Sie sind hier

Abo

Automobil

Er dreht nur im blauen Bereich

Heute nimmt die Formel E ihren Rennbetrieb wieder auf. Auf den Jenser Porschefahrer Neel Jani warten in Berlin sechs Rennen in neun Tagen und viele Stunden im Hotelzimmer.

Neel Jani meldet sich in Berlin nach einer fünfmonatigen Pause zurück. zvg/Porsche

Patric Schindler

Vor einem Monat hat sich die motorisierte Königsklasse zurückgemeldet, ab heute fahren die besten Fahrer der Welt auf elektrobetriebenen Autos um die Wette. Wegen der Pandemie ist die Saison in der Formel E zusammengestrichen worden. Das letzte Rennen fand Ende Februar in Marrakesch statt. Die Meisterschaft soll nun möglichst schnell und sicher (auf und neben der Strecke) beendet werden. Ab heute und bis am 13. August werden beim Saisonfinale sechs Rennen ausgetragen. Das erste Doppelpack steht heute und morgen auf dem Programm. Nach einem Ruhetag geht es am Samstag und Sonntag weiter. Die letzten Rennen stehen in der kommenden Woche am Mittwoch und Donnerstag auf der Agenda. Nicht wie das in der Formel E sonst üblich ist auf einem Stadtkurs, sondern wegen der Coronakrise mit einem Mammutprogramm auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof in Berlin. Die Schutzmassnahmen sind weitreichend und für die Fahrer und Teammitarbeiter eine grosse Herausforderung. Zuschauerinnen und Zuschauer sowie Medien sind keine zugelassen. Auf dem Gelände dürfen sich maximal 1000 Personen aufhalten. Vor der Coronapandemie-Zeitrechnung waren es auf den Stadtkursen fünfmal mehr. Die Teams müssen mit einem massiv reduzierten Personalbestand auskommen. Inklusive der Piloten dürfen nur 21 Personen mit von der Partie sein. 

Die drei Doppelrennen finden auf drei verschiedenen Streckenvarianten statt. Einmal wird sogar in umgekehrter Richtung gefahren. Der Start erfolgt jeweils um 19 Uhr. Alle Rennen werden live übertragen. Vier Schweizer Fahrer gehen an den Start. Während der Seeländer Neel Jani (23. in der WM-Wertung) und Nico Müller (22.) nach fünf Saisonrennen noch ohne Punkte dastehen, hegen Edoardo Mortara (7.) und Sébastien Buemi (11.) Ambitionen auf weitere Spitzenplätze. In der Gesamtwertung hat der Portugiese Antonio Felix Da Costa die Nase vorne. Er hat auch das letzte Rennen in Marokko für sich entschieden. Gestartet wurde die Saison in November in Riad (Saudi-Arabien). Für Spannung in Berlin dürfte in jedem der sechs Rennen gesorgt sein, schliesslich gab es in dieser Saison jedes Mal einen anderen Sieger.

Mehr Zeit für die Familie

Neel Jani freut sich sehr auf die Wiederaufnahme der Saison. «Zwischen März und Juli war ich nur im Seeland. In erster Linie zuhause bei meiner Familie oder am Trainieren», sagt Jani. «Als ich 13 Jahre alt war, bin ich letztmals eine so lange Zeit permanent daheim gewesen. Das war schon eine sehr spezielle Situation.» Selbst in seinen Anfängen als Motorsportler, als er noch Go-Kart wettkampfmässig gefahren ist, sei er mehr unterwegs gewesen als während dieses Frühlings und Sommers. «Ich konnte dank der Pause sehr viel mit meinem zweijährigen Sohn spielen, was natürlich auch sehr schön gewesen ist», meint Jani.

Mit seinem Trainer Helmut Fink stand er in regelmässigem Kontakt was das Ausdauer- und Krafttraining betraf. «Im Vergleich zu anderen Formel-E-Fahrern, bin ich in der Schweiz kaum eingeschränkt gewesen. Das war auch für mein Konditionstraining ein grosser Vorteil, da ich so draussen trainieren konnte. Ich empfand dies als Privileg.» Im mentalen Bereich war die lange Wettkampfpause auch eine völlig neue Situation. «Nicht permanent einem Druck ausgesetzt zu sein, war ein spezielles Erlebnis. Durch die Pause konnte ich auch mal die Batterien aufladen. Ich fühle mich nun sowohl mental als auch physisch sehr gut, wie frisch geboren», sagt der Jenser. Er hat nie eine innere Unruhe gespürt, weil er seit Februar nicht mehr im Wettkampfmodus gewesen ist.

Einige Leistungsparameter hatte Jani aber dennoch. «Ich war in Lyss und in Roggwil Go-Kart fahren und habe dort meine Richtzeiten, die mir auch eine kleine Orientierung gaben, wo ich leistungsmässig gestanden bin», sagt der der frühere Formel-1-Testpilot und Gewinner des 24-Stunden-Rennens von Le Mans. Aber ganz ohne Wettkampfgefühl hat Jani die letzten Monate dann doch nicht verbringen müssen und nahm an der «Race at Home Challenge» (das BT berichtete) teil. Dies war auch ein mentales Trainingstool, bei dem man das für Rennfahrer wichtige Visualisieren trainieren konnte.

Und was das Konditionelle betrifft, ist sein Gradmesser der Twannberg. «Dort befindet sich quasi mein Bergpreis. Je nachdem, wie ich dort mit dem Rennvelo hinauffahre, weiss ich über meine konditionelle Verfassung Bescheid», sagt Jani, der gerne auf dem Rennvelo und auf dem Mountainbike fährt.

In den letzten drei Wochen war Jani fast jeden Tag mit dem Porsche-Werkste am Vorbereiten der Fortsetzung der neuen Saison und verbrachte sehr viele Stunden im Simulator. «Das war eine sehr intensive Zeit und ein abrupter Wechsel im Vergleich zu den Monaten zuvor. Praktisch von null auf 100 ging es weiter», sagt Jani. Aber es sei schon an der Zeit, dass es wieder losgehe. «Im Juli war ich fast nur am Samstag zuhause, sonst trainierte ich in Deutschland.» Seit Sonntag heisst sein neues Zuhause Berlin. Und dies in den nächsten zwei Wochen.

Hinein ins «Bubble-System»

Das Personal der Formel E und die einzelnen Teams arbeiten im so genannten «Bubble-System». In Berlin angekommen , musste sich jedes Mitglied im Team-Hotel einem Coronatest unterziehen und sich danach in Quarantäne begeben – bis ein negatives Ergebnis vorlag. Die Teammitglieder bewegen sich jeweils in fest zugeordneten Gruppen an die Rennstrecke. Das Streckengelände selbst ist in unterschiedliche Zonen eingeteilt. So wird sichergestellt, dass sich die einzelnen Gruppen nur innerhalb fest definierter Zonen aufhalten und untereinander so wenig wie möglich Austausch herrscht.

Auch Jani darf sich nur mit Maske und Brille auf dem Renngelände bewegen und sich dort nur innerhalb der Gruppe Blau aufhalten. Diese umfasst alle Personen, die mit seinem Auto zu tun haben, unter anderem Mechaniker. «Nur wir dürfen untereinander bleiben. Zu den Personen des anderen Porsche-Autos darf ich keinen Kontakt haben», sagt der 36-jährige Teamkollege von André Lotterer. Mit den Ingenieuren darf sich der Seeländer nur über Funk unterhalten.

Ausserhalb der Rennstrecke und des Hotels ist kein Kontakt zueinander erlaubt. So gibt es für das Mittag- und Abendessen sogenannte «Break-out-Rooms», in denen die Teammitglieder auf Abstand ihre Mahlzeiten einnehmen können. «So weiss man auch immer, wer sich wann und wo aufgehalten hat», sagt Jani. Er werde in Berlin alle fünf Tage auf das Coronavirus getestet. «Und an jedem Tag wird Fieber gemessen», so der Seeländer. Jani wird sich immer auf dem Gelände der Rennstrecke, im Shuttle-Bus oder im Hotelzimmer befinden. «Was das Essen betrifft, haben wir im Hotel Room-Service», sagt er.

Von der Matte auf die Piste

Jani hofft, in Berlin die ersten WM-Punkte ins Trockene zu bringen. Wie es danach mit dem Seeländer weiter geht, ist noch offen. Es gebe verschiedene Optionen, wichtig sei ihm, dass es auch mittelfristig in die Karriereplanung passt. Heute um 19 Uhr will er zunächst das intensivste Rennprogramm seiner Karriere einläuten. Und die wohl längsten zwei Wochen Präsenzzeit in einem Hotelzimmer. Langweilig wird es Jani nicht werden, denn er hat genügend Bücher und eine Yoga-Matte mit ins Hotelzimmer genommen.

 

Stichwörter: Neel Jani