Sie sind hier

Abo

Fussball

Nach dem Titel folgt das grosse Bangen

Die Young Boys sind zum 14. Mal Schweizer Meister geworden und haben nun die Chance auf das Double. Wie es danach mit dem Schweizer Fussball weitergeht, hängt nicht zuletzt vom Bundesratsentscheid ab.

BT-Sportredaktor Francisco Rodríguez kommentiert die aktuelle Situation im Schweizer Fussball./Copyright: Bieler Tagblatt/Peter Samuel Jaggi

Francisco Rodríguez

Die Young Boys sind der würdige Schweizer Meister in einer Saison, die nach dem Jahreswechsel von der Coronakrise überschattet worden ist. Nach der Gefühlsexplosion 2018, als YB im ausverkauften Stadion mit dem 2:1-Heimsieg gegen Luzern eine jahrzehntelange Durststrecke beenden konnte, und dem Titelgewinn vor einem Jahr auf dem Sofa, von wo aus die an jenem Abend spielfreien Berner den entscheidenden Patzer von Verfolger FC Basel am TV mitverfolgten, geht der diesjährige Gewinn der Meisterschaft als Geistertitel in die Klubanalen ein. Auch gestern trat YB anlässlich des letzten nicht mehr entscheidenden Pflichtspiels gegen St. Gallen wieder vor praktisch leeren Rängen zur Meisterkür an. Wie schön wäre es doch gewesen, erneut in einer proppenvollen Arena das Fest steigen und den Emotionen freien Lauf zu lassen. In Coronazeiten ist dies aber nicht zulässig, auch wenn sich am Freitagabend in der Berner Innenstadt nach der Erfolgsmeldung aus Sion hunderte von Unverbesserlichen scheinbar dem Ernst der gesundheitliche Notlage nicht bewusst waren – oder das drohende Coronavirus einfach ignorierten und sich in ihrer Euphorie um Distanz- und Hygieneregeln foutierten.
Die speziellen Umstände sollen den 14. Titelgewinn der Young Boys, zu dem mit Ersatzgoalie Marco Wölfli sowie Innenverteidiger Cédric Zesiger auch zwei Spieler aus unserer Region einen Teil beigetragen haben, in keiner Weise schmälern. Waren die beiden vorangegangenen Meistertitel aufgrund der Dominanz praktisch Selbstläufer gewesen, steckt hinter diesem die harte Arbeit der ganzen Mannschaft und ein gutes Händchen der Klubverantwortlichen. Nach dem Umbruch im letzten Sommer mit Abgängen diverser Leistungsträger haben neue hungrige Spieler die Verantwortung übernommen. Die Breite des Kaders steckte sogar das Verletzungspech gut weg, das Gelb-schwarz ereilte. Letztlich hatte die Coronapause auch einen positiven Nebeneffekt, denn die verletzten und angeschlagenen Spieler konnten sich für die entscheidende Phase erholen. Am Ende bewies YB im Vergleich zur Konkurrenz den längeren Atem.
Man kann darüber streiten, ob es der richtige Entscheid war, die Meisterschaft nach dem coronabedingten Lockdown fertig zu spielen, zumal das gesundheitliche Risiko für die Protagonisten gross war. Beim FC Zürich, der durch positive Tests sportlich zurückgeworfen wurde oder bei Xamax, das sich gegen eine Weiterführung der Saison ausgesprochen hatte und nun absteigen muss, herrschen sicher andere Meinungen vor als bei den grossen Siegern. Letztlich war es aber für die Liga und ihre Vertreter das kleinere Übel, die Meisterschaft mit Geisterspielen und Partien vor einer tristen Kulisse zu einem Ende zu bringen.
Noch steht in der Barrage die Entscheidung aus, ob die Super League nebst Xamax einen zweiten Absteiger verzeichnet. Offen bleibt zudem der Cup-Wettbewerb, der YB am Donnerstag im Viertelfinal nach Luzern führt. Es winkt den Bernern der erste Cupsieg seit jenem Finalerfolg 1987 im alten Wankdorf, den sie gegen Servette mit 4:2 in der Verlängerung sichergestellt hatten. Eine im Vergleich zur Meisterschaft sogar noch längere Durststrecke könnte jetzt beendet und mit dem erst zweiten Double nach jenem von 1958 ein Meilenstein in der 122-jährigen Klubgeschichte gesetzt werden – Geistertitel hin oder her.
Für die weitere Zukunft des BSC Young Boys und vor allem für die finanzschwächeren Vereine wird es nun von existenzieller Bedeutung sein, wie der Bundesrat bezüglich Zuschauerbeschränkungen entscheidet. Sollte das Verbot für Veranstaltungen mit über 1000 Personen tatsächlich wie befürchtet über dieses Jahr hinaus beibehalten werden, müsste möglicherweise ein Teil der Klubs schon bald Konkurs anmelden. Millionendarlehen, die irgendeinmal zurückbezahlt werden müssen, sorgen für eine zusätzliche Verschuldung und verlagern das Problem nur weiter in die Zukunft. Die Landesregierung, die voraussichtlich nach den Ferien am 12. August die Öffentlichkeit informiert, soll sich bewusst werden, welchen grossen Stellenwert der Spitzensport in unserer Gesellschaft hat und entsprechend handeln.
Einen praktikabel erscheinenden Ansatz hat bereits in den letzten Tagen die YB-Führung geliefert. Partien im Wankdorfstadion mit bis zu 15 000 Leuten wären mit guter Organisation gefahrlos möglich, wenn die Zuschauer gestaffelt hineingelassen würden, jeder zweite Sitz frei bliebe, auf Gästefans und Stehplätze verzichtet und eine Maskenpflicht herrschen würde. Nur unter Einbezug der Betroffenen kann eine für die Mehrheit befriedigende Lösung gefunden werden, die bis zum Ende der Coronakrise das Überleben des Schweizer Profifussballs sichert. Dies gilt auch für das Eishockey und allgemein für den Spitzensport. Letztlich muss aber jeder einzelne mit der Befolgung aller BAG-Regeln die Infektionszahlen wieder zurückgehen lassen, damit bald die Schraube von oben weiter gelockert werden kann. Diesbezüglich haben die Ignoranten am vergangenen Freitag in Bern ihrem geliebten YB einen Bärendienst erwiesen.

frodriguez@bielertagblatt.ch