Sie sind hier

Abo

Fussball

Lasst es mal schlecht sein

In drei Wochen entscheiden die Schweizer Profiklubs, ob die Saison mit Geisterspielen fortgesetzt wird oder nicht.
Dabei wäre es bereits jetzt an der Zeit, endlich einen Schlussstrich zu ziehen.

Leere Ränge, voller Körperkontakt: So würde es aussehen, wenn die Meisterschaft mit Geisterspielen fortgeführt wird (das Bild zeigt das Testspiel zwischen YB und WInterthur von 13. März). Bild: Keystone

Moritz Bill
, Teamleiter Sport

Man muss sich diese Absurdität mal richtig vor Augen führen. Ab Montag dürfen Profifussballer das Mannschaftstraining wieder aufnehmen. Dabei sollen sie laut Schutzkonzept detaillierteste Hygienemassnahmen befolgen. Ein paar Beispiele des elfseitigen Dokuments: Die Garderoben sollen möglichst nicht benutzt werden, Spieler und Trainer kommen in Trainingskleidung ins Stadion – alleine und nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln – und gehen nach dem Training direkt wieder nach Hause. Falls dies nicht möglich sei, soll das Umziehen gestaffelt erfolgen. Dabei müssen Handschuhe getragen werden, zudem werden Hygienemasken empfohlen. Und natürlich soll an jeder Ecke Desinfektionsmittel stehen und rege benutzt werden. So weit, so verantwortungsvoll, denn so vieles rund um das Coronavirus ist weiterhin ungewiss.

Doch kaum haben sich die Spieler der Hygienemasken und Handschuhen entledigt, geht es hopp, hopp auf dem Rasen zur Sache. Denn, so steht es im Papier, ist ein physischer Kontakt (Zweikämpfe) zwischen Spielern nur auf dem Spielfeld möglich. Ansonsten gelten überall die übergeordneten Grundsätze. Dieser Widerspruch ist es, der absurd ist. Das ist in etwa so unverständlich, wie wenn auf der Autobahn an gewissen Stellen der Sicherheitsgurt gelöst werden dürfte, da es auf diesen Strecken weniger gefährlich sein soll. Steckt euch ja nicht auf dem Weg ins Stadion oder beim Umkleiden an, aber auf dem Platz könnt ihr das Risiko eingehen. Auch muss man sich fragen, was für Signale die Profisportler damit an den Rest der Bevölkerung senden, der sich weiterhin an «Social Distancing» halten soll.

Entweder beschliesst man, dass der Profifussball in den Genuss von besonderen Rechten kommt, da es sich um eine überschaubare Anzahl von Personen handelt und ein dringendes, breites Interesse an der Fortsetzung der Meisterschaft besteht. Oder, wenn man das in der aktuellen Lage nicht verantworten kann, lässt man es besser bleiben, anstatt der Öffentlichkeit 
Hygienekonzepte vorzugaukeln. In Deutschland lieferte Salomon Kalou von Hertha BSC Anfang Woche den 
Videobeweis, dass er die Hygienevorschriften nicht ernst nimmt. Natürlich könnte es sich dabei um eine negative Ausnahme handeln, wie die PR-Abteilung des Bundesligaklubs zu beschönigen versuchte. Doch dass es in anderen Garderoben ähnlich zu und her geht, ist so unwahrscheinlich nicht.

Vielleicht war Kalous Aktion gar nicht nonchalant, sondern als Weckruf gedacht. Wollen die Spieler tatsächlich um jeden Preis die Meisterschaft fortsetzen, wie es ihre Arbeitgeber mit allen Mitteln zu erkämpfen versuchen? In der Schweiz sprachen sich in einer Umfrage der Gewerkschaft SAFP fast zwei Drittel der 140 befragten Spieler der beiden Profiligen für einen Saisonabbruch aus. Derweil waren die Klubfunktionäre in den letzten Wochen rege bemüht, unter anderem immer wieder hervorzuheben, dass doch auch die Spieler unbedingt wieder vom Homeoffice auf den Rasen zurückkehren möchten. Einzig vom FC St. Gallen – notabene Tabellenführer – waren ethische Bedenken zu hören. Sportchef Alain Sutter sagte, dass momentan nicht der Zeitpunkt sei, um die Spieler auf den Platz zu schicken. Ansonsten warfen die Vereinspräsidenten vor allem mit Zahlen um sich, was die Fortsetzung respektive der Abbruch kosten würden.

Zweifelsohne, kann noch lange nicht vor Publikum gespielt werden, gehen Klubs in Konkurs, wenn sie keine Finanzspritzen erhalten. Die Rechnung ist komplex, doch hinuntergebrochen eigentlich einfach: Für die Super-League-Klubs ist der Verlust der Zuschauereinnahmen gewichtiger als das Wegfallen der TV-Gelder bei einem Abbruch. Bei den Teams aus der Challenge League verhält es sich gerade umgekehrt. Sie kämen, gleich wie in anderen Ländern, mit Geisterspielen besser davon, da die Fernseheinnahmen bedeutender sind als der Ticketverkauf. Für die einen sind die Geisterspiele also das richtige Mittel im Kampf ums wirtschaftliche Überleben, für die anderen nicht. Eine verzwickte Ausgangslage, in welcher der Schweizer Profifussball steckt. Doch, und das scheint in der aktuellen Diskussion etwas unterzugehen, ob diese Rechnung tatsächlich so ausfallen wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand ganz genau wissen, weil so viele ungewisse Faktoren reinspielen könnten. Denn auch wenn die Saison wie vorgesehen am 19. Juni fortgesetzt würde, ist überhaupt nicht gesichert, dass sie wirklich zu Ende gespielt werden kann. Der Verlauf der Pandemie wird das entscheiden.

Aufgrund dieser Ungewissheit ist es angebracht, die Meisterschaft jetzt abzubrechen. Selbstverständlich ist das bitter und man will das vielerorts nicht wahrhaben. Doch es ist nun mal so, wie es ist. Lasst es mal schlecht sein. Anstatt nun mit einem immensen Aufwand und fragwürdigen Hygienemassnahmen die noch ausstehenden Spiele irgendwie über die Runden zu bringen, sollte man die Zeit und Energie besser für das Aufgleisen der neuen Saison nützen und sich längst nötigen Budgetfragen stellen. Weil auch in einer neuen Saison wird man aller Voraussicht nach nicht in den Courant normal zurückkehren können.