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Einwurf

Jagd auf Federers Rekorde

«Ich will das wirklich», so Novak Djokovic kürzlich bei einem Interview. Es handelt sich nicht etwa um einen süssen Heiratsschwur, sondern um eine knüppelharte Kampfansage.

Andrea Zryd

Roger Feder kann sich also noch lange nicht zur Ruhe setzen und so bescheren die beiden uns ein attraktives Tennisjahr kurz vor Weihnachten. Ein durchtrainierter, beinahe abgemagerter Askete will die magischen 20 Grand-Slam-Rekorde von Publikumsliebling Federer knacken. Liebe Sportbegeisterte, genau darum liebe ich den Sport auch. Herausforderungen annehmen, an Grenzen gehen, Rekorde brechen. Rekorde treiben Sportlerinnen und Sportler immer wieder an und peitschen sie zu Bestleistungen. Wie stehen wir Sportfans aber zu der Rekordjagd? Im aktuellem Beispiel Federer versus Djokovic fiebern wir wohl eher nicht nach einem neuen Rekord. Wir stehen hinter Federer dem Multitalent, dem Familienmenschen, dem Publikumsliebling und Gentleman. Wir bestaunen seine lockeren Ballwechsel, laben uns an seinen Emotionen und wissen, dass er ganz und gar nicht fehlerfrei ist – eben menschlich. Djokovic kommt zu verbissen, durchstrukturiert, roboter- und maschinenhaft rüber. Seinerseits ebenfalls ein absoluter Spitzenathlet. Aber Federers Rekord braucht er doch nicht zu knacken. Oder etwa doch?

Diese beiden Topathleten werden uns noch ein paar Tennisleckerbissen bieten. Die Jagd nach Rekorden prägen den Leistungs- und Spitzensport hochgradig. Ich habe mich gefragt, wieso dieses Phänomen uns so begeistert und so starke Emotionen auslöst, sowohl bei den Sportlerinnen und Sportlern selbst wie auch bei uns Sportfans. Von Jubel über Trauer, Schadenfreude, Mitleid, etc. kennen wir das ganze Spektrum; für mich ist es die Bewunderung eines hart erarbeiteten, schier unmöglichen Erfolges oder die Kontrolle über Körper und Geist und so das Glück auf seine Seite zu zwingen. Selbstdisziplin, aber auch das schwerelose Gefühl des Genusses nach einem Triumph verkörpern den Gegensatz zwischen Askese und Hedonismus. Dieser Mix scheint zu berauschen und zu begeistern. So kann ein Sieg unseres Idols oder eben ein neuer Rekord tatsächlich dank der Ausschüttung origineller Hormone Glücksgefühle auslösen. Wir können uns mit der Leistung der Athletinnen und Athleten identifizieren und ihnen nachfühlen. Rekorde bleiben nur interessant, wenn sie schwierig zu brechen sind. Rücken sie aber in zu weite Ferne, verlieren Athletinnen und Athleten das Interesse daran und so auch wir. Man könnte erwidern, dass gerade Rekorde aus den bekannten «Dopingzeiten» nie wieder erreicht werden. Trotzdem sind Athletinnen und Athleten bereit, für ihren Sport konsequent zu trainieren und ihr Leben dem Sport unterzuordnen. Sie versprühen die Freude am Sport und der Leistungskultur. Es geht nicht nur um Weltrekorde, sondern auch um persönliche Rekorde und Höchstleistungen. Und dieses Unterfangen wirkt einfach betörend und hat einen unglaublichen Einfluss auf die Willenskraft. So lange unsere Spitzenathleten und Spitzenathletinnen gewillt sind, Leistungen auf höchstem Niveau zu erreichen, dürfen wir anerkennend mitfiebern und uns freuen. Anerkennung ist übrigens ein weiteres Elixier im Sport. Zu wissen, dass die vollbrachte Leistung auf Anerkennung stösst oder gar bewundert wird, wirkt wie ein Katalysator auf das Bestreben nach noch grösseren Erfolgen.

Ich bin vorfreudig gespannt auf die Tennissaison und ich wünsche mir umstrittene Zweikämpfe. Federer und Djokovic sollen das Spiel auskosten und eben «spielen». Federers Rekord soll gejagt werden und Djokovic darf daran riechen. Den Rekord brechen muss er trotzdem nicht.

Info: Andrea Zryd ist Sportlehrerin, EFHS Magglingen, Diplomtrainerin Swiss Olympic und SP-Grossrätin.