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Leichtathletik

Die Trainer als «Expeditionsleiter»

In der Regel legen sich die Athletinnen und Athleten erst im Alter zwischen 15 und 18 Jahren fest, wohin ihr Weg in der Leichtathletik führt. Bei Reagan Müller von Biel/Bienne-Athletics ist das anders.

Symbolbild: bt/a

Reto Pfister

Wer in einem Leichtathletikverein ein Kindertraining besucht, stellt fest, dass alle alles machen. Die Kids springen, laufen, werfen, sind Allrounderinnen. Irgendwann stellt sich aber die Frage, auf welche Disziplin sich jemand spezialisieren soll. Nur wenige bleiben Mehrkämpfer, die meisten weisen eine spezielle Begabung für die eine oder andere Disziplin auf. Die eine ist eine besonders schnelle Sprinterin, der andere kräftiger gebaut und für Wurfdisziplinen prädestiniert, die dritte wiederum sprungkräftig.

 

Klarer Fall bei Reagan Müller

Selten ist der Fall jedoch so eindeutig wie bei Reagan Müller. Sie ist 14 Jahre alt, wohnt in Orvin und ist als Siebenjährige dem Verein Biel/Bienne Athletics beigetreten. Müller bewegt sich klar Richtung Wurf, besonders das Kugelstossen mag sie. «Diese Disziplin mache ich am liebsten», sagt sie. «Ich habe auch ein klares Ziel vor Augen.» Müller will sich für die SM qualifizieren, dazu müsste sie die 3 kg schwere Kugel 10.90 m weit stossen. Ihre aktuelle Bestleistung beträgt 10.49 m, es ist realistisch, dass sie sich in der Wintersaison 2022 im gewünschten Mass verbessert.

Daher wird im Fall der 14-jährigen Reagan ausnahmsweise die Spezialisierung auf eine Disziplin beziehungsweise eine Disziplinengruppe vorgenommen. «Das liegt ihr, es ist auch machbar, dass sie sich für die SM qualifiziert», sagt Beat Geiser, der bei Biel/Bienne Athletics als Trainer auf der Stufe U-16 tätig ist.

Üblicherweise wird die Spezialisierung etwas später vorgenommen, im Alter zwischen 15 und 18 Jahren werden die Weichen für die spätere Leichtathletik-Laufbahn gestellt, wenn sich eine Athletin oder ein Athlet in Richtung Leistungssport orientieren will. «In der U-16-Kategorie machen eigentlich noch alle alles», sagt Geiser. Sie verfügen dann über eine Basisausbildung, von der aus sie aufbauen können. Und die ihnen hilft, zu kompletten Athletinnen, zu kompletten Athleten zu werden.

 

Längst nicht jede Disziplin

Und dann kommt die Zeit, in der ein Entscheid gefällt werden muss. Die Coaches nehmen dabei auch die Funktion des «Expeditionsleiters» ein. Denn in den Kinderwettkämpfen (siehe Zweittext) wird längst nicht jede Disziplin betrieben. «Es ist kein Zufall, dass die Starterfelder im Sprint und im Weitsprung im grössten sind», sagt Geiser. «Weil diese Disziplinen zum Programm des Kids-Cup gehören und weniger anspruchsvoll erscheinen als andere, was sie aber nicht sind.» Ein Jugendlicher könne aber noch nicht den Überblick über alle Disziplinen und die dafür notwendigen Herausforderungen haben.

Und da beginnt die Aufgabe der Coaches. So kann eine sprintbegabte junge Frau beispielsweise darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch die 400 m etwas für sie sein könnten, wenn sie gleichzeitig auch über die nötige Ausdauer für etwas längere Distanzen verfügt. Oder es kann einem jungen Mann schmackhaft gemacht werden, dass auch Hochsprung oder Speerwurf Spass machen können.

 

Von Wurf zu Lauf geht nicht

«Wichtig ist, dass man möglichst lange vielseitig bleibt», erklärt Philipp Bandi, der Leistungssportchef von Swiss Athletics. Wer mit 18 oder 19 Jahren auf den Langsprint wechsle, könne so von der Basissschnelligkeit der Grundausbildung profitieren. Bei technisch komplexen Disziplinen wie Stabhochsprung sei es eher ratsam, sich mit 15 Jahren verstärkt dieser Sparte zu widmen.

Aber auch später sei es durchaus möglich, die Disziplin noch zu wechseln. Allerdings dann innerhalb einer bestimmten Disziplinengruppe. Wer 400 m läuft, kann durchaus sich später entscheiden, sich auf 800 m oder 1500 m zu spezialisieren. «Was nicht mehr geht, ist ein radikaler Wechsel, etwa von Wurf auf Lauf», sagt Bandi. «Dafür ist es zu spät, wenn man das Erwachsenenalter erreicht hat.»

Einen anderen Weg, der auch funktionieren kann, ist der, zuerst Mehrkämpferin zu bleiben und dann auf eine Einzeldisziplin zu wechseln. Lea Sprunger etwa war als Juniorin noch Siebenkämpferin, spezialisierte sich dann in der U-20-Kategorie auf den Langsprint und holte 2018 den Europameistertitel über 400 m Hürden.

Und wie wars eigentlich bei Philipp Bandi? Auch er war mit seiner Entscheidung eher früh dran. Der heute 44-jährige Berner nahm in seiner Jugendzeit am Volksbank-GP teil, und bestritt Wettkämpfe auf der Bahn über 600 und 1000 m. «Das war das, was ich am liebsten machte», sagt Bandi. Er schaffte es als Langstreckenspezialist bis an die Olympischen Spiele; 2008 war er in Peking am Start.

 

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Die grossen Wettkämpfe für die Jungen

Bei den Kindern und Jugendlichen gibt es drei durch den Verband organisierte wichtige Wettkämpfe, in denen sie sich das Rüstzeug für ihre weitere Karriere holen können. Der Swiss-Athletics-Sprint (früher Migros-Sprint) und die Mille Gruyère finden in der Sommersaison statt. Beim Sprint werden auf die Altersklassen abgestimmte Distanzen gelaufen (7 bis 9 Jahre 50 m, 10 bis 12 Jahre 60 m, 13 bis 15 Jahre 80 m), Bei der Mille Gruyère werden 1000 m auf der Bahn zurückgelegt. In beiden Wettbewerben gibt es regionale Ausscheidungen (im Seeland «Dr schnällscht Seeländer»), Kantonalfinals und für die 10-15-Jährigen einen Schweizer Final.

Den UBS Kids Cup gibt es einer Sommer- und einer Wintervariante. Im Sommer besteht er aus einem Sprint (60 m), dem Weitsprung und dem Ballweitwurf (200 Gramm). Im Winter wird der UBS Kids Cup Team als spielerische und actionreiche Variante mit den Sparten Sprint, Biathlon und Teamcross durchgeführt. rp