aarewasser zur Energiegewinnung genutzt werden, auch wenn einzelne Turbinen nicht in Betrieb sind. Wann die zweite Turbine im Kraftwerk Niederried-Radelfingen revidiert wird, ist noch offen.

Bis die ganze Maschine wieder zusammengesetzt ist, werden noch Wochen verstreichen. Die BKW rechnet damit, dass ab etwa Mitte April wieder voll produziert werden kann. Rechtzeitig zum Einsetzen der Schneeschmelze in den Bergen und zu steigenden Abflussmengen.

In diesen Tagen kann die verbleibende Turbine nicht alles Aarewasser in Energie umwandeln. Auch nicht zusammen mit dem Kraftwerk Kallnach, das über einen Stollen mit dem Stausee Niederried verbunden ist. Rund 60 Kubikmeter werden deshalb über das Wehr geleitet.

 

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Ein Stauwehr für zwei Kraftwerke

Vor knapp 110 Jahren wurde die Aare zwischen Niederried und Radelfingen aufgestaut, um Strom zu produzieren. In dieser Periode Anfang des 20. Jahrhunderts stieg der Bedarf an elektrischer Energie stark an, weshalb die BKW die Aare an mehreren Orten zwischen der Stadt Bern und dem Bielersee zur Stromproduktion aufstaute.

Seit 1913 wird Wasser aus dem Stausee Niederried über einen 2,1 Kilometer langen Stollen nach Kallnach geleitet und dort turbiniert. Der Höhenunterschied zwischen dem See und dem Kraftwerk in Kallnach beträgt 22 Meter. Das Unterwasser wird über einen Kanal durchs Grosse Moos in den Hagneck-Kanal geleitet. Der Kanal hat einen wesentlichen Einfluss auf den Grundwasserspiegel im Grossen Moos. Der Stausee Niederried seinerseits ist ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung.

In der Anlage in Kallnach konnten aber nur rund 90 Kubikmeter Wasser pro Sekunde verarbeitet werden. Viel Wasser lief so über das Wehr, ohne daraus Energie zu erzeugen. Deshalb beschloss die BKW in den 50er-Jahren, zusätzlich die beiden Kraftwerke Niederried-Radelfingen und Aarberg zu bauen.

Das Kraftwerk Niederried mit erneuerter Wehranlage und Maschinenhaus ging 1963 in Betrieb. Fünf Jahre später folgte jenes in Aarberg. Beide sind ungefähr baugleich und mit je zwei Kaplan-Turbinen besetzt. Sie produzieren zusammen gut 150 Gigawattstunden im Jahr.

Trotz der beiden neuen Anlagen an der Aare entschied die BKW, das Kraftwerk in Kallnach weiterzubetreiben. Andernfalls hätte es zurückgebaut werden müssen.

Das Werk wurde erneuert und auf eine geringere Wassermenge von 45 Kubikmetern pro Sekunde ausgelegt, welche nur noch eine einzige Turbine antreibt.

Normalerweise sind es nur knapp die Hälfte. Erst wenn der Abfluss der Aare 190 Kubikmeter überschreitet, wird mehr Wasser in den Stollen geleitet. Oder falls – wie zurzeit – eine der Maschinen in Niederried in Revision ist. Das erneuerte Kraftwerk Kallnach nahm seinen Betrieb 1980 auf und produziert jährlich rund 55 Gigawattstunden. hus

Stichwörter: Niederried, Turbine, Seeland

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