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Rahmen: "Wir sollten nicht zu sehr auf die Historie blicken"

Der FC Winterthur reitet im zweiten Jahr nach dem Aufstieg in die Super League auf einer Erfolgswelle. Vor dem Cup-Halbfinal gegen Servette steht Trainer Patrick Rahmen Red und Antwort.

(sda) Der FC Winterthur verblüfft in der zweiten Saison nach dem Aufstieg und kann sich sogar Hoffnungen auf eine Europacup-Teilnahme machen. Am Sonntag empfängt er im Halbfinal des Schweizer Cups Servette.

Gegen die Genfer sind die Winterthurer in dieser Saison noch ungeschlagen. Dem 1:0-Heimsieg im letzten Duell stehen zwei Unentschieden gegenüber. Der letzte Titelgewinn des FCW liegt bereits über hundert Jahre zurück; 1917 wurde er zum dritten Mal Schweizer Meister.

Trainer Patrick Rahmen spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA über die Gründe des aktuellen Höhenflugs, seine Philosophie und was ihn bestärkte, Trainer zu werden. Zu seinen persönlichen Zukunftsplänen über die laufende Saison hinaus wollte er sich nicht äussern.

Patrick Rahmen, der FC Winterthur hat sich für die Championship Group qualifiziert und steht im Cup-Halbfinal. Ist es auch für Sie etwas überraschend, wie gut es läuft?

"Ich spürte im Verlauf der Saison rasch, dass es in die richtige Richtung geht und wir einiges erreichen können. Aber dass wir Fünfter werden, uns für die Championship Group qualifizieren und auch noch im Cup-Halbfinal stehen - damit konnte nicht gerechnet werden."

Welches sind für Sie die Hauptgründe für die starken Leistungen?

"Wir strebten von Anfang an eine offensive Spielweise an, konnten uns im Verlauf der Saison auch defensiv stark verbessern, ohne dass wir an Offensivqualität einbüssten. Dazu kommen der Teamspirit, die solidarische Leistung aller Akteure sowie die Geschlossenheit und die gute Stimmung im ganzen Verein."

Was ist für Sie entscheidend, um einen solchen Teamgeist hinzubekommen? Letztendlich will das ja jeder Trainer.

"Entscheidend ist, dass es von Anfang an eine klare Ausrichtung gibt, die mit allen besprochen und während der Saison von allen gelebt wird. Alle Akteure müssen füreinander einstehen und sich als Teil des Teams fühlen. Wichtig ist auch: Abweichungen während der Saison müssen sofort thematisiert und korrigiert werden. Durch diese konsequente Handhabung bekommen alle die Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit des eingeschlagenen Weges zu spüren. Das schweisst das Team zusammen."

Erfolge wecken Begehrlichkeiten. War es angesichts der guten Resultate nie schwierig, die Bodenhaftung nicht zu verlieren, stets demütig zu bleiben?

"Nein. Eben genau deshalb nicht, weil wir diese Bodenständigkeit, die Solidarität und die Demut als Teil unserer DNA definiert haben, die wir auch im Erfolgsfall nicht über Bord schmeissen wollen."

Ihr Team schiesst viele Tore, erhält aber auch viele. Entspricht das Ihrer Spielphilosophie?

"Nein, das defensive Fundament muss natürlich auch stimmen. Anfang Saison hatten wir damit noch ein wenig Mühe. Aber im Verlauf der Meisterschaft bekamen wir die defensive Stabilität sehr gut hin. In der Rückrunde gehörten wir auch deshalb zu den besten Mannschaften, weil wir nur noch wenig Tore kassierten."

Sie schaffen es immer wieder, Spieler an ihr Leistungsoptimum zu bringen. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

"Ehrlich und offen kommunizieren und Vertrauen schaffen. Den Spielern aufzeigen, was sie gut machen und wo sie sich verbessern können. Da reicht ein Gespräch nicht, da musst du als Trainer permanent dranbleiben. Die Spieler müssen die Gewissheit haben, dass der Cheftrainer und der ganze Staff für sie da sind und sie weiterbringen wollen."

Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

"Transparent, verbindlich, kooperativ und im Alltag flexibel. Ich versuche den Spielern im individuellen Gespräch auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen klare Zielvorgaben zu formulieren. In einem Mannschaftssport, der von vielen unterschiedlichen Mentalitäten und Charakteren lebt, musst du aber bereit sein, deinen Führungsstil an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen."

Früher gab es oft "harte Hunde" als Trainer. In der heutigen Generation, in der die Spieler neugieriger sind, muss man da fast mehr Psychologe als Fachmann sein?

"Es braucht beides. Die Spieler müssen wissen, wohin es gehen soll und was von ihnen verlangt wird. Man muss sie überzeugen und individuell begleiten. Die heutige Spielergeneration möchte viel mehr wissen und kommunizieren als früher. Da ist sowohl der Psychologe als auch der Fachmann gefragt."

Welches sind für Sie die wichtigsten Werte, die ein Spieler mitbringen muss, um ihn im Team haben zu wollen?

"Ich erwarte, dass ein Spieler offen für die persönliche Weiterentwicklung ist und auch bereit, sich in das Team und das Teamgefüge einzuordnen. Ich sage bewusst nicht unterordnen, das ist für mich wichtig. Unsere Aufgabe ist es, den Spielern auch den nötigen Raum zu gewähren, damit sie ihre individuellen Stärken einbringen können."

Sie waren früher selber Spieler. War es für Sie schon damals klar, Trainer zu werden?

"Im Nachhinein gesehen wahrscheinlich schon, zumindest unterbewusst. Ich interessierte mich schon immer dafür, wie die Trainer denken, und warum sie welche Entscheide fällen. Ich wollte von allen Trainern profitieren. Entscheidend war dann aber meine erste Station als Trainer, als ich spürte, dass meine Art bei den Spielern ankommt. Das bestärkte mich, den Weg als Trainer zu gehen."

Bei Basel wurden Sie trotz Erfolg entlassen. Wie stark hat Sie das getroffen respektive geprägt?

"Natürlich war ich am Anfang enttäuscht. Aber ich konnte es rasch akzeptieren. Schliesslich gehört das auch zum Trainerdasein dazu. Deshalb richtete ich den Blick rasch nach vorne."

Danach arbeiteten Sie als U21-Trainer für den Verband. Die Schweiz ist keine klassische Fussball-Nation. Dennoch qualifiziert Sie sich regelmässig für grosse Turniere. Wie ist das möglich?

"Die Schweiz verfügt über eine sehr gute Nachwuchsförderung, und die Super League und Challenge League sind Ausbildungsligen, in denen die jungen Talente rasch eine Chance bekommen. Die SFL ist auch eine gute Plattform, um sich für ein Engagement im Ausland zu präsentieren."

Als das Angebot von Winterthur kam, war es für Sie sofort klar, dieses anzunehmen? Und wenn ja, wieso?

"Die Gespräche mit dem Leiter Sport Oli Kaiser waren sehr positiv. Der geplante Weg in Richtung einer offensiveren Spielweise, die geplanten und bereits getätigten Kader-Mutationen sowie die Voraussetzungen und die Werte im Verein mit der positiven Stimmung im Stadion überzeugten mich rasch."

Nun fehlen im Cup noch zwei Siege zum ersten Titel für den FCW seit 1917. Wie nehmen Sie das Umfeld, die Fans wahr? Spüren Sie eine grössere Erwartungshaltung?

"Als Mannschaft sollten wir nicht zu sehr auf die Historie blicken. Wir bereiten uns mit grosser Freude auf das Halbfinalspiel vor und werden alles in die Waagschale werfen, was uns in den letzten Wochen und Monaten stark gemacht hat. Ich glaube nicht, dass die Erwartungshaltung im Umfeld übermässig gestiegen ist. Die Leute sind realistisch und freuen sich über die positive Entwicklung. Die positive Haltung und der Goodwill sind in der Stadt überall spürbar."

Zum Schluss: Das letzte Duell gegen Servette gewann Winterthur zuhause 1:0. Wie blicken Sie auf den Halbfinal voraus?

"Der Sieg gegen Servette hat uns sicher noch mehr Selbstvertrauen gegeben. Aber im Cup und in einem Halbfinal sowieso herrschen nochmals spezielle Voraussetzungen. Es werden zwei Mannschaften auf Augenhöhe aufeinandertreffen."