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Biel

Das Gefängnis lässt Besuchende in der Kälte stehen

Zweimal wöchentlich können Insassinnen und Insassen des Bieler Regionalgefängnisses Besuch empfangen. Das geltende System hat aber seine Tücken – etwa stundenlanges Anstehen.

Bild: bt/a

Carmen Stalder

Wie eine Burg sieht es aus, das Bieler Regionalgefängnis. Der hellgelbe Anstrich mit den schmutzig grauen Zierleisten passt nicht so recht zur wuchtigen Erscheinung. Ein hohes Eingangstor, Maschendrahtzaun und Überwachungskameras sollen unliebsame Eindringlinge abhalten – und vor allem fluchtwillige Insassen von ihrem Vorhaben abbringen. An diesem Dienstagnachmittag stehen drei Frauen vor dem Eingangstor. Eine nimmt im Stehen ihr verspätetes Mittagessen ein, eine andere tippt auf ihrem Handy herum. Sie alle warten. Sie warten darauf, ins Gefängnis eingelassen zu werden.

Wer im Gefängnis sitzt, hat sich gesetzeswidrig verhalten und muss seine ihm verhängte Strafe absitzen. Doch auch Gefängnisinsassinnen haben Rechte. Dazu gehört, dass sie Besuch von ausserhalb empfangen dürfen. Nur in Ausnahmefällen können solche Kontakte beschränkt oder untersagt werden, um die Ordnung und die Sicherheit der Strafanstalt zu gewährleisten.

Eine Besonderheit stellt die in Biel vorherrschende Untersuchungshaft dar: Hier wird eine gültige Besuchsbewilligung benötigt, die erst nach Abschluss der Ermittlungen erteilt wird. Die Bewilligung muss vor dem Besuch bei der zuständigen Untersuchungsbehörde, in der Regel bei der Staatsanwaltschaft, eingeholt werden. Dann steht einem Besuch im Gefängnis nichts mehr im Weg – oder sollte es zumindest nicht. Wer nämlich jemanden im Regionalgefängnis Biel besuchen will, muss zusätzlich viel Geduld mitbringen. Und allenfalls eine Kanne heissen Tee.

 

Nur noch zwei Plätze

Die Gegensprechanlage beginnt zu knattern. Eine Männerstimme meldet sich: «Die nächste bitte.» Eine der Frauen blickt auf, greift zur Tasche am Boden – sie ist gefüllt mit Esswaren, Zigaretten und Hygieneartikel, maximal drei Kilogramm pro Monat sind erlaubt – und stellt sich vor das Tor. Langsam schiebt es sich zur Seite. Die Frau tritt ein, geht über den Gefängnisvorplatz und verschwindet hinter den hellgelben Mauern. Die anderen Frauen warten weiter.

Im Regionalgefängnis Biel herrschen fixe Besuchszeiten: Jeweils am Dienstag und Donnerstag kann zwischen 14 und 16 Uhr Besuch empfangen werden. Die Eingewiesenen haben Anrecht auf eine Stunde oder zweimal eine halbe Stunde Besuch pro Woche. Aufgrund der Coronapandemie sind die Plätze für Besuchende von vier auf zwei halbiert worden – damit ein genügend grosser Abstand herrscht. Nun sitzen im Bieler Gefängnis allerdings um die 40 Personen ein. Rein rechnerisch ist es also gar nicht möglich, dass alle ihr Besuchsrecht wahrnehmen können: Sowohl am Dienstag als auch am Donnerstag reicht die Zeit höchstens für 8 Besucherinnen und Besucher, sprich 16 pro Woche.

Dieser Umstand stösst einigen Angehörigen von Bieler Gefängnisinsassen sauer auf. Und es gibt noch weitere Probleme, die sie beanstanden. Ein Betroffener hat sich beim «Bieler Tagblatt» gemeldet – woraufhin sich weitere Personen bereit erklärt haben, von ihren Erfahrungen zu erzählen. Sie alle wollen ohne Namen in der Zeitung erscheinen. Grösstes Problem, da sind sich alle einig, ist die lange Wartezeit unter freiem Himmel. Es gibt lediglich eine Stahlbank mit einem kleinen Vordach darüber. Vor Regen und Wind sei man damit kaum geschützt, sagt Elisabeth Lehmann*.

Seit neun Monaten besucht sie jede Woche ihren Sohn im Gefängnis. Dabei sei es immer wieder vorgekommen, dass so viele Besucherinnen und Besucher angestanden sind, dass nicht alle zum Zug kamen. «Ich habe dann einfach das mitgebrachte Essen abgegeben und bin wieder gegangen. So hat mein Sohn wenigstens mitbekommen, dass ich da gewesen bin.»

Mit ihrer Arbeit sei die Besuchszeit mitten am Nachmittag schwer vereinbar. Doch immerhin arbeitet Lehmann in Biel. Andere haben da einen weitaus längeren Anfahrtsweg, etwa Peter Häfliger* aus dem Berner Oberland. Seine Freundin sei wegen Umbauarbeiten im Berner Gefängnis nach Biel verlegt worden. Jetzt nimmt er jede Woche drei Stunden Fahrt auf sich, wartet bis zu zwei Stunden vor dem Gefängnistor – um dann für eine halbe Stunde eingelassen zu werden.

Denn auch darin sind sich die befragten Personen einig: Einstündige Besuche werden kaum gewährt, oft würden einen die Gefängnisaufseher nach 30 Minuten wieder rausschicken. Im Vergleich zum Gefängnis in Bern habe er sich zudem hier anfänglich kaum zurechtgefunden, sagt Häfliger: «Nichts ist angeschrieben und niemand sagt einem, wie die Anmeldung und die Besuche genau funktionieren.»

 

Viele Ausländer

Zwar wurden Mitte Februar die meisten Coronamassnahmen aufgehoben. Nicht jedoch im Justizvollzug. In Berner Gefängnissen herrscht vorläufig noch Maskenpflicht für alle Mitarbeiterinnen und Besucher, wichtig ist es auch, die Hände zu desinfizieren und Abstand zu halten. Das ist auch der Grund dafür, weshalb im Bieler Regionalgefängnis immer noch nur zwei statt vier Besucherplätze in Betrieb sind. «Wir haben hier viele Leute auf engem Raum», sagt die Gefängnisdirektorin Beatrice Büchner, als sie den Besucherraum zeigt.

In zwei kleinen Zimmern stehen vier Stühle vor einer Glasscheibe. Die Fenster lassen sich hochschieben, was jedoch nur den Anwälten beim Übergeben von Unterlagen gestattet ist. Alle anderen Gäste müssen durch die Scheiben mit den Insassen kommunizieren. In einem kleinen Nebenraum steht während der Besuchszeiten eine Aufseherin im Einsatz. Sie röntgt die mitgebrachten Waren und schreitet ein, wenn es im Besuchsraum laut wird.

Laut Büchner sitzen derzeit 39 Personen mit 17 verschiedenen Nationalitäten im Bieler Regionalgefängnis. Nur die Hälfte der Inhaftierten sind Schweizerinnen und Schweizer – was sich auch in der Anzahl Besuchenden niederschlage. «Nur ein Bruchteil der Gefangenen empfängt überhaupt Besuch», sagt die Direktorin. Man habe es oft mit Kriminaltouristen oder Drogendealern zu tun, die keine Angehörigen in der Schweiz haben. Das zeigen auch die Zahlen vom vergangenen Monat: Damals gab es 44 eingewiesene Personen, wovon nur 16 mindestens einmal Besuch erhielten. Laut Büchner hängt die Nachfrage nach Besuchszeiten stark von den inhaftierten Personen ab. Manchmal stünden nur drei Besucherinnen vor dem Gefängnistor an, manchmal deutlich mehr.

 

Offen für Ausnahmen

Grundsätzlich möchten die meisten Besucher eine Stunde am Stück bleiben. Dies versuche man zu ermöglichen, so Büchner. Seien jedoch viele Leute am Anstehen, könne es sein, dass die Besuchsdauer ausnahmsweise auf 30 Minuten verkürzt werden müsse, damit möglichst alle zum Zug kommen. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Besucher nach einer halben Stunde rausgeschickt werden, wenn nicht draussen schon die nächsten warten», sagt sie.

Weiter sei sie offen, Ausnahmen zu bewilligen. Sie erwähnt das Beispiel einer Mutter, deren kleine Tochter zu Besuch erschien. Die Zeit war schon vorangeschritten, doch das Mädchen habe die Besuchszeit um eine halbe Stunde überschreiten dürfen. Bei vorgängiger Anmeldung sei auch ein Treffen in der Gefängnisbibliothek möglich, insbesondere wenn Kinder dabei seien. «Ich kann mich nicht erinnern, eine Ausnahme nicht bewilligt zu haben», sagt Büchner.

In allen Gefängnissen im Kanton Bern ist es Besuchenden nicht möglich, sich für ein bestimmtes Zeitfenster im Voraus anzumelden. Stattdessen müssen sie sich vor Ort in die Reihe stellen und hoffen, dass nicht schon viele andere auf Einlass warten. Dieser Umstand sei nicht in ihrem Sinn, sagt Büchner. Sie würde es bevorzugen, wenn im Voraus ein Zeitfenster für den Besuch gebucht werden könnte. Dies müsste jedoch im ganzen Kanton einheitlich umgesetzt werden. Und das dauere länger, als ihr lieb sei. «Wir sind dabei, eine Lösung zu finden», betont sie.

Längerfristig könnte sie sich vorstellen, vermehrt auf Videotelefonie zu setzen. Andere Justizvollzugsanstalten hätten während der Coronapandemie erste positive Erfahrungen damit gemacht. Es sei wichtig, dass die Inhaftierten den Kontakt zur Aussenwelt aufrecht erhalten können – damit sie nach Absitzen der Strafe nicht ohne soziales Netzwerk dastehen.

* Namen geändert

Stichwörter: Biel, Gefängnis, Region

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