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OS-Tagebuch

Kostümball im Silbermantel

Ich spürte damals eine riesige Vorfreude auf die Winterspiele 2002 in Salt Lake City. Es war meine erste Olympia-Teilnahme gewesen.

Bild: Martin Steinegger, Sportchef EHC Biel, früher
langjähriger Nationalspieler

Dass die NHL-Cracks dabei waren, machte dieses Eishockey-Turnier noch bedeutender. Schliesslich war es immer mein grosses Ziel gewesen, einmal an einem wichtigen Anlass gegen die Spieler aus der NHL anzutreten. Leider wurde aber daraus nichts, denn wir sind bereits in der Vorrunde ausgeschieden, während die besten sechs Nationen für die Zwischenrunde gesetzt waren und erst dann ins Turnier eingriffen. Dennoch war Olympia rückblickend eine extrem wertvolle Erfahrung, für mich persönlich und für die ganze Eishockey-Nationalmannschaft. Ohne uns wären die nachfolgenden Erfolge vier Jahre später in 
Turin gar nicht möglich gewesen.

An meine Einsätze erinnere ich mich kaum. Ich erwischte eine Grippe mit 40 Grad Fieber, konnte die erste Partie nicht austragen und die zweite nur geschwächt. Nicht nur aus Krankheitsgründen habe ich kein gutes Turnier gespielt. Das ganze Drumherum hatte grosses Ablenkungspotenzial. Vieles war für uns neu, das grosse Olympiadorf mit all den Athleten aus anderen Sportarten, eine Riesenauswahl an Restaurants. Wir haben ein wenig die Olympischen Spiele erkundet und Leute kennengelernt. Grandios war die Eröffnungsfeier. Viel Warten und Frieren, aber dann extrem schöne Momente. Vor allem als Mike Eruzione, der Captain des legendären US-Eishockeyteams, das 1980 in Lake Placid den Titel gewonnen hatte, das Olympische Feuer entzündete. Lake Placid mit dem Sieg der USA über die Sowjetunion war ja für jeden Eishockeyspieler auf der ganzen Welt ein prägendes Wow-Erlebnis gewesen.

Den Silbermantel habe ich übrigens immer noch. Er ist eine der ganz wenigen Sachen, die ich von meinen Olympischen Spielen behalten habe. Wenn wir mal zuhause einen Kostümball machen, taucht er irgendwo wieder aus der Versenkung auf. Die Goldsprünge von Simon Ammann, der den Mantel berühmt gemacht hatte, verfolgten wir in unserer Sportlerunterkunft am Fernsehen. Das hat das Gemeinschaftsgefühl gefördert. Wir lebten auch damals abgeschottet in einer Art Olympia-Blase, denn 9/11 und die Angst vor Anschlägen waren bei den Organisatoren noch sehr präsent. Die Sicherheitsvorkehrungen waren extrem. Ich war dann auch vier Jahre später in Turin, hatte mir aber im Vorfeld des Olympia-Turniers die Hand gebrochen und musste abreisen. Es war schade und für mich emotional hart, aber als verletzter Spieler konnte ich der Mannschaft nicht helfen und habe schliesslich die Situation akzeptiert.

Die heutige Mannschaft ist gut ausbalanciert mit hervorragenden Einzelkönnern und guten Teamspielern. So wie sie zusammengestellt ist und sich zuletzt gezeigt hat, liegt für sie noch einiges drin. Jene Mannschaft, die sich an diesem Turnier am schnellsten gefunden hat, die Ablenkung in den Griff bekommt und über das nötige Glück verfügt, wird am weitesten kommen.

Aufgezeichnet: Francisco Rodríguez