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Laufsport

Reusslauf für einmal an der Aare

Weil viele Laufveranstaltungen abgesagt werden mussten, werben nun einige Organisatoren für die viRace-App. Das BT hat sie getestet.

Massenstarts wie solche gibt es wohl länger nicht mehr. Archivbild: Peter Samuel Jaggi/Bieler Tagblatt

Michael Lehmann

Eigentlich hätte ich in ein paar Tagen gerne den Grand Prix von Bern bestritten. Doch wie viele andere Veranstaltungen ist er abgesagt worden. Daher bin ich sofort gespannt, als ich am letzten Freitag eine Mail mit dem Betreff «Wir bringen den GP zu dir nach Hause» erhalte. Darin wird für die von der Laufplattform runningCoach lancierte App «viRace» geworben. Simon Weiler, Marketingverantwortlicher bei Swiss Athletics, erklärt: «Viele Läuferinnen und Läufer brauchen ein Ziel, auf das sie hintrainieren können. Die App bietet eine Alternative zu den abgesagten Läufen, da sie ihnen ein Wettkampf-Gefühl vermittelt.» Das Konzept: Startzeit und Renndistanz der Veranstaltung bleiben die gleichen, die Streckenführung wird den Läufern überlassen.

Ich lade mir die kostenlose App her­unter und stosse auf den Reusslauf, der bereits tags darauf um 13.30 Uhr stattfindet. Ich melde mich für den 11-km-Lauf an und wähle meine «Favoriten» aus. Die App verspricht, mich stets über ihre Zwischenzeiten zu informieren. Da sich von meinen Kollegen niemand auf die spontane Anfrage einlässt, markiere ich vier mir unbekannte Personen und Viktor Röthlin. Der Langstreckenspezialist ist Mit-Initiator der App.

Gut 20 Stunden später stehe ich vor meiner Wohnung und mache Dehnübungen. Das Smartphone – mit eingeschaltetem GPS – habe ich am Oberarm befestigt. «Noch sieben Minuten bis zum Start. Das ist wohl deine letzte Möglichkeit, nochmals auszutreten», warnt mich die App. Grundsätzlich ist es nicht anders, als wenn ich sonst eine Runde joggen gehen würde. Und doch haben das Warten auf den Start und die Durchsagen über die Kopfhörer den Puls höher steigen lassen.

Ich wähle eine Strecke, die ich schon einige Male absolviert habe. Hätte ich einen Platz vorne im Klassement angestrebt, wäre dieser Entscheid ein Fehler gewesen. Denn es ist eine Strecke mit einigen Höhenmetern. Je nachdem, wo meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter laufen, habe ich also einen Nachteil. Das zeigt sich prompt: Nach zwei Kilometern meldet mir die Stimme im Ohr, ich läge sechs Sekunden vor Viktor Röthlin. Was für eine Motivationsspritze. Doch dann geht es für mich eine Weile aufwärts und schon bald liege ich fast zwei Minuten hinter Röthlin zurück. Die Zwischenzeiten spornen definitiv an. Noch lustiger wäre es aber, wenn ich die ausgewählten «Favoriten» persönlich kennen würde.

Mittlerweile laufe ich der Aare entlang und das Wettkampf-Gefühl hat sich etwas verflüchtigt. Mir fehlen die Mitstreiter, die mich mitziehen und die motivierenden Hopp-Rufe der Zuschauer. Und letztlich ist es eben doch bloss die bekannte Trainingsrunde. Ich denke darüber nach, dass für viele die Versuchung gross sein könnte, sich am Renntag auf die Originalstrecke zu begeben. Dies sei zu unterlassen, ist in der App geschrieben. Kontrollieren lässt es sich aber nicht. «Wir setzen ganz auf die Eigenverantwortung der Teilnehmenden. Es ist wichtig, dass sie sich an die derzeit geltenden Verhaltensvorgaben halten», erklärt Simon Weiler.

Als ich die 11 Kilometer hinter mir habe, zeigt meine Lauf-Uhr einen Bestwert bei der durchschnittlichen Kilometerzeit an. Das kann mehrere Gründe haben, die App und das durch die Durchsagen vermittelte Wettkampf-Gefühl hatten aber sicher einen positiven Einfluss. Trotzdem denke ich nicht, dass ich am Samstag den virtuellen GP mit der App bestreiten werde. Weil der angebliche Wettkampf durch die verschiedenen Strecken verfälscht wird, und weil das virtuelle Wettkampf-Gefühl nicht an das reale herankommt.

Stichwörter: Laufsport, App, viRace