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Betrugsfall

Anwalt des Schlittschuhclubs: «Ich erwarte Solidarität»

Der Bieler Anwalt Enrico Dalla Bona vertritt die Anliegen des Bieler Eiskunstlaufvereins. Im Interview erklärt er, wie es zu solch krassen Deliktfällen kommt und was er dem Verein in dieser schweren Situation wünscht.

Anwalt Enrico Dalla Bona. zvg

Interview: Beat Moning

Enrico Dalla Bona, kann dieser Betrugsfall (hier geht es zum Artikel) als einer der grössten in der Schweizer Sportszene bezeichnet werden?
Enrico Dalla Bona: Man kennt Betrugsfälle im bezahlten Sport von weit grösserer Tragweite. Wie Fälle bei den Fussballklubs von Genf, Neuenburg oder Wettingen zeigen. Aber im Amateursport ist es im Verhältnis ein grosser Fall. Für einen Verein wie den Schlittschuhclub Biel ist es eine Katastrophe, weil die Deliktsumme praktisch den gesamten Erlös aus 18 Jahren «Ice-Trophy» umfasst.  Man muss sicher festhalten, dass es sich für den Schlittschuhklub Biel um ein «Worst-case-Szenario» handelt. Immerhin ist nur das Spezialkonto der Ice-Trophy betroffen und nicht auch das allgemeine Konto des Vereins.

Ist es rein juristisch betrachtet Betrug?
Im vorliegenden Verfahren handelt es sich im strafrechtlichen Sinne nicht um Betrug, sondern Veruntreuung beziehungsweise ungetreue Geschäftsbesorgung, weil sich die angeschuldigte Person als hohes Vorstandsmitglied  des Clubs ein Konto, welches ihr zur Verwaltung anvertraut wurde, rechtswidrig für eigene Zwecke angeeignet hat.

Ist die Verlockung zur Veruntreuung gross, wenn zu Beginn niemand etwas bemerkt?
Die doch relativ häufigen Fälle von Veruntreuung verdeutlichen, dass die Versuchung bei Personen, welche ohne unmittelbare Kontrolle durch Dritte über fremde Vermögenswerte verfügen können, und wie im vorliegenden Fall mittels Einzelunterschrift Zahlungen ausführen und Barbezüge tätigen dürfen, relativ gross ist.

Wie kann es dazu kommen?
Es ist auch eine Charaktersache. Tritt beispielsweise im persönlichen Bereich ein finanzieller Engpass ein oder will sich jemand schlicht mehr leisten können, als ihm dies seine wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben, kommt plötzlich der Gedanke, sich mittels eines «Vorschusses» von diesem fremden Konto zu bedienen. Vielleicht zu Beginn sogar mit der Absicht, diesen «Vorschuss» dann wieder zurückzuzahlen. Der Täter stellt dann fest, dass unmittelbar nach diesem ersten zweckentfremdeten Bezug keine sichtbaren negativen Folgen für ihn eintreten.

Und dann geht es munter weiter und weiter?
Richtig. Es werden dann weitere Bezüge bzw. zweckentfremdete Zahlungen getätigt und der Täter gerät dann immer tiefer in den Schlammassel. Irgend einmal wird dann die Deliktsumme so hoch, dass an eine Rückzahlung gar nicht mehr zu denken ist und der Täter versucht dann nur noch, seine Tat möglichst lange zu vertuschen, zum Beispiel, indem er Urkundenfälschungen begeht und Kontoauszüge verfälscht.   

Kann man von Sucht und somit auch von Krankheit sprechen? Oder schlicht von Vorsatz und Abgeklärtheit?
Ich würde nicht von Sucht oder Krankheit sprechen. Eher von Charakterschwäche, Labilität oder nicht selten leider auch einfach von Geldgier. Allerdings ist jeder Fall und auch jedes Täterprofil anders und es lässt sich nie eine allgemeingültige Aussage bei derartigen Fällen machen. Es ist dann die Aufgabe des Gerichtes, die effektiven Motive des Täters herauszufinden und dann aufgrund der Schwere der Tat sowie des Verschuldens des Täters die Strafe festzusetzen. Die genauen Motive der angeschuldigten Person im vorliegenden Fall kenne ich noch nicht.

Der Tag, wo alles auffliegt, musste aber zwangsläufig kommen.
Ja, dieser Tag musste kommen, jedenfalls bei einem Sachverhalt, wie er hier zur Diskussion steht. Denn es wurde praktisch das ganze Konto der Ice-Trophy geplündert. Eine Verdunkelung auf unbestimmte Zeit erscheint im vorliegenden Fall praktisch unmöglich.

So führt man ein Doppelleben?
Häufig wird es vom Täter denn auch als gewisse Erleichterung empfunden, wenn die Sache auffliegt. Er weiss ja, dass es einmal geschehen wird und die Sache bekannt wird. Schlimm für die angeschuldigte Person ist es natürlich, wenn es sich bei den Geschädigten um Freunde oder um nahe Bekannte handelt, mit welchen sie praktisch täglich Kontakte hatte. Im vorliegenden Fall hatte die angeschuldigte Person regelmässig Kontakt mit ihren Vorstandskolleginnen und –kollegen. Teils bestanden auch Freundschaften.  Ihr «Doppelleben» während fast zwei Jahren muss deshalb auch für sie eine grosse Belastung gewesen sein.   

Wie erlebten Sie die Vorstandsmitglieder des Schlittschuhklubs in den letzten Wochen?
Diese waren natürlich zutiefst schockiert und enttäuscht. Sie konnten das Ganze zunächst gar nicht fassen. Sie haben sich dann aber sehr professionell verhalten und sehr rasch die erforderlichen Massnahmen ergriffen, wie zum Beispiel die sofortige Sperrung des Kontos, den sofortigen Entzug von sämtlichen Ämtern der Fehlbaren, die Beschlagnahmung der Unterlagen sowie die Einberufung der ausserordentlichen Generalversammlung.

Wurde mit der fehlbaren Person verhandelt? Etwa, dass sie mit einem Kredit den Fehlbetrag begleichen soll?
Ich wurde in der Zwischenzeit von der Anwältin der fehlbaren Person kontaktiert und diese hat in Aussicht gestellt, dass ihre Mandantin im Rahmen ihrer Möglichkeiten «Wiedergutmachung» leisten wolle. Die Verhandlungen mit der angeschuldigten Person bzw. ihrer Anwältin werde ich nun an die Hand nehmen, nachdem die Generalversammlung mich offiziell dazu beauftragt hat.

Wie konnte es passieren, dass die Revisoren, in erster Linie, aber auch die Vorstandsmitglieder,  nicht Wind davon bekommen haben?
Diese Frage ist auch für mich noch offen und wird wohl erst im Rahmen einer gerichtlichen Untersuchung geklärt werden können. Wie erwähnt habe ich jedoch festgestellt, dass Kontoauszüge verfälscht worden sind.

Die fehlbare Person hatte Einzelunterschrift. Das kann, wie es sich jetzt zeigt, «gefährlich» sein?
Von einer Verletzung der Sorgfaltspflicht würde ich nicht sprechen. Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Natürlich ist es vorteilhaft, wenn eine Kollektivzeichnungsberechtigung und damit das 4-Augen-Prizip angewendet werden. Kriminelle Handlungen lassen sich aber oftmals nicht verhindern. Beim E-Banking zum Beispiel kann immer auch eine Einzelperson handeln. Dasselbe gilt am Bancomat oder am Postomat.  Somit ist es leider unumgänglich, dass einer Person im Vorstand eines Vereins ein gewisses Vertrauen entgegengebracht werden kann. Dieses Vertrauen wurde im vorliegenden Fall leider massiv missbraucht.

Hätte nicht auch Postfinance etwas merken sollen, wenn aus einem Sportkonto Steuerrechnungen oder Rechnungen für Kleider beglichen werden?
Diese Frage möchte ich offen lassen. Wenn man die Kontoauszüge studiert, erscheint es jedenfalls relativ offensichtlich, dass hier über Vereinsvermögen eines Sportclubs zweckentfremdet verfügt wurde.

Wie geht es für den Schlittschuhclub Biel weiter? Kann der Verein noch mit dem Geld rechnen?
Ich gehe davon aus, dass zumindest ein Teil des veruntreuten Geldes wieder zurückgeführt werden kann. Ich bin davon überzeugt, dass der Schlittschuhclub auch diese Krise überstehen wird. Wichtig ist einerseits die Solidarität der Vereinsmitglieder mit dem verbleibenden Vorstand und auch die Solidarität der Bieler Bevölkerung mit dem Verein.

Sie waren im Vorstand des EHC Biel und kennen die Mechanismen eines Vereins. Was empfehlen Sie dem SC Biel und den Führungskräften in solchen Krisen?
Zunächst einmal ist es wichtig, dass keine Kurzschlusshandlungen begangen werden. Wichtig ist auch, dass das Geschehene exakt abgeklärt und aufgearbeitet wird, damit sich in Zukunft ein solches Fiasko nicht wiederholen kann. Die fehlbare Person muss zwar zur Verantwortung gezogen, soll aber auch nicht  wirtschaftlich  oder sozial «zerstört» werden. So hat sie die Möglichkeit der Wiedergutmachung. Auch muss geprüft werden, ob weitere Personen oder Firmen sich am Schaden beteiligen, sei es auf freiwilliger Basis oder aber auch infolge Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht.  Ob dies möglich sein wird, kann aber heute noch nicht beurteilt werden.

Was wünschen Sie dem Schlittschuhclub Biel?
Den Vorstandsmitgliedern, dass sie in diesen turbulenten Zeiten den Rückhalt ihres Vereins spüren und so die Kraft haben, weiterhin unentgeltlich so viel Zeit für ihren Club aufzubringen. Es werden wieder bessere Zeiten kommen!  


Den Artikel zum Betrugsfall lesen Sie unter diesem Link.