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«Das Ziel ist Sport ohne Gewalt»

Pierre-Yves Grivel, wann kamen Sie das letzte Mal an einem Sportanlass in eine brenzlige Situation?

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Interview: Marco Oppliger

Pierre-Yves Grivel, wann kamen Sie das letzte Mal an einem Sportanlass in eine brenzlige Situation?

Ich besuche viele Sportanlässe, so habe ich seit Jahren zwei Sitzplatz-Abonnemente beim EHC Biel und gehe auch oft Fussballspiele in Biel und Bern schauen. Ich bin also immer etwa am Puls. Beim EHC Biel war es diese Saison ja ruhig, aber am Samstag zündete einer eine Pyro-Fackel. Dabei war die Stimmung so schön, alles friedlich, dann muss einer eine solche Fackel zünden. Und genau solche Momente stören mich und die wollen wir nicht mehr haben.

Aber das war ein Einzelfall.

Sicher. Ich war diese Saison zwei, drei Mal im Stade de Suisse, um YB zu schauen und wurde von einem Kollegen für die SCB-Heimspiele gegen Biel eingeladen. Die Fankurve war dabei anständig und ich weiss auch, dass die Vereine und die Fans dafür arbeiten, dass es keine Gewalt mehr gibt. Aber sie ist trotzdem noch da. Wir wollen keine Gewalt mehr in den Stadien, deshalb auch die Korrekturen und Empfehlungen in diesem revidierten Konkordat, zum Beispiel die Bewilligungspflicht. Sie ist das Kernstück und man muss betonen, dass es sich um Kann-Formulierungen handelt, die daran geknüpft sind.

Die Meinung in der vorberatenden Kommission des Grossen Rats war deutlich: 14 stimmten für, 3 gegen das revidierte Hooligan-Konkordat. Was war für Sie bei der Abstimmung ausschlaggebend?

Das gemeinsame Ziel ist Sport ohne Gewalt. Sicher, viele Sachen wurden bereits korrigiert, denken wir nur ein paar Jahre zurück, als die Polizei an den EHC-Heimspielen in Kampfmontur aufgetreten ist. Die Polizei ist heute eher im Hintergrund, die Fans haben zu dieser Situation ebenfalls beigetragen, Fanarbeiter wurden eingestellt. Das alles finde ich positiv. Nur: Beim letzten Derby zwischen Bern und Biel wurde im Extrazug dreimal die Notbremse gezogen und eine Scheibe eingeschlagen. Nun waren da auch Fanarbeiter dabei, da muss ich aber sagen, dass sie wenig Autorität haben. Das sind eben die Sachen, die mich stören. Ich bin nicht generell gegen Fussball- und Eishockeyfans. Im Gegenteil: Ich finde es sehr positiv, wenn sie singen und Choreografien machen, wenn Emotionen drin sind. Leider haben wir halt einfach mit fünf bis neun Prozent der Leute Probleme.

Das sind wenige.

Ja, das sind wenige. Aber sie sind immer noch da und für alle sichtbar. Und diese Leute wollen wir nicht mehr im Stadion haben.

Aber die Zahlen der Zwischenfälle an Sportanlässen sind rückläufig. Wieso braucht es dann jetzt ein revidiertes Hooligan-Konkordat?

Für genau diese Leute, die noch nicht verstanden haben, dass wir keine Gewalt mehr im Stadion haben wollen. Es ist schade, dass das nötig ist. Aber wir müssen das jetzt tun und dann schauen wir, wie es in zwei, drei Jahren aussieht. Unsere Hoffnung ist, dass wir damit verhindern können, dass diese kleine Gruppe weiter ins Stadion kommt.

2009 wurde das erste HooliganKonkorat eingeführt. Ist dieses gescheitert?

Nein, ich glaube nicht. Im Gegenteil: Vor drei Jahren war die Situation viel schlimmer. Die Vereine und die Fans haben mitgeholfen, dass es besser wird. Als Grossrat besuchte ich zweimal ein YBHeimspiel, wobei uns der ganze Sicherheitsablauf gezeigt wurde, also die Zusammenarbeit zwischen den Fans, den beiden Klubs und der Polizei. Es ist wirklich alles gut organisiert. Und an diesem Treffen zwischen den Parteien vor dem Spiel wird ja auch entschieden, wann eine Partie eine Risikopartie ist …

… also beispielsweise YB gegen Basel …

… oder GC gegen den FC Zürich. Das sind vielleicht zwei, drei Spiele pro Saison und beim Eishockey ist es dasselbe. Ich persönlich habe ja im Sport viel gemacht (Sportchef beim FC Biel, Präsident beim FC Aurore und Curling-Nationaltrainer, die Red.). Es gibt viele Sportarten, in denen es gar keine Probleme mit Hooligans gibt, denken wir beispielsweise an ein Turnfest oder an ein Schwingfest. Oder anders gesagt: Haben Sie schon einmal gesehen, dass während eines Volleyball- oder Basketballspiels Pyros gezündet wurden?

Nein.

Eben. Der Unterschied ist halt, dass im Fussball und Eishockey die Fans gruppiert sind. Es ist quasi eine Lebensart. Man geht mit Kollegen an ein Spiel, um zusammen zu stehen und zusammen zu singen. Ich finde das positiv, wenn die Fans Stimmung machen – aber ohne Gewalt. Wieso braucht es Pyros an einem Fussballspiel? Wir wissen alle, dass es schon Verletzte gab, es ist gefährlich.

Die Fans sagen, es gehöre zur Fankultur.

Gehört das in einem Stadion wirklich zur Kultur? Ist es normal, dass ich die ersten fünf Minuten der zweiten Halbzeit eines Fussballspiels im TV fast nicht sehe, weil alles voll Rauch ist? Und der Spieler, der muss dann all diese Dämpfe einatmen? Das ist doch nicht normal. Bringen wir es auf den Punkt: Das revidierte Hooligan-Konkordat ist nicht nur eine repressive Massnahme. Wir wissen, dass mit Prävention Erfolge erzielt wurden. Aber es braucht für einige Leute einfach noch eine Korrektur. Kritiker sagen, dass dies nur eine kleine Gruppe ist. Das stimmt und das ist ja eigentlich schlimm.

Konkret könnte mit einem revidierten Konkordat ein Alkoholverbot eingeführt werden oder die Gästefans dürften nur mit einem Kombiticket mit dem Extrazug anreisen. Mit solchen Massnahmen würden auch die mehrheitlich friedlichen Fans bestraft. Ist das richtig?

Nein, das ist nicht richtig. Aber wir wissen, dass diese 95 Prozent auch friedliche Spiele wollen. Die harten Fans können ja zusammen mit dem Zug an ein Spiel fahren und in ihrer Fankurve stehen, sie wollen das ja. Die, die das nicht möchten, gehen halt auf einen Sitzplatz und nicht in die Kurve. Und dort gibt es keine Gewalt. Deshalb müssen wir schauen, dass dies auch in den Fankurven so wird. Für das brauchen wir die Vereine, die Fans, die Fanarbeiter und die Polizisten. Wenn es ein Risikospiel gibt, nehmen wir zwei, drei Korrekturen vor. Ich habe das Gefühl, es geht nur vorwärts.

Haben Sie wirklich das Gefühl, dass es bei zwei, drei Spielen pro Jahr bleibt, bei welchen solche Massnahmen durchgesetzt werden?

Ja, diese Massnahmen sind nur für einzelne Spiele gedacht. Im Kanton Bern haben wir alleine fünf Mannschaften in der höchsten Fussball- und Eishockeyliga. Das ist in der Schweiz einzigartig, deshalb kennt man hier die Probleme. Bern ist ein guter Testkanton für das revidierte Konkordat. Und letztlich ist es doch im Interesse von allen, dass wir an Sportanlässen keine Gewalt haben. Das sagte auch Peter Gilliéron (SFV-Präsident, die Red.) in einem Interview. Ich habe selber anlässlich des Cupfinals erlebt, wie beide Fangruppen mit dem Zug zum Berner Hauptbahnhof anstatt zum Bahnhof Wankdorf fuhren. Danach liefen sie durch die Stadt zum Stade de Suisse. Anschliessend konnten gleich Putzequipen auffahren, weil überall hingepinkelt wurde und auch sonst Schaden entstand. So etwas brauchen wir nicht.

Die Lysser Grossrätin Margreth Schär ist gegen das revidierte Konkordat. Sie nennt die Präventionsarbeit von YB als Beispiel, dass es auch anders geht. Aber machen die Vereine Ihrer Meinung nach generell genug?

Ich denke, dass die Sportvereine im Moment zufrieden sind, dass die Fans relativ ruhig sind. In Biel und Bern ist dies jedenfalls der Fall. Aber es ist noch nicht überall geregelt, so lange es Leute gibt, die Krawalle suchen und sich vermummen. Ich hasse das. Sport ist doch Lebensschule. Stellen sie sich vor, ein Vater geht mit seinen Kindern an ein Spiel und die sehen dann so etwas. Das wollen wir nicht. Ich selbst brauche als Schulleiter auch ein Reglement im Schulhaus, weil es gewisse Leute gibt, die sich nicht an die Norm halten.

Frau Schär sagt, das 2009 eingeführte Konkordat sei noch nicht voll ausgeschöpft, es brauche keine Revision.

Das ist möglich. Wir können auch noch weitere zehn Jahre warten und zehn Jahre hören, dass wieder Notbremsen gezogen und Scheiben eingeschlagen wurden. Sicher, das Konkordat ist gut, die Zusammenarbeit zwischen den Parteien funktioniert und wir konnten schon viel korrigieren. Aber jetzt fehlen noch zwei, drei Sachen und mit dieser Revision können wir dies verbessern.

YB hat mit seiner Fanarbeit demonstriert, dass man die Supporter erziehen kann. Heute gibt es im Extrazug kaum mehr Schäden.

Ja, Prävention funktioniert. Aber es braucht halt einfach zwei, drei Punkte, die wir härter machen müssen. Und das soll nicht nur von der Polizei ausgehen, sondern von allen Parteien.

Haben Sie das Gefühl, dass diese fünf bis neun Prozent, welche zur Gewalt neigen, mit den verschärften Massnahmen wirklich abgeschreckt werden?

Mit der Hilfe von allen ja, sonst geht es nicht. Wir müssen weiterhin zusammenarbeiten – auch präventiv.

Frau Schär sagt ja, im revidierten Konkordat sei kein Platz mehr für Prävention.

Das glaube ich nicht, das wäre auch total falsch. Das Konkordat gilt ja weiterhin, es kommen einfach zwei, drei Korrekturen dazu. Unser oberstes Gebot ist es, die normalen friedlichen Matchbesucher zu schützen.

Im Kanton Bern drüfte das Konkordat angenommen werden, andere Kantone sind kritischer.

Basel und Zug sind nicht so begeistert davon, viele andere schon. Allerdings finde ich, dass national die gleichen Regeln gelten sollten. Es bringt nichts, wenn einige Kantone ein revidiertes Konkordat haben und andere nicht.