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Schiessen

Der Schuss ins Bein und eine Rente von einem Franken

Das gab es noch nie: Das Eidgenössische Schützen-fest findet wegen der Corona-krise dezentral auf 1800 Schiessplätzen statt. Der Blick zurück zeigt: Ausnahmen gab es in den letzten 200 Jahren immer wieder.

Symbolbild: Keystone

Spätestens seit der Diskussion um das europäische Waffenrecht im Schengenraum gelten die Schützinnen und Schützen als konservativ. Vor 200 Jahren waren es die Liberalen, die nach der Revolutionszeit und französischen Besatzung den modernen Bundesstaat mit dem Eidgenössischen Freischiessen und der Gründung des Schiesspsortverbandes festigen wollten. Sie bildeten das Fundament der neuen eidgenössischen Verbundenheit im Schiessen, wie sie Gottfried Keller im «Fähnlein der sieben Aufrechten» beschrieb.

30 Jahre später, 1857 in Bern, verfügte das Budget über eine Preissumme von 179 000 Franken. Im Zentrum des Schützenfestes in der Enge beim Viererfeld stand das Scheibenschiessen auf eine Distanz von 350 Schritten. Geschossen wurde mit Vorderladern.

Überliefert und im Schützenmuseum in Bern dokumentiert sind auch besondere Vorkommnisse wie der Schiessunfall mit dem Schuss in das Bein eines Zeigers. Der Mann wurde auf dem Platz verarztet, mit einem Essen und einer Mass Wein versorgt und einer lebenslangen jährlichen Rente von einem Franken ausgestattet. Oder die Belader, die den Schützen zur Seite standen. Sie mussten bei der lokalen Polizei eine Prüfung ablegen, da das Pfeifenrauchen zuvor beim Hantieren mit Schwarzpulver zu Unfällen geführt hatte.

Halt in Biel

Vom 2. bis 21. Juli 1958 machte das Eidgenössische Schützenfest auch Halt in Biel. 39 Einträge dazu dokumentieren im Geschäftsbericht der Stadtverwaltung die Aufgaben von der Altstadtbeleuchtung, den gespendeten Ehrengaben bis zu den Pferdestunden für die tägliche Abfallentsorgung. Der Aufwand für den zusätzlichen Reinigungsdienst belief sich auf 150 Tagschichten und 60 Last- und Kehrichtwagenstunden.

Auf 90 Scheiben wurde beim Flugplatz im Bözingenmoos über die Strasse nach Pieterlen hinweg geschossen. «Es gab auch einen 100m-Stand mit einer originellen Scheibe», erinnert sich der 84-jährige Lothar Ackermann vom Schützenverein der Stadt Biel. Wie 63 Jahre später im aktuellen Festprogramm, hat er damals mit seinem Karabiner vier Stiche geschossen. Ein Kranzresultat und drei um je einen Punkt verpasste Kränze waren die Ausbeute. Dieses Jahr hat er in allen vier Stichen reüssiert.

Als grösster Unterschied zu damals sind ihm die Zeiger in Erinnerung geblieben. Im gesicherten Scheibenstand haben diese mit vier farbigen Kellen und dem Zehnerfähnchen die Schusslage und anschliessend den Punktwert angezeigt. Dass die Lausbuben unter den jungen Schützen auch einmal die Kelle der Zeiger ins Visier nahmen, gehört im Zeitalter der elektronischen Trefferanzeige der Vergangenheit an.

Mit der Umweltgesetzgebung wurden wurde die Schützen zum Sanieren ihrer Scheibenstände motiviert. Der Kugelfang aus Rundholzbeigen oder alten Autopneus war, wie die nähere Umgang, stark mit Blei und anderen Schadstoffen belastet. Da die Gemeinden ihren Pflichtschützen eine Schiessgelegenheit bieten müssen, schlossen sich jene mit ihren Burgern und Schützenvereinen zusammen und bauten mit den Kugelfängen auch elektronische Scheiben ein.

Modernste Anlage in Ipsach

Im Ipsacher Schiesstand Almeli steht mit der Anlage Sius SA9005 die modernste 300-Meter-Trefferanzeige im Einsatz. Wie bei allen Anlagen steuern Richtmikrofone die Schussauswertung auf akustischer Basis. Beim Scheibenbild auf einer Kautschuk-Folie schliessen sich die Einschusslöcher von selbst. Elektronisch werden die zwei Scheibenbilder der A-Scheibe mit dem schwarzen Kreis oder der B-Scheibe beim Feldschiessen gesteuert.

Die Elektronik im Schützenhaus ersetzt den Warner: Scheibe, Wertung und Schussprogramm sind in IT-Programmen erfasst und werden mit einem Strichcodeleser oder auf dem Touch-Screen angesteuert. Von seiner Pritsche aus kann auch der Schütze nach den Probeschüssen die Wettkampfpasse starten und auf dem Schützenmonitor die Punktzahl und Schusslage ablesen.

In Ipsach hat Hauptschützenleiter und Standwart Michale Wüthrich die Anlage zusammen mit der Herstellerfirma getestet. Er nutzt dabei die vorhandenen Schnittstellen, um das Geschehen auf den Scheiben auch in die Schützenstube auf einen grossen Bildschirm zu übertragen.

«Früher haben wir aus der Festwirtschaft das Geschehen auf unserer Scheibe verfolgen können», erinnert sich Ackermann.

Wiedersehen in Chur

Mit der elektronischen Trefferanzeige sammelten sich nun Trauben von Kolleginnen und Kollegen beim Monitor am Warnerpult hinter der Pritsche im Schützenhaus.

Dieses Gedränge war in Coronazeiten einer der wichtigen Gründe für die erstmalige dezentrale Durchführung des 58. Eidgenössischen Schützenfestes.

In fünf Jahren wollen die 40 000 Schützinnen und Schützen in Chur wieder gemeinsam feiern und dannzumal auf die «guten alten Zeiten» ohne Virus anstossen. Markus Dähler