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Gleitschirmfliegen

Nur Charly lässt ihn nicht in Ruhe fliegen

Der Bürener Dominik Breitinger ist in Ecuador zum zweiten Mal in die Top Ten des Weltcups geflogen. Das Rüstzeug dazu holte er am Bözingenberg – unter permanenter Beobachtung eines Rotmilans.

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Patric Schindler

Nach Michael Küffer und Tim Bollinger ist Dominik Breitinger der dritte Seeländer, der in den letzten Jahren im Gleitschirmfliegen international für Aufsehen sorgte. Ein erstes Ausrufezeichen setzte der 25-Jährige in dieser Saison in Disentis, wo er den Heimvorteil nutzte und sich im Weltcup auf dem zweiten Platz klassierte. Vergangenes Wochenende stellte er unter Beweis, dass diese Weltklasseleistung keine Eintagsfliege gewesen ist. In Ecuador landete das Mitglied des Delta- und Gleitschirmclubs Biel (in diesem Jahr wurde das 40-Jahr-Jubiläum gefeiert) auf dem fünften Platz.

Mit der zweiten Top-Ten-Klassierung in dieser Saison löste er das Ticket für den Superfinal des Weltcups, der im Januar in Kolumbien ausgetragen wird. Seit 15 Jahren, als er das erste Mal seinen Vater beim Gleitschirmfliegen beobachtete, weiss Breitinger, dass er selber Mal wie ein Vogel durch die Luft fliegen möchte und diese Sportart seine grosse Leidenschaft sein könnte. Fünf Jahre musste der damalige Teenager warten, bis er mit 15 Jahren endlich die Ausbildung beginnen konnte, die ihn ein Jahr später nach 50 Höhenflügen und bestandener Theorie- und Praxisprüfung in die weite Welt hinaus katapultierte (siehe Infobox). «In der Luft zu fliegen, ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl», sagt Breitinger. Man befinde sich dort oben in einer anderen Welt, fern vom Alltag und den Problemen und Herausforderungen. Nirgends könne er so gut abschalten wie über dem Boden. Und das kann im Extremfall schon mal zehn Stunden lang dauern. «Das ist aber die Ausnahme», sagt er.

Immer hoch konzentriert sein
Eine derart lange Zeit zu fliegen, sei eine grosse Herausforderung. Aber nicht in erster Linie eine physische. «Um an der Weltspitze zu fliegen, braucht man nicht unbedingt mehrmals die Woche Konditions- und Krafttraining zu betreiben. Viel wichtiger ist neben den fliegerischen Fähigkeiten die mentale Stärke», erklärt der Seeländer. Man müsse immer hoch konzentriert sein und den Luftraum beobachten. 

Bislang hat sich Breitinger in den Weltcups zwischen Rang 20 und 30 bewegt. Weshalb er nun in dieser Saison den internationalen Durchbruch schaffte, sei schwierig zu beurteilen. «Ich war ja immer nahe dran, um in die Top Ten zu fliegen. Diesen Frühling habe ich einen neuen Schirm bekommen, mit dem ich mich sehr wohl fühle. Vielleicht hat dieser Wechsel dazu beigetragen, dass es so gut läuft», sagt Breitinger, der im letzten Sommer sein Studium als Elektro-Ingenieur beendete und nun ein Jahr voll auf die Karte Gleitschirmfliegen setzt. «Vielleicht finde ich eine 80-Prozent-Stelle, damit ich genügend Zeit habe, weiterhin im Weltcup zu fliegen», sagt der Bürener.

In der Schweiz könne niemand vom Weltcupfliegen leben. Es sei zwar Leistungssport, aber Profis gebe es keine. Wie in den Sportarten Billard oder Curling hat man als Athlet im Gleitschirmfliegen das Privileg, auch noch mit 50 Jahren auf Weltklasse-Niveau mithalten zu können. «Deshalb hoffe ich, dass ich noch viele Top-Ten-Klassierungen im Weltcup erzielen kann», sagt Breitinger. Seine Resultate machen ihm natürlich auch Mut für die nächsten Welt- und Europameisterschaften, die im Zweijahres-Rhythmus stattfinden. Die Chancen, einmal an Olympischen Spielen teilzunehmen, schätzt er allerdings als gering ein, denn die Lobby der Gleitschirmflieger auf dem internationalen Sportparkett dürfte zu klein sein. «Unsere Sportart ist ja nicht unbedingt für eine Live-Übertragung im Fernsehen gemacht. Man kann aber dank GPS die Flugpositionen der Piloten jederzeit verfolgen und sich auf dem Zielgelände die Landungen ansehen», sagt Breitinger.

Viele Freunde in der Luft
Der 25-Jährige fühlt sich in der Luft auch stark mit den verschiedensten Vogelarten verbunden. «Sie betrachten uns nicht als Feinde. Ich bin mir sicher, dass sie Freude an uns haben», sagt er. So wird der Seeländer oft und lange von Vögeln begleitet. Es sei erstaunlich, wie nahe sie manchmal zu den Schirmen fliegen würden. Weltweit habe er nie negative Erfahrungen mit einem Vogel gemacht. Aber ausgerechnet vor seiner Haustür, dem Bözingenberg, gilt es, besonders vorsichtig zu sein. Ein Rotmilan, den die Gleitschirmpiloten Charly nennen, hat keine Freude an diesem Sport. «Er sieht sein Revier in Gefahr und will es verteidigen», sagt Breitinger. Das habe schon zu unangenehmen Situationen geführt. Insbesondere, wenn sich der Rotmilan auf die Schirme stürzen würde. Vielleicht gibt es noch eine Versöhnung mit Charly und den Hunderten von Gleitschirmpiloten, die vom Bözingenberg aus starten.

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Vom Fussgänger zum Piloten
Wer in der Schweiz Gleitschirmfliegen will, braucht dazu eine Lizenz. Die Prüfung darf man frühestens mit 16 Jahren ablegen. Die
Theorieprüfung beinhaltet fünf Fächer (Fluglehre, Materialkunde, Flugpraxis, Meteo und Gesetzgebung). Danach folgt die praktische Prüfung. Voraussetzung dazu sind mindestens 50 Höhenflüge in
5 verschiedenen Fluggebieten. Geprüft werden Startvorbereitung, Start, Flugprogramm, Landeanflug und Landung. pss

Link: www.shv-fsvl.ch