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Training

Coaching trotz räumlicher Distanz

Seit dem Corona-Lockdown instruiert Andrea Zryd aus ihrer Stube Spitzensportler. Die Trainings per Videochat funktionieren besser, als dass es die Athletiktrainerin erwartet hat.

Per Video zugeschaltet: Kevin Fey, Verteidiger des EHC Biel, trainiert bei sich im Garten. Konditionstrainerin Andrea Zryd gibt von zuhause aus Anweisungen. zvg
Moritz Bill
 
Zu Hamsterkäufen kam es nicht nur bei den Lebensmitteln. Auch Fitnessgeräte wurden im Zuge der angeordneten Schliessung aller Sportanlagen ein begehrtes Gut. Viele Breitensportler deckten sich mit Hanteln, Reckstangen und anderem Zubehör ein. Jöel Fröhlicher, um ein Beispiel zu zeigen, hat mittlerweile ein Grossteil des Inventars seines Fitnesscenters in Bözingen vermietet. Schon ein paar Tage vor dem Lockdown hatte Athletiktrainerin Andrea Zryd beim ehemaligen Eishockeyspieler Equipment reserviert. Sie hatte eine Vorahnung, dass es bald an Geräten mangeln könnte. Doch dieser Vorrat reicht nun doch nicht aus, um all ihre Schützlinge einzudecken, die zuhause trainieren müssen.
Die Magglingerin betreut zusammen mit Partner Alex Reinhard seit Jahren vor allem Eishockey-Profis im Athletikbereich. Nach Saisonende stehen die wichtigsten, intensivsten Monate an, um die kommende Spielzeit vorzubereiten. Doch gerade jetzt sind die Sportler eingeschränkt, weshalb das Coaching-Duo erfinderisch sein muss. Denn Spitzensportler brauchen Bewegung, nimmt diese drastisch ab, kann das auch negative Auswirkungen auf die Psyche haben. Natürlich gehe es in erster Linie darum, mit gezielten Übungen die physische Leistungskraft beizubehalten, sagt Zryd. «Doch genauso wichtig ist es, die Moral aufrecht zu erhalten. Wir sind nun auch ein bisschen Mentaltrainer. Wir müssen die Athleten motivieren und ihnen in diesen speziellen Zeiten mit dem Trainingsprogramm einen strukturierten Alltag schaffen.»
 
Der soziale Kontakt fehlt
Nachwuchs-Stabhochspringer Simon Schenk begann als erstes, unter den speziellen Bedingungen nach den Anweisungen von Zryd-Reinhard zu trainieren. Er absolviert ein Wochenprogramm, täglich «treffen» sich Athlet und Trainerin via Facetime. Schenk kann Fragen stellen und erhält Feedback, nachdem seine Sessions – entweder live oder aufgezeichnet – begutachtet wurden. «Diese räumliche Trennung funktioniert überraschend problemlos», sagt Zryd. Sie hatte anderes erwartet, gegenüber der neuen Vorgehensweise war sie skeptisch eingestellt. Dennoch, auf Dauer werde das wohl nicht gut gehen. «Der menschliche Kontakt ist genau das, was das Coaching letztlich ausmacht.» 
Die Eishockeyspieler hatten schon vereinzelte Video-Trainings, nächste Woche starten sie das strukturierte Programm. Die virtuelle Gruppe besteht aus Damien Brunner, Kevin Fey (beide EHC Biel), Grégory Hofmann (EV Zug), Luca Fazzini (HC Lugano), Philipp und Simon Rytz (beide EHC Olten). Geplant ist vorerst ein lockerer Aufbau, denn Zeit steht nach dem verfrühten Saisonende im Überfluss zur Verfügung. Kommt hinzu, dass je nach Entwicklungen ein verspäteter Start in die kommende Meisterschaft zum Thema werden könnte. «Im Juli in Hochform zu sein, würde keinen Sinn machen», erklärt die Swiss-Olympic-Diplomtrainerin.  
Nun aber bloss auf die naheliegenden Faktoren Ausdauer und Kraft zu setzen, wäre jedoch verfehlt. Von Anfang an soll die Schnelligkeit im Zentrum stehen. Zyrd erklärt: «Die Körper der Spitzensportler benötigen die neuronale Aktivierung. Diese zu erhalten, ist momentan die grösste Schwierigkeit.» Speziell bei einer explosivkräftigen Sportart wie Eishockey ist diese gezielte, regelmässige und intensive Ansteuerung der Muskulatur wichtig, die mit Sprung- und Sprint-Übungen erreicht wird. Vernachlässigt man dies, nimmt die Verletzungsgefahr zu.
Die Athleten sind also darauf bedacht, bestmöglich in Form zu bleiben. Nur, alleine trainieren dürfte für Teamsportler langfristig eintönig werden. Deshalb möchte Andrea Zryd unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln so bald wie möglich Einheiten in Zweier- oder Dreier-Gruppen abhalten. Der gegenseitige Ansporn kann je nach Charakter eine wichtige Rolle für die Motivation spielen. Doch vorerst ist das Coaching-Duo dabei, Spielformen ins Programm aufzunehmen, die den Wettkampfhunger trotz räumlicher Distanz stillen. «Solche spielerischen Challenges, in denen man sich via Video messen kann, sind wertvoll.»
 
Wertvolle Erfahrungen sammeln
Die aussergewöhnliche Situation erweitert den Erfahrungsschatz, weshalb Andrea Zryd in der aus der Not entstandenen Trainingsstruktur durchaus Positives sieht. «Wir können daraus viel lernen», sagt sie. Schon nur, dass trotz minimalster Infrastruktur daheim so vieles möglich ist, habe man zuvor nicht zweifelsfrei für möglich gehalten. 
Trotzdem, die Athletiktrainerin hofft auf eine baldige Rückkehr zu einer gewissen Normalität. «Bis in den Juni könnten wir unsere Athleten, und auch uns, bei der Stange halten. Sollte es länger dauern, weiss ich jetzt aber noch nicht, wie das dann gehen soll.» Weit voraus zu planen, würde derzeit ohnehin keinen Sinn machen. «Wir stecken alle in derselben Situation, die wir nicht ändern können. Wir machen das Möglichste und versuchen, dies maximal gut zu machen.»