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Wortsalat

Was Wladimir Putin bei Julius Caesar abgeguckt hat

Auch der blutrünstigste Aggressor sieht sich veranlasst, seine Barbarei zu rechtfertigen, und so ist die Geschichte der Angriffskriege auch eine Geschichte der sprachlichen Verrenkungen.

Matthias Knecht

Als Julius Caesar 58 v. Chr. den gallischen Krieg vom Zaun brach, investierte er viele Worte in dessen Begründung. Demnach plante der Suebenfürst Ariovist, Gallien zu germanisieren. Caesar bewahrte die Gallier vor diesem Los, indem er sie selbst eroberte – Verzeihung: befreite.

Niedergeschrieben hat Caesar dies im Bello Gallico. Das Standardwerk der lateinischen Sprache enthält mehr Fiktion als gesicherte Tatsachen. Caesar hat also dreist gelogen. Dies tat er auch, als der römische Feldzug vor Alesia ins Stocken geriet. Caesar bezichtigte die belagerten Gallier des Kannibalismus – und sicherte sich so die politische Unterstützung daheim in Rom. Der Krieg wurde eben nicht nur mit Waffen ausgefochten, sondern auch mit Worten.

Vor allem mit Worten wurde der erste globale Angriffskrieg der Geschichte gewonnen, die Eroberung des Aztekenreichs durch die Spanier im Jahr 1521. «Wie kann irgendetwas Gutes geschehen, wenn nicht zur Ehre Gottes», schrieb der Eroberer Hernán Cortés. Der Spanier rechtfertigte seine barbarischen Gemetzel an den Indigenen mit der Verbreitung des Christentums. Dies tat er in seinen lügentriefenden Briefen an die Krone. Und nicht nur daheim in Madrid war Wortakrobatik gefragt, sondern auch vor Ort im heutigen Mexiko. Die gerade 600 Mann starke spanische Truppe wäre schnell untergegangen, hätten nicht Cortés und seine sprachbegabte indigene Geliebte Allianzen mit den Feinden der Azteken geschmiedet. Als aus deren Sonnenreich die Kolonie Neuspanien wurde, waren 70 bis 90 Prozent der Ureinwohner tot.

Wie Cortés griff auch Adolf Hitler auf den Kampf für das höhere Ganze zurück, in seinem Fall neuer Lebensraum für das arische Herrenvolk. Um den Zweiten Weltkrieg vom Zaun zu brechen, führte Hitler ein zusätzliches Element in die Kriegsrhetorik ein: die Notwehr. «Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen», sagte Hitler vor dem Reichstag zum Überfall auf Polen am 1. September 1939 – der Aggressor als Angegriffener. Hitler kündigte dabei an, den Kampf so lange zu führen, bis die «Sicherheit des Reiches» gewährleistet sei. Der Kampf dauerte fast sechs Jahre und kostete mehr als 50 Millionen Menschen das Leben.

Eine Mischung aus Notwehr, Befreiung und Kampf für das höhere Ganze servierte letzte Woche Wladimir Putin. «Ich habe die Entscheidung für eine Militäroperation getroffen», sagte er zuerst technokratisch. Er begründete den Angriff auf die Ukraine unter anderem mit deren «Denazifizierung». Damit spielte er zugleich die Karte der Selbstverteidigung als auch die der Befreiung Grossrusslands vor dem Westen. Tausende hat dies bisher das Leben gekostet.

Anders als bei Caesar, Cortés und Hitler können die Eroberer heute nicht mehr bestimmen, wer die Geschichte für das heimische Publikum schreibt – auch nicht im zensierten Russland. Das lässt hoffen, dass dieser Krieg beendet ist, bevor Millionen tot sind.

Info: Matthias Knecht unterstützt das BT bei der Sprachpflege.
 kontext@bielertagblatt.ch

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