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OS-Tagebuch

Das IOC sollte in den Spiegel schauen

Alle zwei Jahre schaue ich in den Spiegel und staune. Von einem Relaunch fehlt jede Spur.

Patric Schindler, Blattmacher Sport

Ich kann kaum nachvollziehen, was ich da sehe. Ja, dieser Medaillenspiegel der Olympischen Spiele beschäftigt mich immer wieder, denn schliesslich soll jede Rangliste im Sport die Stärkeverhältnisse wiedergeben. Aber bei den Winterspielen in Peking ist dies nicht der Fall. Auf dem 1. Rang des Medaillenspiegels liegt nicht zwingend jene Nation, die am meisten Medaillen gesammelt hat. Aber olympisches Edelmetall ist doch das Nonplusultra jeder Sportlerin und jedes Sportlers. Die meisten Olympioniken sagen, dass sie eine Medaille gewinnen wollen. Die wenigsten sprechen davon, dass sie Gold anstreben. Auch Swiss Olympic setzt sich zum Ziel, in Peking 15 Medaillen ins Trockene zu bringen. Ob das goldene, silberne oder bronzene sind, ist für die Bilanz zweitrangig. Es muss einfach 
15-mal Edelmetall sein.

Beim Medaillenspiegel des IOC ist es möglich, dass eine Nation einmal Gold holt und sonst leer ausgeht, aber trotzdem vor einem Land liegt, das fünfmal Silber und dreimal Bronze gewonnen hat. In diesem Fall «wiegt» eine Medaille mehr als acht zusammen. Silberne und bronzene Medaillen werden bei der Klassierung nur dann herangezogen, wenn zwei Länder dieselbe Anzahl an Goldmedaillen vorweisen. Sportlich am fairsten wäre, wenn im Medaillenspiegel jene Nationen vorne liegen, die am meisten Medaillen gewinnen. Diese Zählweise würde aber jene Sportfans auf den Plan rufen, die auch die olympischen Diplome (bis zum 8. Rang) in die Tabelle einfliessen lassen möchten. Oder wie wärs mit Top-Ten-Plätzen als Massstab?

Tabellen oder Bestenlisten zu interpretieren, sollte eigentlich eine eigene Sportart sein. Wer ist der erfolgreichste Tennisspieler aller Zeiten? Roger Federer, Rafael Nadal oder Novak Djokovic? Werden dabei die Anzahl Wochen als Nummer eins oder die Grand-Slam-Siege in die Auswertung herangezogen? Oder noch kniffliger: Wer ist im Sport der Goat (greatest of all time)? Fussballer, Tennisspieler und Boxer wären wohl in der engsten Auswahl.

Ich möchte mich bei allen Wintersportfans für diesen kurzen «Ausflug» in die Sommersportarten entschuldigen, denn das ist nicht im Sinne dieses Tagebuchs, das die Olympischen Winterspiele thematisieren sollte. Aber in Zeiten, in denen der Final der Fussball-WM eine Woche vor Weihnachten stattfindet, darf man schon mal die Karten mischen. Patric Schindler