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Grenchen

Das Volk wird doch das letzte Wort haben

Der Grenchner Gemeinderat hat eine Motion von GLP-Gemeinderat Patrick Zberg angenommen. Inhalt: Er wird seine Beschwerde zurückziehen – und das Volk wird über die Abschaffung der Stadtpolizei an der Urne abstimmen können.

Bild: bt/a

Brigitte Jeckelmann

Pünktlich um 17 Uhr eröffnete Stadtpräsident François Scheidegger (FDP) gestern die Sitzung des Grenchner Gemeinderats. Er ist nach einer schweren Coronaerkrankung erst seit Kurzem wieder im Einsatz und fühle sich noch nicht völlig gesund, wie er vor Beginn der Sitzung sagte. Die Politikerinnen und Politiker hatten mit über zehn Traktanden ein reich befrachtetes Programm zu bewältigen.

Die Motion von Patrick Zberg (GLP) war in wenigen Minuten erledigt. Seine Forderung: Über die Abschaffung der Stadtpolizei Grenchen solle das Volk an der Urne abstimmen können. Die Stadt vertritt jedoch die Auffassung, dass der Gemeinderat nach geltendem Recht keine Möglichkeit habe, freiwillig eine Urnenabstimmung festzulegen. Eine Motion könne aber nur etwas verlangen, das in der Kompetenz des Gemeinderats liege. Das sei hier nicht der Fall. Deshalb sei die Motion ungültig. Das sahen alle Gemeinderäte mit Ausnahme von Patrick Zberg genauso.

 

Grundlage schaffen

Dieser stellte daraufhin in Aussicht, seine Beschwerde beim Kanton gegen den Gemeinderatsbeschluss von Anfang Februar zurückzuziehen. Seine Bedingung stellte er in Form einer dringlichen Motion: Die Stadt solle in der Gemeindeordnung festhalten, dass das Volk über die Abschaffung der Stadtpolizei abstimmen könne.

Die Gemeinderäte stritten noch eine Weile über Zbergs Wortwahl. Sie sahen sich in Zeitzwang, da die Auflösung der Stadtpolizei bereits im Gang ist. Anfang nächstes Jahr soll sie bereits Geschichte sein. Die Beschwerde würde den Prozess verzögern und die Lage des verunsicherten Polizeikorps noch verschlechtern. Zberg solle seine Beschwerde so oder so zurückziehen, so der Tenor. Zberg liess sich nicht aus der Ruhe bringen. Er finde es als Exekutive unverantwortlich, wenn man nicht die gesetzliche Grundlage dafür schaffe, dass das Volk etwas dazu sagen könne. Er musste sich Sturheit und Zwängerei vorwerfen lassen. Die Zeitnot zwang dann aber 13 von 15 Gemeinderäte dazu, Zbergs dringliche Motion anzunehmen. «Wir nehmen dich aber beim Wort, dass du die Beschwerde auch wirklich zurückziehst», mahnte François Scheidegger. Zberg versprach, gleich am nächsten Morgen beim Kanton anzurufen: «Ich stehe zu meinem Wort.» Nun wird das Volk voraussichtlich an der nächsten Gemeindeversammlung im Sommer über die entsprechende Änderung in der Gemeindeordnung befinden. Die Urnenabstimmung soll dann im Herbst stattfinden.

Der Hintergrund: Anfang Februar fällte der Grenchner Gemeinderat den Entscheid, die Stadtpolizei Grenchen aufzuheben und die polizeilichen Aufgaben dem Kanton zu übertragen. Grund ist ein erhebliches strukturelles Defizit der Stadt. Die Auflösung des städtischen Polizeikorps soll der Stadt Einsparungen in der Höhe von 1,6 bis zwei Millionen Franken ermöglichen. In einer Unterschriftensammlung forderten jedoch rund 600 Personen einen Volksentscheid. Die GLP war jedoch der Ansicht, dass sowieso das Volk hätte darüber befinden müssen, so stehe es im kantonalen Gemeindegesetz. Die Partei vertritt die Auffassung, dass sich die Stadt mit dem Entscheid über das Gemeindegesetz hinweggesetzt und damit politische Rechte des Volkes missachtet hat. GLP-Gemeinderat Patrick Zberg, der als Einziger gegen die Aufhebung war, hat den Beschluss deshalb beim Kanton mit einer Beschwerde angefochten. Das Verfahren läuft.

Eine überparteiliche Motion mit Erstunterzeichner Robert Gerber (FDP) fordert, die Stadt solle die Einführung einer zeitgemässeren Gemeindeorganisation prüfen. Mit einem Jahresbudget von rund 125 Millionen Franken und dem Personalbestand gehöre Grenchen zu den 20 bis 30 grössten Unternehmen des Kantons Solothurn. Dies verlange nach einer zeitgemässen, effizienten und auf Kontinuität ausgerichteten Führung. Die geltende Gemeindeorganisation mit dem 15-köpfigen Gemeinderat und der Gemeinderatskommission, die aus fünf Mitgliedern des Gemeinderats besteht, funktioniere nicht als Einheit, begründet Gerber. Der Gemeinderat agiere mehr als Parlament und nicht als eigentliche Exekutive. Auf diese Art könne er die Aufsicht über die Verwaltung, wie sie das Gemeindegesetz vorsieht, nur rudimentär wahrnehmen. Sollten auf Anfang der nächsten Legislatur Änderungen in Kraft gesetzt werden können, müsse jetzt mit der Arbeit begonnen werden. Gemäss Gerbers Motion soll eine Arbeitsgruppe mit Gemeinderäten aller fünf vertretenen Parteien eine entsprechende Vorlage ausarbeiten. Der Gemeinderat hiess die Motion mit acht zu fünf Stimmen bei zwei Enthaltungen gut – auch wenn Ivo von Büren (SVP) eine neue Gemeindeorganisation als «dummes Zeug» betitelte. In der Arbeitsgruppe werden Angela Kummer (SP), Matthias Meier Moreno (Die Mitte), Patrick Zberg (GLP), Robert Gerber (FDP) und Ivo von Büren (SVP) vertreten sein.

 

Schon lange in der Kritik

Die Gemeindeordnung von Grenchen ist manchen Gemeinderäten schon lange ein Dorn im Auge. Aus den Reihen von Die Mitte, SVP, SP und GLP wurde schon früher Kritik über die «Geheimniskrämerei» der Gemeinderatskommission laut. Diese ist, anders als der Gemeinderat, nicht der Öffentlichkeit verpflichtet. Politologen wie Andreas Ladner von der Universität Lausanne sagte in einem Interview gegenüber dem BT, es würde für Grenchen Sinn machen, sich zu überlegen, ob man ein Gemeindeparlament einführen möchte. Ladner verwies weiter auf die Gefahr von einseitigen Mobilisierungsaktionen an Gemeindeversammlungen.

Diese sind in der Regel mager besucht. Einzelne Interessengruppen könnten Entscheide zu ihren Gunsten beeinflussen. Solchen Entscheiden fehlte die breitere Abstützung. Ein Parlament dagegen bedeute eine gewisse Bündelung des Wissens von Volksvertretern und strukturiere die politische Auseinandersetzung.

Stichwörter: Grenchen, Seeland

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