Sie sind hier

Abo

Rhythmische Gymnastik

Bei den Älteren war es Zufall, bei den Jüngeren die Älteren

Sie lassen unwichtigere Schulstunden aus und verzichten auf eine Skiwoche während den Sportferien. Sie nehmen viele Autokilometer in Kauf und trainieren Tag für Tag. Schon in jungen Jahren wird von Leistungssportlern viel abverlangt. Ein Blick in die Rhythmische Gymnastik zeigt dies eindrücklich. Da eifern auch drei jüngere Geschwister ihren älteren Schwestern nach. Interessant: Keine Mutter kommt von der RG selber.

Dreimal zwei Geschwister der Rhythmischen Gymnastik. Von links: Livia Maria und Sophia Carlotta Chiariello. Mitte Noëmi und Diane Theurillat sowie Célia und Fabienne Lüthy. Bild: Susanne Goldschmid

Beat Moning

Bis zu 40 Turnerinnen der Rhythmischen Gymnastik zwischen sechs und 16 Jahren gehören dem regionalen Leistungszentrum Biel und Region an, trainieren hart und in vielen Bereichen, um den nächsten Schritt in die verschiedenen schweizerischen Kader bis ins Nationalkader zu schaffen. Gegenseitig spornt man sich praktisch täglich zwischen 16 und 20 Uhr an. Der Platz im einen Drittel der Esplanadehalle ist allerdings beschränkt, es gilt das Optimum aus den Möglichkeiten herauszuholen.

Zu Hause gibt es auch 
mal Scherben
Interessant dabei, wie sich aus den Gesprächen mit dem BT zeigte: Es wird nicht nur in der Turnhalle, sondern viel zu Hause trainiert, auch mit den verschiedenen Geräten. Und geschieht dies zu zweit, «dann ist doch einiges los und einiges ist schon in die Brüche gegangen. Oder es gibt das eine oder andere Loch in der Hauswand», sagt Mutter Anouk Theurillat, die, sozusagen stellvertretend für alle anderen Eltern, ergänzt: «Wir sind bereit, diese grosse Leidenschaft unserer Töchter zu teilen und unterstützen.» Da nimmt man dann eben nicht nur Scherben, sondern auch viel Zeit und einen finanziellen Aufwand in Kauf. Die Töchter wissen das sehr wohl zu schätzen. In den Anfängen, als es galt, den idealen Sport für die eigene Person zu finden, stand die Rhythmische Gymnastik nicht unbedingt im Vordergrund. Dies trifft gleich bei allen älteren Töchter zu, deren Mütter sich andere Hobbys zugelegt haben. Der Einstieg bei Livia Maria Chiariello fiel wohl noch am einfachsten aus. Mutter Elisabeth Chiariello hat vertiefte Kenntnisse des klassischen Tanzes. Eine gute Grundlage für die Rhythmische Gymnastik. Heute ist sie Vorstandsmitglied des Regionalen Leistungszentrums Biel und Region. «Ich musste mich einfach mehr bewegen. Das empfahl mir meine Kindergartenlehrerin», erinnert sich Livia Maria Chiariello zurück. Nach einer ersten «Schnupperstunde» in der RG brauchte sie aber fast ein Jahr, um definitiv diese Sportart auszuüben. «Heute ist es meine grosse Leidenschaft. Die RG ist ein Teil von mir.» Die drei Jahre jüngere Sophia Carlotta Chiariello eiferte schon früh der älteren Schwester nach. «Ich machte ihr einfach alles nach. Mir gefiel, was sie tat und ich wollte diese Sportart unbedingt auch betreiben.» Sie liebe es aber auch, mit der Familie und mit der Schule auf Ausflüge zu gehen. «Man kann ja überall trainieren. Auch die Aufgaben kann ich jeweils im Auto erledigen.» Eine Frage der Organisation, wie Vater Ralph Werren sagt. Und nicht unerwähnt lassen darf, «dass wir noch zwei jüngere Kinder haben, die auch nicht zu kurz kommen dürfen». Das jüngste Mädchen widmet sich dem Reiten, der Knabe hat mit Kunstturnen begonnen.

Die Geschwister haben untereinander ein gutes Verhältnis
Es fällt auf, dass die Geschwister untereinander ein gutes Verhältnis haben und dieses entsprechend pflegen. «Das hängt sicher damit zusammen, dass wir dieselbe Sportart betreiben. So auch zusammen Videos schauen und uns gegenseitig korrigieren können», erwähnt Noëmi Theurillat, die ältere Tochter der in Grenoble geborenen Französin Anouk Theurillat, die als Geigenspielerin mit ihrem Ehemann und Trompetist Olivier als Profimusikerin dem Berner Symphonieorchester angehört. «Ganz unsportlich sind wir nicht, mein Mann, der aus La Chaux-de-Fonds stammt, spielt regelmässig Tennis und früher Fussball», so die Mutter, die es lieber gesehen hätte, «dass meine Töchter zwei verschiedene Sportarten gewählt hätten.»

Wer weiss, während man in der RG bereits mit 16 Jahren als Seniorin gilt und in der Regel Mitte 20 aufhört damit, ob die beiden Töchter nicht doch noch eines Tages ernsthaft zu einem Musikinstrument greifen werden. Im Moment ist dies kein Thema, auch wenn Diane Theurillat in der Konsi Bern jede Woche einmal Cello spielt. «Ich habe vor allem die Rhythmische Gymnastik im Kopf», sagt Diane entschieden. Die ältere Schwester ergänzt: «Ich staune immer wieder. Sie macht es oft besser als ich.» Die Zukunft wird zeigen, wohin die Wege führen werden.

«Die Gruppe der Rhythmischen Gymnastik ist unsere Familie»
Zur Gruppe jener, die in Biel trainieren, hat sich inzwischen neben der Bielerin Noëlle Wüthrich (siehe Text rechts) auch Fabienne Lüthy gesellt. Sie ist das Aushängeschild dieser Sportart und für viele ein Vorbild. Denn: Die 15-Jährige wurde ins erweiterte Nationalkader aufgenommen und trainiert zur Zeit in Lyss. Später sollen die Trainings wieder im Verbandszentrum in Magglingen stattfinden. Dorthin wollen die meisten Turnerinnen, die derzeit in Biel Stunde um Stunde trainieren. «Sie spornen sich gegenseitig an, aber ich bin froh, dass sie nicht in der gleichen Kategorie ihre Wettkämpfe bestreiten», sagt die Mutter von Fabienne und Célia Lüthy, Regula Siegenthaler, langjährige Präsidentin der RG Ittigen bis letzten Sommer.

Beide Töchter haben schon einige Schweizer-Meister-Titel geholt und sich entsprechend hohe Ziele gesetzt. «Ich bin froh, dass Célia sportlich die gleichen Interessen hat. So können wir über das Gleiche sprechen und uns unterstützen», hält Fabienne Lüthy fest. Je älter eine Athletin, desto anspruchsvoller wird es, alles unter einen Hut zu bringen. Die Anforderungen in der Schule sind gestiegen, worüber sich Fabienne Lüthy den Kopf allerdings nicht zerbricht. «Ich gebe in der Schule und im Sport einfach das Beste. Manchmal braucht es am Wochenende weitere Lernstunden. Ich möchte mit Freunden und Familie ab und zu ja auch etwas unternehmen.» Dazu interessiere sie sich im Moment stark für ihre Zukunft. So hat sie in zwei Architekturbüros in Biel und einer Sportklinik geschnuppert. Und ihre grosse Liebe gehört der Kriminologie. Ohne das grosse sportliche Ziel aus den Augen zu verlieren: Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris.

Die Jüngere habe zum Glück noch einige Schulkolleginnen im Quartier, «aber die Rhythmische Gymnastik ist unsere Familie, hier feiern wir auch oft zusammen die Geburtstage der Kinder», sagt die Mutter, Ehefrau von Daniel Lüthy, früher Gewichtheber. Tanz und Musik begeisterten die Töchter schon von klein auf, die Rhythmische Gymnastik daher die geeignete Sportart für Fabienne und Célia Lüthy. Die beim Gespräch darüber rätseln, ob Fabienne im Alter von Célia gleich gut oder doch etwas besser war. Auch das gehört zum Geschwister-Dasein in der gleichen Sportart. Es ist ein gegenseitiges Vorantreiben zu immer noch besseren Leistungen.

******************************************

Jahres-Höhepunkte in Magglingen und in Biel
Von Ende März bis Mitte Mai stehen die Qualifikationen an, bevor am 25./26. Mai in Magglingen die Schweizer Meisterschaften stattfinden werden. Eine Woche später wird in Biel um die kantonalen Titel gekämpft. Zudem gilt es, auf nationaler Ebene wieder ein Nationalteam für die Olympischen Spiele 2024 zu formen.

Mit dem 25. Rang an den vergangenen Weltmeisterschaften in Sofia hatte das Schweizer Nationalkader der Rhythmischen Gymnastik die Qualifikation für die WM 2019 verpasst. Die Chance der Schweizer Gruppe auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen 2020 ist somit nahezu ausgeschlossen. Aus diesem Grund hat sich der Schweizerische Turnverband (STV) für einen Neuanfang entschieden. Die bis Anfang 2019 laufenden Verträge der aktuellen Nationalkader-Gymnastinnen wurden aufgelöst. Cheftrainerin Iliana Dineva wird beauftragt, im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2024 ein neues Team aufzubauen.

Neue Halle in Biel/Magglingen?
An seinem Engagement in der Rhythmischen Gymnastik hält der STV fest. Noch mehr: So prüft der STV unter anderem die Realisierung und Finanzierung einer Trainingshalle in der Region Biel/Magglingen, die speziell auf die Bedürfnisse der Rhythmischen Gymnastik zugeschnitten ist. Ab Sommer 2019 wird man mit dem Neuaufbau einer Gruppe für den Olympia-Zyklus 2021 – 2024 beginnen. Die bisherigen Trainerinnen sind weiterhin für die Rhythmische Gymnastik im STV tätig. Temporär, bis zum Start des Kaderneuaufbaus, werden sie Aufgaben im Juniorinnen-EM-Projekt wahrnehmen. So meldete sich der Verband Anfang Oktober 2018. Und genau hier werden nun die Hebel angesetzt. Die besten Nachwuchskräfte stehen unter besonderer Beobachtung, weil es um die neuen Juniorinnen-EM-Mitglieder geht. Darum, dieses neue Nationalteam zu formen. Auch die Region Biel stellt einige Athletinnen (siehe Bild unten), die durchaus für höhere Aufgaben in Frage kommen. Gespannt blickt man denn auch den Grossanlässen entgegen. Da kommt das Seeland in diesem Jahr zum Handkuss: Am 25./26. Mai finden die Schweizer Meisterschaften in Magglingen statt (die vierten nach 1997, 2003 und 2007), eine Woche später organisiert der Verein Gym Biel-Bienne auch die Kantonalmeisterschaften in Biel.

Bielerin mit Olympia-Ambitionen
Im Juniorinnen-EM-Kader steht die Bielerin Noëlle Wüthrich (im Bild unten in der Mitte). Sie reist mit der Gruppe Mitte Mai an ihre ersten Europameisterschaften nach Aserbaidschan. Die Ziele sind entsprechend hoch: «Ich möchte mich für das Nationalkader aufdrängen, das sich für die Olympischen Spiele 2024 in Paris qualifizieren möchte.» Die 13-Jährige hat national mit der Gruppe schon einige Erfolge feiern können (2017 Schweizer Meisterin, 2018 dritter Rang mit dem Band) und sich die Aufnahme ins Juniorinnen-EM-Kader mit derzeitigem Trainingsort in Lyss gesichert. Zuvor, 2015, wurde sie ins Regionale Leistungszentrum Biel und Region aufgenommen. Nach diesem Schritt turnt sie mit noch mehr Fleiss und Aufwand, um die Ziele zu erreichen. Dank einer Klassenkollegin in der Mühlefeld-Schule kam sie zur Rhythmischen Gymnastik. «Ich ging zuvor ins Ballett und habe dann auch zu Hause immer geturnt, bis ich es beim Bieler Verein versuchte», erinnert sich die Sportschülerin an ihre Anfänge zurück. stv/bmb

*******************************************


Livia Maria Chiariello
Jahrgang 2005, Sportgymnasium in Bern ab August, TV Länggasse Bern. 2012 Eintritt ins Regionale Leistungszentrum Biel und Region.

Amtierende Schweizer Meisterin 2018 in der Kategorie P4 Mehrkampf und in der Kategorie P4/P5 Reif.

Seit 2014 holte sie neun Schweizer-Meister-Titel, zweimal wurde sie Vizemeisterin. Anfang Jahr in Chambéry erster internationaler Sieg. Mehrere Spitzenplätze an internationalen Wettkämpfen.


2018 Aufnahme ins Juniorinnenkader. Ziel, die Schweiz im Ausland mit Freude und Erfolg zu vertreten.

bmb

Sophia Carlotta Chiariello
Jahrgang 2008, Schülerin, TV Länggasse Bern. 2015 Eintritt ins Regionale Leistungszentrum 
Biel und Region.

Amtierende Schweizer Meisterin in der Kategorie P2. Seit 2017 holte sie noch zwei Vizetitel. Zahlreiche Spitzenplätze an internationalen Wettkämpfen.

2019 Aufnahme ins Nachwuchskader A.

bmb

Noëmi Theurillat
Jahrgang 2006, Sport- und Kultur-Schule Rittermatte in Biel, RG Ittigen. 2017 Eintritt ins Regionale Leistungs-Zentrum Biel und Region.

Amtierende Schweizer Meisterin 2018 in der Gruppe G2 Seil. 2017 3. Rang Team Juniorinnen/Seniorinnen am Coupe Suisse.

bmb

Diane Theurillat
Jahrgang 2009, Manuelschule in Bern, RG Ittigen. 2017 Eintritt ins Regionale Leistungs-Zentrum Biel und Region.

An den letzten Schweizer Meisterschaften 2018 4. Rang G1. 3. Rang Coupe Suisse Team Jugend.

2019 Aufnahme ins Nachwuchskader B.

bmb

Célia Lüthy
Jahrgang 2006, Schülerin, RG Ittigen. 2013 Eintritt ins Regionale Leistungs-Zentrum Biel und Region. 2015 Aufnahme Nachwuchskader B, 2017 Aufnahme Nachwuchskader A, 2019 Aufnahme Juniorinnenkader.

2016 Schweizer Meisterin Mehrkampf P2 und G1. 2017 Schweizer Meisterin G1. 2. Rang Coupe Suisse 2018.

Amtierende Schweizer Meisterin 2018 Gruppe G2 Seil.

bmb

Fabienne Lüthy
Jahrgang 2003, Sport- und Kultur-Schule Gymnasium Biel. RG Ittigen. 2010 Eintritt ins Regionale Leistungs-Zentrum Biel und Region. 2012 Aufnahme Nachwuchskader B, 2014 Aufnahme Nachwuchskader A, 2016 Aufnahme Juniorinnenkader, 2017 Aufnahme Juniorinnen-EM-Kader mit EM-Teilnahme (17. Rang). 2015 Schweizer Meisterin Gruppe G2 Keulen, 2016 Vizemeisterin G3 Keulen, 2017 Schweizer Meisterin G3 Keulen und zahlreiche Spitzenklassierungen an internationalen Gruppen- und Mehrkämpfen.

Amtierende Schweizer Meisterin 2018 Kategorie P4/P5 Ball, Vize-Schweizer-Meisterin Mehrkampf P5 und Vize-Schweizer-Meisterin P4/5 Band.

2019 Aufnahme ins erweiterte Nationalkader mit Ziel Nationalkader und Olympische Spiele 2024.

bmb

**************************************************


Bielerinnen mit guten Chancen an den Schweizer Meisterschaften. Vorerst geht es in die Qualifikation. Von links: Alina Buchs, Shana Bundeli, Noëlle Wüthrich, Mélissa Reymond, Felicia Squieri. Bild: Susanne Goldschmid

Das ist Rhythmische Gymnastik
Die Rhythmische Gymnastik ist eine sehr feminine Spitzensportart. Grazile Gymnastinnen turnen Einzel oder in der Gruppe (fünf Gymnastinnen) auf einem Teppich von 13 x 13 Metern zu Musik. Die Mischung aus ausdrucksvollem Tanz, perfekter Körperbeherrschung in Verbindung mit den technisch höchst anspruchsvollen Elementen des Handgerätes in Bezug zur Musik, machen die Faszination dieser Sportart aus.

Wettkämpfe werden in zwei Arten ausgetragen: Einzel und dem Gruppenwettkampf. Im Einzelwettkampf werden von jeder Gymnastin vier Übungen mit vier der fünf Handgeräte (Seil, Reifen, Ball, Keulen, Band) geturnt. Eine Gruppenübung wird von fünf Gymnastinnen ausgeführt. Die Gruppen zeigen zwei verschiedene Darbietungen mit einem oder zwei verschiedenen Handgeräten. Der Internationale Turnerbund FIG schreibt alle zwei Jahre nach den Europameisterschaften einen Wechsel der Handgeräte vor.

Termine: Am 25./26. Mai finden die Schweizer Meisterschaften in der Sport-Toto-Halle in Magglingen statt; am 1. Juni die Kantonalmeisterschaften in der Esplanade. Zwischen dem 13. und 23. Juni steht das Eidgenössische Turnfest in Aarau auf dem Programm, wo auch Rhythmische Gymnastinnen im Einsatz stehen. Am 9. November findet zum Abschluss des Jahres ein weiterer Höhepunkt mit dem Coupe Suisse auf der Terminliste.

stv/bmb

 

Nachrichten zu Aktuell »