Sie sind hier

Abo

Spitzensport

"Eine grosse Herausforderung"

Jennifer Bovay ist eines der grössten Schweizer Talente. Nun hat die 16-jährige Nidauerin ihren Rücktritt erklärt. Ihr Beispiel zeigt:Der Weg zum Spitzensportler ist gerade in der Schweiz steinig.

Jennifer Bovay hat mit 16 Jahren ihren Rücktritt erklärt. Bild: ky

mob. Schweizer Meisterschaften in Genf. Jennifer Bovay gibt noch einmal Gas und holt über 100 und 200 Meter Brust Silber und Bronze. Das Swim Team Biel jubelt, denn mit Bovay hat es seit geraumer Zeit einen sicheren Medaillenwert, mehrmals hat sie über 100 und 200 Meter Brust triumphiert. Nun wurde Bovay sogar ins Schweizer Elite-Kader aufgenommen. Doch trotz diesem Erfolg gibt sie auf.
In Genf erklärt sie ihren Rücktritt – mit 16 Jahren. Ihre Gründe:Fehlende Unterstützung aus dem persönlichen Umfeld und vom Schwimmverband. Sie habe sich dauernd unter Stress gefühlt, sagte sie vor rund einer Woche dem «Bieler Tagblatt». Nun war sie für eine Stellungnahme nicht mehr erreichbar.

«Jennifer ist ein Ausnahmetalent, sie schwimmt seit vier Jahren auf einem Top-Level», sagt Doris Lüthi, Chefin Schwimmen beim Swim Team Biel. «Doch ich habe schon länger gemerkt, dass es irgendeinmal nicht mehr geht.» Denn neben dem schwierigen persönlichen Umfeld, welches Bovay beklagt, kommen auch die finanziellen Schwierigkeiten dazu. Schwimmen ist ein sehr kostspieliger Sport. In einem Jahr muss ein Athlet gut und gerne 8000 bis 10000 Franken investieren, in Biel steuert der Verein weitere 6000 Franken bei. Schon nur die Wassermiete ist teuer. Das Swim Team Biel zahlt der CTS im Jahr für die Miete des Hallenbades 26000 Franken. Zusätzlich muss der Verein weitere Bäder in der Region mieten, was noch einmal rund 10000 Franken kostet. Dieser Betrag wird prozentual für die Mitglieder aufgesplittet, wer also mehr trainiert, zahlt auch mehr. Hinzu kommen die Trainingslager für die national starken Athleten – wie Jennifer Bovay. Mehrmals im Jahr stehen für sie Lager an, in der Schweiz und im Ausland. Gemäss Lüthi müssen die jungen Athleten den Transport dorthin selbst bezahlen, teilweise auch die Übernachtungen. «Allerdings haben wir bei uns im Verein einen Richtwert, dass wir 50 Prozent der Kosten übernehmen», erklärt sie. «Wir versuchten Jenni zu unterstützen, wo es geht.»
Bovay war seit 2008 im Projekt Patenschaft der Sporthilfe. Ihr steuerte die Roger-Federer-Foundation 2000 Franken pro Jahr bei. 2010 war sie zudem Mitglied eines weiteren Projekts der Sporthilfe, dank welchem sie zusätzliche 2000 Franken Unterstützung erhielt, wenn sie selbst 1000 Franken durch Sponsoren sammeln konnte. Das Projekt ist allerdings wieder verschwunden. Vom nationalen Verband erhielten die Vereine und somit auch die Athleten aber zu wenig Unterstützung, sagt Lüthi vom Swim-Team Biel.


Das bestreitet der schweizerische Schwimmverband. «Alle Kadermitglieder werden bei internationalen Wettkämpfen finanziell unterstützt, die Reisen gezahlt», heisst es auf Anfrage. Zudem würden auch Nachwuchsschwimmer finanziell unterstützt. «Jennifer wurde vom Verband im Rahmen seiner Möglichkeiten gefördert», sagt Adrian Andermatt, Chef Nachwuchs beim Schwimmverband. Bovay hat ihn persönlich über ihren Rücktritt informiert. «Das ist schade.»Die Nidauerin sei ein vielversprechendes Talent, mit zwei Teilnahmen an Junioren-Europameisterschaften habe sie gar eine überdurchschnittliche Leistung abgeliefert, auch wenn sie dort ihr Leistungspotenzial nicht ganz habe abrufen können. Für Andermatt ist es aber nicht das erste Mal, dass ihm eine junge, talentiere Athletin ihren Rücktritt bekannt gibt. «Schwimmen ist ein trainingsintensiver Sport, den mit der Schule oder mit der Ausbildung zu managen, ist eine grosse Herausforderung», erklärt er.

Statistiken zu den Rücktritten junger Leistungssportler gibt es in der Schweiz  keine. Das bringe auch nichts, sagt Achim Conzelmann, Direktor am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bern. «Bei jedem Sportler ist der Grund für den Rücktritt unterschiedlich, mal ist es eine Verletzung, dann die fehlende Unterstützung der Familie oder die fehlende Leistungsbereitschaft.» Zieht man die Leistungspyramide im Spitzensport in Betracht, ist es üblich, dass immer wieder Athleten ausscheiden. Allerdings sieht Conzelmann in der Schweiz eine gewichtige Schwierigkeit für junge Spitzensportler. «In der Schweiz wird man darauf eingestellt, dass es noch ein zweites, berufliches Standbein benötigt, es ist wichtig, eine Ausbildung zu haben.» Genau dies führe bei jungen Athleten oft zu Ressourcenproblemen. Das Institut für Sportwissenschaft hat eine Untersuchung mit U17-Fussball-Nationalspielern durchgeführt und analysiert, was aus ihnen wurde. Die Erkenntnis dabei:Bei jungen Schweizer Spielern setzt die Familie auch auf die schulische und berufliche Ausbildung, für viele Migranten ist der Spitzenfussball hingegen das alleinige Ziel. «Für sie und ihre Familien ist die Anerkennung durch den Spitzensport wichtig, einem Schweizer Jugendlichen stehen hingegen viele andere Möglichkeiten offen», so Conzelmann.


Manche Sportarten und Vereine haben darauf reagiert, die Berner Young Boys haben beispielsweise einen Laufbahnberater, der die jungen Spieler betreut. In anderen Ländern, vorab bei Olympia-Stützpunkten, ist dies längst üblich. Nicht aber in der Schweiz. «Man hat hier zwar das Problem erkannt, doch es fehlen oftmals die Ressourcen», so Conzelmann. Jeder begrüsse zwar Medaillen von Schweizern an internationalen Wettkämpfen, «aber wenn man kontinuierlich mehr Medaillen will, muss man auch mehr Geld für den Spitzensport ausgeben». Dem pflichtete jüngst auch Matthias Remund, Direktor des Bundesamtes für Sport, bei (siehe Titelseite).

Jennifer Bovay will sich nun auf ihre Lehre konzentrieren. Als Teilnehmerin des Sport-Kultur-Studiums (SKS)der Stadt Biel hat sie zwar die Möglichkeit, diese in vier anstatt drei Jahren durchzuführen, um mehr Zeit für den Sport zu haben. Doch Bovay möchte ihre Lehre in der regulären Zeit absolvieren. SKS-Leiter Hansjörg Glutz sagt, dass im Alter zwischen 16 und 20 Jahren viele SKS-Talente mit dem Spitzensport aufhören. «Das ist eine Umbruchphase.»


Am 22. April steht nun ein Gespräch zwischen Bovay, ihrem Lehrbetrieb und der Schule an. Das Swim Team hat ihr angeboten, das Training vorerst auf ein oder zwei Tage pro Woche zu reduzieren. Für Glutz ist klar:«Sie ist ein grosses Talent, auch wenn sie ein Jahr etwas reduzierter trainiert, ist sie immer noch auf einem guten Level.» Die Türe zum Spitzensport scheint für die junge Nidauerin noch nicht ganz geschlossen.