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«Dass wir an Bargeld denken, ist ein kleinbürgerlicher Impuls»

Simon Küffer Geld sei nicht neutral, sagt Simon Küffer, man müsse es stets politisch denken. Er, der als Rapper Tommy Vercetti bekannt ist, forscht zur «visuellen Rhetorik des Geldes». Seine These: Die massenmedialen Bilder, welche die Geldgesellschaft produziert, helfen mit, dass wir das Geld überhaupt akzeptieren. Dabei sieht er eine «ideologische Arbeitsteilung» zwischen Rappern und der Finanzbranche.

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Interview: Tobias Graden

Simon Küffer, beginnen wir mit einer ganz einfachen Frage: Was ist Geld?

Simon Küffer:

Dann anders: Was ist Geld für Sie?

Zwei Sachen sind wichtig. Erstens: Geld ist etwas, das sehr, sehr grundsätzlich im Denken verankert ist, schon viel länger, als man gemeinhin denkt. Das Grundsätzliche daran ist: Man denkt in Einheiten, man rechnet in abstrakten Einheiten. Man hat Dinge, die nichts miteinander zu tun haben: einerseits zum Beispiel die Pflege eines Kranken, anderseits Edelmetall. Das sind also Dinge, die nicht vergleichbar sind. Geld bildet jedoch eine Einheit, die sie miteinander verrechenbar macht.

Überaus praktisch.

Ja, sehr. Das hat auch viel ermöglicht, und zwar nicht nur innerhalb des Geldsystems oder der Wirtschaft, sondern überall. Die Frage ist, welche Auswirkungen das mit sich bringt.

Was ist der zweite Punkt?

Geld ist etwas, das Eigentum bezeichnet, aber auf sozialer Akzeptanz beruht. Das ist der Kern: Geld muss anerkannt sein. Wir beide können etwas tauschen, das funktioniert. Aber wenn wir das mit Geld tun, dann hat einer von uns nichts in der Hand. Das funktioniert nur, wenn wir daran glauben, dass sich die Transaktion damit durchführen lässt.

Sie forschen, vereinfacht gesagt, über die bildhafte Komponente des Geldes. Welches Bild sehen Sie vor dem inneren Auge, wenn Sie an Geld denken?

Da funktioniere ich auch nach all den Jahren Forschung wohl so wie die meisten Menschen: Ich sehe Banknoten und Münzen – obwohl das eigentlich abwegig ist.

Warum ist das abwegig?

Weil Geld eben bloss anerkannte Bedeutung ist. Und weil der Bargeldanteil mittlerweile marginal ist.

Mir käme als Bild zuerst Wilhelm Tell auf dem Fünfliber und Helvetia auf dem Zweifränkler in den Sinn.

(lacht) Sehr schön.

Ja, simpel gesagt, ist das doch ein schönes Bild.

Warum?

Es tut sich das klassische Schweiz-Bild auf, mit Stabilität, Kraft, Stärke, aber auch Schutz … Wir Schweizer vergleichen unser physisches Geld ja gerne mit dem anderer Länder und kommen zum Schluss, unseres sei schöner.

Es wird auch ungleich mehr Aufwand dafür hineingesteckt … Aber ohne uns beleidigen zu wollen: Dass wir an Bargeld denken, ist ein kleinbürgerlicher Impuls. So denkt das Fussvolk, das gar nicht richtig weiss, wie Geld funktioniert, respektive: wie die grossen Transaktionen funktionieren. Und das nach wie vor denkt, dass Geld also etwas Stoffliches ist. Abgeleitet davon haben wir die Idee, dass die Zahl auf dem Konto nicht der Kern der Sache sei, sondern bloss ein Platzhalter für einen Haufen an Bargeld. Untergründig hält sich die Vorstellung: Wenn man 4000 Franken auf dem Konto hat, dann gibt es irgendwo einen Tresor, in dem diese 4000 Franken drin sind. Doch das ist prinzipiell falsch. Das Bargeld ist umgekehrt nur ein medialer Träger für das, was Geld wirklich ist.

Bin ich also, wenn ich dieses Bild habe, sozusagen der nützliche Idiot des Grosskapitals, der dieses System stützt und sich gar nicht fragt, ob das Hunderternötli auch wirklich noch da ist, wenn ich es im Bancomat beziehen will?

Gerade so würde ich es schon nicht sagen, denn es gibt natürlich verschiedene Akteure. Die Schweizer Nationalbank, die dafür verantwortlich zeichnet, die schönen Noten zu produzieren, ist nicht das gleiche wie das Grosskapital. Und auch dieses ist ausdifferenziert und weist unterschiedliche Interessen auf, die mitunter auch im Konflikt stehen. Der Punkt ist mehr: Man betreibt in der Gestaltung von Bargeld einen gewissen Aufwand, der natürlich viel mit der Nation zu tun hat, man will darin ja eine gewisse Tradition festmachen, es sollen sich Werte darin spiegeln. Das Bargeld ist insofern eine mediale Repräsentationsfläche des Staates. Damit wird das Geld selbst aber auch beglaubigt, seine Akzeptanz wird gestützt, und damit auch die kruden Sachen, die an den Finanzmärkten passieren. Das schöne Hunderternötli gibt Ihnen also ein gutes Gefühl, und dieses fördert das Vertrauen ins Geld, und dank dieses Vertrauens funktioniert die ganze Maschinerie.

Sie hingegen schreiben in der Zusammenfassung zu Ihrer Forschungsarbeit das Gegenteil, nämlich: Geld habe «ein grundsätzliches Akzeptanzproblem». Was meinen Sie damit?

Geld hat theoretisch ein grundsätzliches Akzeptanzproblem: Es ist für sich allein schlicht nichts, sondern es basiert darauf, dass es von allen akzeptiert wird. Es gibt dabei dieses zirkuläre Moment: Wenn Sie Geld akzeptieren, dann darum, weil Sie davon ausgehen können, in ein paar Minuten wieder jemanden zu finden, der es auch akzeptiert. Sie selber müssen also gar nicht unbedingt daran glauben, es reicht, wenn Sie davon ausgehen können, dass andere dies tun und womöglich gar denken, Geld habe einen Eigenwert. Geld wird also akzeptiert, weil es akzeptiert wird. Doch theoretisch ist es stets möglich, dass jemand kommt, der dies nicht tut. Das sieht man in historisch heiklen Phasen. Dann kränkelt das Vertrauen plötzlich und es droht Hyperinflation. Wenn die Lage kritisch ist, sind einem die Kartoffelvorräte im Keller plötzlich mehr Wert als ein Stück Papier.

Ihre These lautet: Die massenmedialen Bilder – nicht nur des Geldes an sich, sondern auch des Drumherums, der ganzen Geldgesellschaft – helfen dabei, dieses Akzeptanzproblem zu lösen.

Ja. Es gibt einen Begriff dazu, den ich sehr passend finde. Er lautet: Beglaubigungsstrategien. Es gibt also dieses grundsätzliche Akzeptanzproblem, doch es gibt ganz unterschiedliche Arten, wie diesem zu begegnen ist. Der Klassiker ist Gold. Wenn das Geld an Gold gebunden ist, haben die Leute keine Zweifel. In der Tat ist dies aber eine Strategie, deren Erfolg keineswegs garantiert ist. Oder der Staat: Historisch betrachtet wissen wir, dass auch ihm gegenüber das Vertrauen kippen kann. Ich sage darum: Massenmediale Bilder, die etwas über Geld aussagen, sind auch so eine Strategie, die dazu dient, die Akzeptanz zu stützen. Es ist mir aber wichtig, zu betonen, dass dies nicht in einem verschwörungstheoretischen Sinne gemeint ist, dass diese Bilder bewusst zu dem Zweck gestaltet würden. Sondern es sind einfach Bilder, die zu diesem Zweck beitragen.

Das heisst also: Ohne das Bild, das wir uns insgesamt vom Geld machen, wäre es gar nichts wert?

Sagen wir es so: Geld kann etwas sehr Nützliches sein. Eine Gesellschaft kann sich damit einen allen nützlichen Koordinationsmechanismus schaffen, ein Mittel für gemeinsames Wirtschaften, das insofern «wertfrei» ist, als dass es nicht nach Stand, Religion oder politischen Einstellungen fragt. In der Realität aber kommt zu dem erwähnten Akzeptanzproblem hinzu, dass das Geldsystem den meisten Menschen schadet, dass es Ungleichheit hervorbringt, so dass man sich durchaus fragen kann: Wenn dies ein Spiel sein sollte, warum spielt man dann mit?

Wie genau schadet unser Geldsystem den Menschen?

Dem Geld wohnt eine gewisse Asymmetrie innne. Über diese Asymmetrie lässt sich eine Art Erpressungsverhältnis installieren. Wenn wir beide etwas tauschen – zum Beispiel Eier gegen Schuhe –, dann ist die Akzeptanz auf beiden Seiten unsicher. In einer Geldgesellschaft aber ist die Akzeptanz desjenigen, der Geld hat, zum Voraus garantiert. Wenn ich Geld habe und damit in einen Laden gehe, dann ist ohnehin klar, dass der Laden mein Geld akzeptiert. Aber es ist unklar, ob ich akzeptiere, was der Laden zu bieten hat. Ich bin mit dem Geld also im Vorteil.

Das gehört zum Risiko eines Unternehmens.

Das könnte man so denken. Aber: Die meisten Leute verkaufen ihre Arbeitskraft. Ich komme also und biete meine Arbeitskraft an, und der Käufer, der Geld hat, kann diese in Zweifel ziehen. Wenn nun die Geldgesellschaft – also der Markt – soweit fortgeschritten ist, dass auch die existenziellen Dinge über Geld geregelt werden, also Essen, Wohnen und Gesundheit, dann wird diese Asymmetrie zu einem Erpressungsverhältnis. Dann können jene, die viel Geld haben, die Bedingungen diktieren, unter denen die anderen Menschen Geld erhalten. So entsteht eine Spirale, denn meistens geben jene Geld ab unter der Bedingung, dass sie am Schluss mehr davon haben – indem sie jemanden anstellen und daraus Gewinn ziehen, oder indem sie Kredite vergeben.

Meinen Sie in dieser Argumentation tatsächlich die Geldgesellschaft oder nicht vielmehr den Kapitalismus an sich – oder ist das synonym?

Man darf nicht in einen Geschichtsdeterminismus verfallen. Wenn man die Begriffe synonym verwendete, hiesse dies, dass Geld immer in den Kapitalismus mündete. Das denke ich jedoch nicht. Ich glaube, man könnte mit Geld so umgehen, dass es nützlich ist und allen dient.

Und gleichzeitig wäre ein Abhängigkeitsverhältnis, wie Sie es skizzieren, auch in einem System ohne Geld denkbar. Auch in einer Tauschwirtschaft kann es Ungleichheit geben.

Klar, es gibt dann andere Formen der Erpressung. Ich betone die angesprochene Asymmetrie darum, weil Geld gemeinhin als etwas Neutrales dargestellt wird. Die gängige Wirtschaftstheorie hat ein Interesse daran zu sagen, Geld sei nur eine Ware, sei also etwas Harmloses, Neutrales. Aber das stimmt eben nicht. Mit dieser Asymmetrie liesse sich aber durchaus regulatorisch umgehen. Da geht es um Fragen wie: Darf man Zins verlangen und wie viel? Welche Geschäfte darf man mit Geld machen? Welche Dinge sind käuflich und und über den Markt verhandelbar und welche nicht? Was kann Privateigentum sein und was nicht? Wir leben aber in einer Welt, in der extrem viele Dinge dem Geldsystem und dem Markt unterworfen sind.

Wie sähe denn ein nicht-schadendes Geldsystem aus?

Auch das ist eine grosse Frage… Es gibt Theoretiker, die sagen, dies sei nahezu unmöglich. Meiner Meinung nach müssten die wirklich existenziellen Sachen vom Geldsystem ausgeklammert sein. Wohnen, Essen und Gesundheit sollte man nicht dem Markt überlassen.

Das ist in der Tat schwer vorstellbar. Wie will man gerade das Wohnen dem Markt entziehen, wenn doch alles darum herum über den Markt finanziert wird?

Mir geht es ja ähnlich. Aber ich glaube, das ist eine Fantasielosigkeit, die uns antrainiert worden ist. In Kuba beispielsweise gibt oder gab es eigentlich keinen Wohnungsmarkt, sondern ein Gebrauchsrecht. Wohnungen lassen sich tauschen, aber man kann nicht mehrere Wohnungen besitzen. Etwas in diese Richtung könnte ich mir vorstellen.

Es ist kaum davon auszugehen, dass ein solches System nicht gleichwohl neue Ungerechtigkeiten mit sich brächte s…

Ja, aber mir geht es um Eckpunkte, welche die Folgen des heutigen Systems abmildern könnten. Dass man beispielsweise nicht Immobilienmogul sein und riesige Profite machen kann, während sich andere Menschen keine anständige Wohnung mehr leisten können. Oder man regelt wieder mehr Bereiche kollektiv, wie das noch vor 50 Jahren der Fall war: Gesundheit, öffentliche Infrastruktur, Energieversorgung. Es lässt sich schon ein Geldsystem denken, das stärker der Allgemeinheit zugutekommt.

Die Mehrwertlogik des Marktes hilft aber auch, Wert zu erhalten – gerade beispielsweise bei Häusern. Was niemandem respektive allen gehört, zerfällt, das hat man im real existierenden Sozialismus zur Genüge gesehen.

Solche Probleme sehe ich durchaus. Mir geht es aber um den Ermächtigungsgedanken. Ich sage: Das Geld muss der Öffentlichkeit dienen, weil es auch von ihr abhängig ist. Für das Geldsystem ist entscheidend, dass es alle akzeptieren, also sollen auch alle dabei mitbestimmen. Wenn man sagt, Geld sei neutral und lasse sich nicht regulieren, dann ist das Chabis: Geld muss man stets politisch denken.

Sie vergleichen in Ihrer Forschungsarbeit unter anderem Covers von Rap-Platten mit Werbebildern aus der Finanzbranche. Was findet man dabei heraus?

Extrem interessante Dinge! Es ist ja kein willkürlicher Vergleich, sondern ich habe mich gefragt: In welchen massenmedialen Bereichen kommen Bilder vor, die etwas über Geld aussagen? Ich beobachte eine Art ideologische Arbeitsteilung zwischen den Rap-Covers und den Bankenbildern. Die Rap-Covers sind kein Gegenentwurf, es findet keine wirkliche Subversion gegen das System statt.

Ich würde sogar sagen: Grosse Teile des Rap funktionieren hyperkapitalistisch. Bilder von Reichtum werden nicht nur als Gradmesser des Selbstwerts verwendet, sondern der Reichtum an sich wird zum Inhalt der Kunst.

Genau. Der Kulturtheoretiker Mark Fisher hat gesagt: Der Rap ist eine Kunstform in der Epoche des Kapitalistischen Realismus. Der Gangsta-Rap bestätigt das herrschende System in zynischer Brechung. Nun gibt es die interessante Konstellation, dass in der Bankenwerbung – in der es zweifelsfrei um Geld geht – nicht über Geld gesprochen und kein Geld gezeigt wird; Rap hingegen ist Kunst, die dauernd über Geld spricht. Darin sehe ich auch den Wert des Rap: Er ist entblössend ehrlich. Er hält der Welt tatsächlich den Spiegel vor. Die Gangsta-Rapper zelebrieren, was die Bankenwelt zu bemänteln versucht.

Die Rap-Covers sind sozusagen die Rückseite der Bilder aus der Bankenwerbung?

Genau. Und dann gibt es sogar Motive, die verblüffend ähnlich sind.

Angesichts der Zurschaustellung des Reichtums im Rap liesse sich also sagen: Die Oligarchen, deren irrsinnige Superjachten wir derzeit täglich in den Medien sehen, sind die Superrapper.

Die Rapper beziehen sich jedenfalls bewusst auf diesen Reichtum. Es ist eine Form der Aneignung, das beginnt schon bei der Mode. Tommy Hilfiger war früher die Marke der Rich Kids, später wurde sie zur Marke der Rapper. Ein Ideal ist der reiche Banker, auf den Rap-Covers werden entsprechend Anzüge und Mahagoni-Tische abgebildet.

Die allgegenwärtige kapitalistische Steigerungslogik schadet dem Planeten, das ist mittlerweile weitherum bekannt. Und doch himmeln wir lieber einem Cristiano Ronaldo mit seinen dutzenden Luxuskarossen an als jemanden mit einem umweltbewussten Lebensstil. Fehlen uns im wahrsten Sinne des Wortes Rollenbilder?

Dazu sind zwei Dinge zu sagen. Erstens gibt es eine Ressourcenlogik: Wer mehr Geld hat, kann auch mehr Bilder produzieren. Das zeigt sich in der massenmedialen Bilderwelt. Zweitens: Wir haben verlernt, auch in kollektiven Kategorien zu denken. Das sieht man auch in den Bildern der Bankenwerbung: Es kommen zumeist nur einzelne Menschen vor, Individuen – ebenso auf den Rap-Covers. Wer ein Burn-out hat, geht heute zum Psychologen, nicht mehr zur Gewerkschaft. Die Vorstellung schwindet, dass so etwas ein kollektives Problem sein könnte, das einer kollektiven Lösung bedarf. Wir leben in einer Zeit, in der die neoliberale Ideologie triumphiert.

Eine Klammerbemerkung dazu: Wir reden langsam ernsthaft darüber, auf Energielieferungen aus Russland zu verzichten, obwohl dies unseren Reichtum schmälern würde. Sehen Sie darin nicht ein Moment, das in eine andere Richtung weist?

Ich bin nicht sicher, ob sich diese Diskussion als Beispiel eignet, weil da zahlreiche andere Faktoren hineinspielen. Die Politik in der Coronazeit passt eher, da hat man zumindest teilweise wirtschaftliche Interessen dem Kollektiv untergeordnet. Ich sage ja nicht, kollektives Denken sei ganz verschwunden, es gibt auch Gegenbewegungen: Man beginnt wieder, sich kollektiv zu organisieren, es gibt Protestbewegungen und Demonstrationen. Der Zeitgeist aber ist schon tiefgehend individualistisch.

Kann denn nicht gerade das Geldsystem auch Gutes bewirken? Es gibt Investmentfonds, die hinsichtlich des Klimawandels nur in nachhaltige Geschäftsmodelle investieren.

Ich möchte festhalten: Die linke Tradition, in der ich mich sehe, hat die guten Seiten des Geldes stets anerkannt. Geld hat enormes emanzipatorisches Potenzial: Stimm-, Wahl- und Minderheitenrechte, die Loslösung aus feudalistischen Strukturen und religiöser Bevormundung, das wurde alles dank des Geldsystems möglich. Investitionen fliessen natürlicherweise immer dorthin, wo sie Rendite finden. Es gibt sicherlich positive Effekte nachhaltigen Investierens, die Frage ist bloss: Wie viel Schädliches läuft noch daneben, das diese Effekte schlicht aushebelt? Grün investieren ist gut und recht, aber es sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ungleich grössere Geldströme in nicht-nachhaltige Bereiche fliessen.

Wie zahlen Sie, wenn Sie am Kiosk etwas Kleines kaufen?

Meistens mit Bargeld.

Immer noch?

Ja. Ich bin es mir so gewohnt, habe es lieber und einen besseren Überblick, wie viel Geld ich ausgebe.

Ich zahle fast nur noch mit Karte, seit dies für kleine Beträge kontaktlos möglich ist.

Ich baue mir eben im Alltag bewusst kleine Hindernisse ein. Ich kann zum Beispiel mit der Postcard gar nicht kontaktlos zahlen, ich will mich zum Eingeben des Codes zwingen. Auch dies, sehen Sie… (zeigt sein Handy – ein Uraltmodell). Das ist ein gewisser Selbstschutz.

Es sieht eher nach Geisselung aus.

So ist es nicht gemeint. Doch mittlerweile hat das Zahlen mit Bargeld auch eine gewisse politische Färbung erhalten.

Welche Auswirkungen auf unser Bild vom Geld wird es haben, wenn das Bargeld komplett verschwinden sollte?

Ich bete zu Gott, dass dies nicht passieren wird. Denn: Bargeld trägt kein Zeichen von Identität. Je bargeldloser eine Gesellschaft ist, desto besser kann man jedem einzelnen Mitglied nachweisen, was es mit dem Geld tut. So etwas wie Widerstand gegen ein faschistisches Regime ist ohne Bargeld gar nicht denkbar. Wer euphorisch die bargeldlose Gesellschaft bejubelt, hatte wohl das Glück, nie in politisch schwierigen Verhältnissen leben zu müssen. Sobald man sich in einer Diktatur zur Wehr setzen will, braucht man Bargeld. Andernfalls wird einfach das Konto gesperrt, und weg ist jeglicher Spielraum.

Wird das Vertrauen ins Geldsystem schwinden, wenn das Geld physisch unfassbar wird?

Das vermute ich. Die Materialisierung des Geldes in Noten und Münzen war historisch eine wichtige, wenn nicht sogar notwendige Beglaubigungsstrategie des Geldsystems. Vielleicht ist es aber bloss eine Gewöhnungssache – in Schweden braucht ja jetzt schon kaum mehr jemand Bargeld.

In letzter Zeit beobachten wir einen Hype um Kryptowährungen. Deren Wert ist noch weniger erklärbar als beim «echten» Geld. Lehnt sich deren Ikonographie deswegen so stark an «ewige Werte» an? Das Symbol des Bitcoin ist eine Goldmünze.

Ja, das denke ich. Bei Kryptowährungen haben wir folgendes Problem: Ihr Name, die Idee und das Bild davon, das ist alles erst mal eine blosse Behauptung. Es wird behauptet, dass dies Geld sei, dabei gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass dies stimmt. Es wird ja auch kaum so verwendet.

Ich kann Kryptowährungen aber in Geld umtauschen.

Gewiss, damit sind sie aber bloss eine weitere Wertanlage, die in Geld umgetauscht werden muss. Die Idee hinter Bitcoin ist aber eine Behauptung, die mit dem Bild einer «echten» Münze gestützt wird.

Die Zukunft muss für Sie, der Sie ja auch als Künstler tätig sind, ein Graus sein. Die Kunstwerke der Zukunft sind NFTs, also ein Datenpaket irgendwo in der Blockchain, von dem jemand behauptet wird, es sei ein einzigartiges Kunstwerk. Bezahlt wird es in Kryptowährungen, einem anderen Datenpaket irgendwo in der Blockchain, von dem behauptet wird, es sei Geld. Alles wird virtuell.

Ja, es ist irr. Doch es gibt eine ganz einfache, aber auch ganz wichtige Weise, wie man dem entgegenwirken kann: Indem man schlicht nicht mitmacht. Auch diese Dinge sind von ihrer Akzeptanz abhängig. Letzten Endes sind Dinge wie Bitcoin und NFTs ein Schneeballsystem.

Von Bitcoins gibt es nur eine endliche Menge, das ist doch näher beim Goldstandard als bei einem Schneeballsystem.

Das ist nicht der Punkt, respektive es würde nur stimmen, wenn Kryptowährungen wirklich Geld wären. Tatsächlich aber sind sie ein Spekulationsobjekt. Eine Investition in Bitcoin basiert auf dem Glauben, dass später noch weitere Idioten kommen, die auch darin investieren. Wenn dieser Glaube wegfällt, bricht das ganze Gebilde zusammen. Rein analytisch betrachtet ist das ein Schneeballsystem. Bei Unternehmensaktien ist das anders, da gibt es potenziell Gewinnausschüttungen, die den Wert der Aktie stützen.

Haben Sie eigentlich genug Geld?

Nein. (Pause) Muss ich das jetzt ausführen?

Wenn Sie mögen…

Ich gehöre zu den prekär Beschäftigten, muss ich sagen, selbst in meinem Brotjob. Von der Musik kann ich ohnehin nicht leben, im akademischen Bereich gibt es auf meiner Stufe nur befristete Anstellungen. Ich hangle mich von Jahr zu Jahr.

Ist das eine bewusste Wahl?

Es ist nicht so, dass ich – etwa aus politischen Überzeugungen – mit wenig Geld leben wollte. Ich hätte gerne mehr. Aber das ergibt sich derzeit schlicht nicht. Natürlich, ich könnte mit meinen Qualifikationen einen stabilen Job in einer Grafikagentur haben.

Fürchten Sie, dass mehr Geld Sie korrumpieren würde?

Nein, wenn das bis 40 nicht geschehen ist, passiert das wohl nicht mehr. Ich bin glücklich mit dem, was ich tue, ich esse gerne auswärts, ich kaufe gerne Bücher, mache gerne Sachen mit meiner Familie. Aber das ist es dann auch an Wünschen. Wenn ich mehr Geld zur Verfügung hatte, habe ich es stets dafür verwendet, mir Freiräume zu schaffen.

Sie sind gelernter Grafiker. Wenn Sie den Auftrag zur Gestaltung der nächsten Schweizer Banknotenserie erhielten – was würden Sie darauf abbilden?

Diese Frage musste ich mir tatsächlich stellen, denn im Rahmen meines Forschungsprojekts haben wir alternative Bilder designt. Einen interessanten Ansatz fand ich, auf den Banknoten Verheerungen zu zeigen, die das Geld anrichtet.

So wie die Schockbilder auf den Zigarettenpackungen?

Ungefähr. Das müsste nicht hässlich sein oder abschreckend, aber so, dass man sich fragt, was Geld eigentlich alles tut. Denn unsere Wahrnehmung davon ist stark gefiltert. Ich kann ein guter, wohlwollender Mensch sein, der sein Geld anlegt und ein Portfolio bei einer Bank hat. Was aber die realen Auswirkungen im Hintergrund sind, weiss ich oft nicht.

Was wäre ein weiteres Sujet?

Dass auf der Banknote abgebildet ist, was man im Moment ihres Erscheinens damit kaufen kann. Drei Brote auf der Zehn-Franken-Note zum Beispiel. So würde man sich der Inflationswirkung bewusst. Nach zehn Jahren würden die zehn Franken nicht mehr reichen für drei Brote. Vielleicht würde man so sein Geld bewusster ausgeben.

Fortsetzung auf Seite 30

Fortsetzung von Seite 29

Zur Person

  • geboren 1981 in Bern
  • erste Bekanntheit als Rapper Tommy Vercetti ab 2003
  • mit Dezmond Dez, Manillio und CBN Gründung der Formation Eldorado FM
  • 2010 erscheint das Soloalbum «Seiltänzer», 2013 mit Dezmonde Dez «Glanton Gang», 2019 der Zweitling «No 3 Nächt bis morn»
  • gelernter Grafiker, Studium der visuellen Kommunikation
  • arbeitet als Musiker und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule der Künste Bern
  • forscht dort und an der Universität Bern für seine Dissertation zum Thema «Geldschein – Die visuelle Rhetorik des Geldes»
  • moderiert derzeit im Rahmen der Ausstellung «Das entfesselte Geld» am Historischen Museum Bern die Gesprächsreihe «Money Talks»; nächster Termin am Mittwoch, Gast zum Thema «Kapital und Ressentiment» ist Joseph Vogl, Professor am Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin tg