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Senti nimmt den nächsten Zehner ins Visier

Anja Senti steht vor ihrer ersten Teilnahme an Europameisterschaften. Die ehrgeizige Sportschützin aus Bellmund will in Kroatien hauptsächlich internationale Erfahrung sammeln – und träumt insgeheim von einer EM-Medaille.

Voll fokussiert: Schweizer Meisterin Anja Senti will auch bei ihrem EM-Debüt Treffsicherheit beweisen./Copyright: Tanja Lander/Bieler Tagblatt

Francisco Rodríguez

Der Schweizer-Meister-Titel im vergangenen Spätsommer sollte Anja Senti die Türen an ihre ersten Europameisterschaften öffnen. Doch zunächst ging es für die Sportschützin in den obligaten Lockdown. Im Nachhinein gesehen hätte dieser auch etwas Gutes gehabt, weil sich die Bellmunderin einem längst fälligen chirurgischen Eingriff am Knie unterziehen lassen konnte. «Ich hatte Glück, denn eine Woche später waren in der Schweiz sämtliche nicht dringende Operationstermine wegen Corona ausgesetzt worden», sagt Senti.

Den Kreuzbandriss hatte sie sich im Schulsport eingefangen, worauf auch der Meniskus in Mitleidenschaft gezogen wurde. Beim Joggen kam es vor, dass das instabile Knie wegknickte, was Senti an ihre Pendenzen erinnerte. Nach der Operation konnte sie sich die nötige Zeit für die Rehabilitation nehmen. Verpassen würde die 24-jährige Leistungssportlerin onehin nichts, denn Wettkämpfe waren noch verboten und auch das Kadertraining pausierte. Zuhause ging sie fokussiert das Aufbautraining an. Senti investierte in ein Scatt-Trainingsgerät, mit dem mittels eines Sensors auf dem Gewehr elektronisch und ohne Projektil Zielübungen gemacht werden können.

Arbeit mit Mentaltrainerin

Daneben arbeitete sie an ihrer Kraft und Ausdauer sowie auch im mentalen Bereich. Die Mentaltrainerin Stéphanie Müller unterstützte sie dabei. «Die technischen Basics sind schnell einmal erlernt. Um aber Erfolg zu haben, muss es auch im Kopf stimmen», sagt Senti. Körper, Geist und Technik müssten im Einklang sein. Atemübungen helfen dabei, sich zu beruhigen und im Wettkampf den Puls zu senken. Es gilt, entspannt zu bleiben und den Schiessablauf perfekt zu kontrollieren, um im richtigen Moment abzudrücken.

Als Kind begleitete Senti ihren Vater und Götti zum Schiessstand in Merzligen. Zunächst widerwillig. «Eigentlich wollte ich Skirennfahrerin werden», sagt Senti mit einem Lächeln. Als sie dann aber mit zehn Jahren zum ersten Mal selber schiessen durfte, fand das Mädchen Gefallen daran. Im Frühling besuchte Senti jeweils den Jungschützenkurs. Zwei bis drei Mal pro Woche trainierte sie in verschiedenen Vereinen und bestritt am Wochenende Wettkämpfe. Mit jedem Schuss verbesserten sich ihre Leistungen, was sie noch zusätzlich motivierte, mehr zu machen. «Man wird gierig nach Zehnern», sagt Senti. «Ich will immer präziser schiessen und näher ins Zentrum treffen.»

Heute investiert das Kadermitglied in ihren Sport wöchentlich rund 15 Stunden, davon gegen zwölf mit Schiesstraining. Die Fitness – beim stehend Schiessen benötigt man eine starke Rückenmuskulatur – und das Material nehmen weitere Zeit in Anspruch. Da Senti ihr Architekturstudium in Burgdorf innnerhalb von fünf statt der üblichen drei Jahre bestreitet, kann sie Schiesssport und Ausbildung gut miteinander koordinieren. In welche Richtung es nach Abschluss ihrer Ausbildung gehen soll, weiss Senti noch nicht. Ihr schwebt eine Teilzeitstelle vor, damit sie daneben als Halbprofi weiterschiessen kann. Der Verband hat sie zudem für die Spitzensportler-RS vorgeschlagen.

Sentis Trainer sind Beat Grossen, der sie 2015 entdeckt und gefördert hat, sowie Jan Lochbihler. Der mehrfache Europameister, WM-Medaillengewinner und Olympiateilnehmer 2016 in Rio ist seit 2018 Headtrainer des Regionalen Leistungszentrums Nordwestschweiz. «Anja hat vor allem in der Persönlichkeitsentwicklung Fortschritte gemacht», so Lochbihler. «Auf den Schiesssport bezogen bringt sie viel Verständnis im technischen Bereich mit. Hatte sie grob gesagt früher einfach geschossen, achtet sie heute sehr auf die Details wie Stellungsaufbau, Wettkampfablauf und Taktik. Auch vom Material her hat sie viel gelernt.» Jetzt gehe es noch darum, die Grundlagen optimal umzusetzen.

Auf Rangziel wird verzichtet

Ihre Fortschritte haben Senti die erste Selektion für Europameisterschaften eingebracht. Die Bellmunderin reist am 30. Mai mit dem Schweizer Team nach Osijek in Kroatien, wo sie wichtige internationale Erfahrung sammeln kann. «Wir verzichten für ihre erste EM-Teilnahme bewusst auf ein Rangziel», sagt Lochbihler. «Für mich ist es schon nur ein grosser Erfolg, dabei zu sein», sagt Senti und will primär ihre Bestleistung abrufen. Dabei träumt sie aber insgeheim von einer Medaille.

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Anja Senti

Geboren am 28. September 1996, wohnhaft in Bellmund
Architekturstudium Berner Fachhochschule Burgdorf
Schützenvereine: FS Merzligen/300 m, Sportschützen Biel-Aegerten/50 m, ASG Aegerten/10 m
Grösste Erfolge: 2020 in Thun Schweizer Meisterin 300 m Liegend, Selektion EM 2021 Osijek
Kaderstatus: Schweizer Schiesssportverband Nachwuchsförderung Einstufung T3-Ü, Berner Kantonalkader BSSV
Trainer: Jan Lochbihler, Beat Grossen fri