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Mut machen, hinzuschauen

Gewalt an jungen Frauen ist auch in der Sportwelt ein Thema. Das Bundesamt für Sport engagiert sich gemeinsam mit Swiss Olympic gegen sexuelle Übergriffe und setzt auf Prävention.

Körperkontakt gehört zum Sport, wie hier an der Absa Cape Epic in Südafrika, wo die Mountainbiker am Ende einer langen Tagesetappe eine Massage erhalten. Bild: Keystone
  • Dossier

Francisco Rodríguez

Sexuelle Übergriffe sind ein gesellschaftliches Problem, das auch im Sport auftritt. Betroffen sind oftmals wie im alltäglichen Leben junge Frauen. Diverse Fälle sind in Vergangenheit publik geworden, die zu Strafanzeigen geführt haben (das BT berichtete). Gross ist allerdings die Grauzone zwischen richtigem und nicht tolerierbarem Verhalten. Speziell im Sport, wo Berührungen dazu gehören, sei es bei Hilfeleistungen und Sichern in Übungen oder bei physiotherapeutischen Pflegemassnahmen. Die intensiven Emotionen im Sport führen zudem zu Körperkontakt, zum Beispiel beim Siegesjubel oder beim Trösten.

 

Ethik-Charta für fairen Sport
Früher oft tabuisiert, wird heute die Problematik möglicher Grenzverletzungen bewusst angesprochen. «Viele Leitende und Athleten, die in den Verbänden und Vereinen mit solchen Situationen konfrontiert werden, fühlen sich oftmals verunsichert», sagt Pierina Schreyer, Baspo-Fachspezialistin für Prävention bei Jugend+Sport (J+S). «Wir gehen das Thema offen an und wollen ihnen eine Orientierungshilfe geben und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen», so Schreyer.

Über allem steht die Ethik-Charta, mit der in der Schweiz ein Zeichen für einen sauberen, respektvollen und fairen Sport gesetzt wird. Sie ist die gemeinsame Grundlage von Swiss Olympic, dem Bundesamt für Sport Baspo, der Sporthilfe Schweiz und allen Sportverbänden und olympischen Delegationen. Die Charta umfasst neun Grundprinzipien, die für alle Partner im Schweizer Sport verpflichtend sind. Punkt sechs, «Gegen Gewalt, Ausbeutung und sexuelle Übergriffe», stellt klar, dass physische und psychische Gewalt sowie jegliche Form von Ausbeutung nicht toleriert werden. Er will sensibilisieren und fordert auf, wachsam zu sein und konsequent einzugreifen, sollte es zu einer Verletzung der Grundprinzipien kommen.

Die Ethik-Charta im Sport hat einen bindenden Rahmen und ermöglicht es den übergeordneten Sportinstitutionen, das Nichteinhalten ihrer Grundprinzipien entsprechend zu sanktionieren und zum Beispiel Sünder finanziell nicht mehr zu unterstützen oder je nach Schwere der Übertretung sogar auszuschliessen.

 

Umfassendes Programm
Konkreter werden die Handlungsempfehlungen im vom Baspo und von Swiss Olympic 2004 gemeinsam erarbeiteten Programm «Keine sexuellen Übergriffe im Sport». Alle Merkblätter und Leitfäden sind für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Dieses Konzept unterstützt Sportverbände und -vereine bei der Verankerung der Prävention. Mit dem Ziel, Übergriffe auf Kinder und Jugendliche zu verhindern und Handlungskompetenzen zu vermitteln, wenn trotzdem etwas geschieht. «Wir wollen Mut machen, hinzuschauen und entsprechend zu reagieren», sagt Schreyer. Das Programm beinhaltet acht Massnahmen. Zum Beispiel bezüglich Richtlinien und Verhaltensregeln, dass sich Erwachsene grundsätzlich nicht in den Garderoben der Kinder und Jugendlichen aufhalten sollen, ausser die Aufsichtspflicht fordere es. Unter anderem geht es auch um sportspezifische Regeln zu Themen wie Hilfeleistung bei Übungen und Bekleidung.

Hält jemand die Verhaltensregeln nicht ein, müssen die Betroffenen darauf hingewiesen werden. Swiss Olympic betont dabei, dass die Übertretung solcher Regeln nicht automatisch mit einem sexuellen Übergriff gleichzusetzen ist und Sanktionen erst dann zu erfolgen haben, wenn Betroffene ihr Verhalten nicht ändern. Die Prävention von sexuellen Übergriffen liegt nicht alleine im Verantwortungsbereich der Vereinsleitung, welche die Möglichkeit hat, eine Kontaktperson einzusetzen. «Wichtig ist, dass alle zu diesem Thema eine Anlaufstelle haben», sagt Schreyer.

 

Aufruf an alle Beteiligten
«Alle Beteiligten, von Leitenden über Funktionäre, sollen und können sich im Sinne der Prävention engagieren», betont die Fachspezialistin für Prävention. «Zu ihrem eigenen Schutz, zum Schutz der Kinder und Jugendlichen und um die Hemmschwelle von potentiellen Täterinnen und Tätern anzuheben. Die Vereinsleitung kann ihre Leiterpersonen stützen, indem sie das Thema auf der strukturellen Ebene angeht, in Regelwerken verschriftlicht und eine klare und transparente Haltung und Kommunikation lebt und fordert. So werden die Leiterpersonen in ihrer Aktivität unterstützt und fühlen sich mit dem Thema nicht alleine gelassen. Zentral ist, dass das Thema sowohl auf Ebene des Verhaltens, wie auch auf Ebene der Verhältnisse angesetzt wird. Dadurch kann die Prävention am meisten Wirkung erzielen.»

Ein offenes Ohr finden die Vereins- und Verbandsmitglieder bei der Jugendleiter-Beratung der Pro Juventute, die an 365 Tagen rund um die Uhr ein Beratungs- und Notfalltelefon anbietet. Eine fachkompetente Vertrauensperson gibt Auskunft und leitet den Fall an die nächste Fachstelle weiter, sollte sich ein Verdacht erhärten. Swiss Olympic hat ein standardisiertes Interventionskonzept erarbeitet, wie ein Verein bei einem Verdachtsfall vorzugehen hat, wer wann informiert werden muss, federführend bei der Intervention ist und welche Stellen und Personen zur Hilfe beigezogen werden können. Das Programm schafft Orientierung in der Thematik und bietet konkrete Unterstützung.

 

Baspo setzt bei der Ausbildung an
Im Bereich von Jugend+Sport nimmt das Baspo seine Verantwortung wahr, indem es die Sensibilisierung von Sportleitenden hinsichtlich Fragen zu Grenzverletzungen und zum richtigen Mass an Nähe und Distanz im Sport thematisiert. Die Thematik der sexuellen Übergriffe, mit Grenzen und Grenzverletzungen fliesst in die Ausbildung ein. In der Weiterbildung werden dazu vom Baspo zwei spezielle Module angeboten. Doch bereits in der Grundausbildung in Magglingen sollen die J+S-Leitenden sensibilisiert werden und erfahren im Rahmen ihrer Vorbildrolle einiges zum Thema. «Wir wollen sie nicht verunsichern, sondern früh stärken», erklärt Schreyer, die Transparenz schaffen will. «Übergriffe können zwar leider nie ganz verhindert werden. Wir setzen aber auf Prävention und bieten den Verbänden, Vereinen und den Leitenden konkrete Unterstützung an.»