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Schwimmen

Liebe auf den zweiten Blick

Ben Hermann beschreibt sein Verhältnis zum Schwimmsport wie eine Liebesgeschichte. Es brauchte einen Moment, bis das Feuer entflammte. Nach einer Zeit kühlte die Beziehung ab und der Ipsacher musste entscheiden: Beenden oder darum kämpfen.

Als Vorzeigeathlet wird Ben Hermann von seiner Trainerin bezeichnet. Bild: Raphael Schaefer/Bieler Tagblatt

Michael Lehmann

Nein, Ben Hermann war dem Schwimmen nicht sofort verfallen. Zwar mochte er es seit jeher im Wasser zu sein, die erste Annäherung des Schwimmsports blockte er jedoch ab. Ben Hermann war vier oder fünf Jahre alt – er weiss es nicht mehr genau –, als er zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder verschiedene Schwimmkurse belegte. Der Leiter sah, wie sicher sich die beiden Ipsacher im Wasser bewegten und fragte, ob sie ihr Talent in einem Verein entfalten lassen wollten. Noah, Bens Bruder, war begeistert. Ben jedoch hatte nach den ersten Schwimmkursen genug gesehen.

In der folgenden Zeit beobachtete Ben, wie Noah mit dem Schwimmsport anbandelte. Je länger, desto mehr kroch ein Gefühl der Eifersucht in ihm hoch. Als Noah dann die erste Medaille mit nach Hause brachte und rundherum Gratulationen einheimste, entschied Ben Hermann: Das will ich auch. Da war er etwa neun Jahre alt.

Das Vorschwimmen beim Ipsacher Swim Team lief jedoch nicht optimal. Ben Hermann wurde zuerst in eine Breitensportgruppe gesteckt. Im nächsten halben Jahr machte er allerdings so grosse Fortschritte, dass er schon bald den Übertritt zu den Nachwuchsschwimmern schaffte.

«Und nun bin ich hier», sagt Ben Hermann. Damit meint er die Elite-Gruppe der Nachwuchsförderung im Bieler Swim Team. Er trainiert täglich mindestens einmal im Wasser, dazu macht er ergänzende Übungen im Kraftraum oder im Boxtraining. Und der 18-Jährige ist erfolgreich. An der Kurzbahn-Schweizer-Meisterschaft im November schwamm er über 50 und 100 Meter Rücken jeweils auf den sechsten Rang. Dabei unterbot er seine Klubrekorde um eine halbe (50 Meter) und fast eine ganze Sekunde (100 Meter). Um den Vergleich mit einer Beziehung wieder aufzunehmen, könnte man sagen: Ben Hermann ist derzeit sehr verliebt.

«Pubertierender Junge, der immer Probleme macht»

Bis er dahin kam, gab es allerdings auch Baissen zu überstehen. Als er vor etwa drei Jahren in die Elite-Gruppe von Trainerin Annelies Maas kam, warnte sie sein vorheriger Trainer, Ben habe es nicht unbedingt mit der Disziplin. In anderen Worten: Er trainierte schlecht.

An der Schweizer Meisterschaft bald darauf folgte der Tiefpunkt. Welche Ränge er belegte, weiss Ben Hermann nicht mehr. «Ist auch nicht so wichtig. Es war einfach richtig schwach.» Annelies Maas erinnert sich: «Das war zu der Zeit, als sich Ben nicht mehr auf sein Wachstum verlassen konnte.» Dies hatte ihm in den Jahren davor ermöglicht, ohne übermässig viel Aufwand trotzdem stets Fortschritte zu machen. Da realisierte er: Wenn das mit dem Schwimmen etwas werden soll, muss er mehr Leidenschaft zeigen. Oder er lässt es einfach sein. So wie bisher geht es aber nicht.

Ben Hermann entschied sich für Ersteres. Und wie. «Ben änderte sich damals komplett», sagt Trainerin Maas. Die Nonchalance legte er ab und den Fokus richtete er neu. Der Seeländer verpasste kaum mehr ein Training und setzte die Anweisungen seiner Trainerin konsequent um. «Er hat sich von einem pubertierenden Jungen, der oft Probleme macht, zu einem Vorzeigeathlet gewandelt.»

Im Frühling möchte er über 50 Meter Rücken die Limite fürs Nationalkader unterbieten. Über die Kurzbahn hat er die Zeit bereits geschafft. Diese zählt jedoch nicht, da die Wendung am Beckenrand den Schwimmern schnellere Zeiten ermöglicht. Unterbietet Ben Hermann die Limite, ändert sich für ihn nicht viel. Er dürfte das eine oder andere Training und ein Lager des Nationalkaders bestreiten. Es geht ihm mehr ums «Achievement», wie er sagt, die Errungenschaft.

«Wenn es einer schafft, dann Ben»

Ob es für noch mehr reicht, die Qualifikation für eine internationale Meisterschaft zum Beispiel, steht in den Sternen. Ben Hermann müsste sich nochmals steigern. Der eher späte Einstieg in den Schwimmsport und der zwischenzeitlich verlorene Fokus hatten zur Folge, dass der Schwimmer immer aufholen musste, nie vorlegen konnte. Hinzu kommt, dass mit steigendem Alter die vom Verband geforderten Limiten für ins Nationalkader immer tiefer werden. Meist laufe es so, dass junge Schwimmer die Limite erreichen und diese Gruppe dann Jahr für Jahr kleiner werde, erklärt Annelies Maas. Im fortgeschrittenenTeenageralter noch zu der Gruppe zu stossen, ist entsprechend schwierig. Und doch sagt die Trainerin letztlich: «Wenn es einer schafft, dann Ben.»

Zeit, sich auf den Schwimmsport zu fokussieren, hat Ben Hermann. Er absolviert ein auf seine Trainings zugeschnittenes Sport-Kultur-Studium, das noch zwei Jahre dauert. Und dann? Das werde er dann sehen, sagt Ben Hermann pragmatisch. «Vielleicht habe ich dann zu den Besten aufgeschlossen und lege ein Zwischenjahr ein, um mich noch mehr dem Schwimmsport zu widmen. Oder ich lege neue Prioritäten fest.» Er hat ein Medizinstudium ins Auge gefasst. Womöglich wird es dann Zeit für eine neue Liebe.

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Das Meeting Intervilles als Einstimmung

Für Ben Hermann und seine Klubkollegen steht am Wochenende ein Heimauftritt auf dem Programm. Das Meeting Intervilles wird vom Bieler Swim Team organisiert und findet im Hallenbad des Kongresshauses statt. Der Wettkampf wird von Schwimmerinnen und Schwimmern aus der ganzen Schweiz für einen ersten Formtest im neuen Jahr genutzt. So auch von Ben Hermann, der in rund zehn Disziplinen an den Start gehen wird. «Das Meeting ist eine gute Gelegenheit, sich auch in weniger gewohnten Disziplinen zu messen», sagt der Ipsacher. Danach gehen die Bieler Schwimmer nach Spanien in ein Trainingslager, um sich auf die Langbahn Schweizermeisterschaft vorzubereiten. Diese finden ab dem 21. März in Uster statt.