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Mountainbike

Sie will die Komfortzone verlassen

Camille Balanche ist letzten Oktober Downhill-Weltmeisterin geworden. Emilie Siegenthaler führte sie in den Spitzensport. Dieses Wochenende stehen beide in Leogang im Weltcup im Einsatz.

Camille Balanche will ab diesem Wochenende im Weltcup ihre starken Leistungen des letzten Jahres bestätigen. Bild: Keystone

Christian Kobi/pl

Es war ein kalter, nasser Tag im Spätherbst. Ein Tag, an dem man am liebsten im Bett bleibt. Doch Camille Balanche steht auf. Es fällt ihr schwer, aber dieser 11. Oktober 2020 sollte ihr Leben verändern. «Sie wirkte nicht begeistert, im Regen und in der Kälte an den Start zu gehen», erinnert sich Emilie Siegenthaler, ihre Lebenspartnerin, Freundin und Vertraute. Wegen einer Knieverletzung musste Siegen-
thaler die Downhill-Schlammschlacht von Leogang in der Zielzone verfolgen.

Der Track war glitschig, doch Balanche zeigte artistische Qualitäten und legte eine meisterliche Abfahrt hin. Nie entglitt ihr die Kontrolle auf dem Parcours. An diesem Sonntag eroberte die junge Frau aus Le Locle den Olymp der Downhillerinnen: Sie war Weltmeisterin. «Na ja, es war vor allem ein bitteres Ausscheidungsrennen», erinnert sich Balanche: «Die Konkurrentinnen vor mir stürzten eine nach der anderen. Ich wollte das Risiko kontrollieren, um das Ziel zu erreichen.»

Stolz, aber nicht überrascht

Diese Haltung führte sie zum Sieg: «Wenn ich das Video der Abfahrt heute betrachte, bekomme ich Gänsehaut», so Balanche. Leogang 2020 hat sich für immer in die Erinnerung der Athletin eingebrannt, und auch in jene von Siegenthaler, die ihre Partnerin drei Jahre zuvor in dem Mountainbike-Sport eingeführt hatte: «Ich war unendlich stolz, als Camille die WM gewann, obwohl ich überzeugt war, dass sie dazu fähig war.» Siegenthaler blieb das Trikot mit dem Regenbogen versagt. Dennoch meint die Bielerin: «Ob Camille oder ich die begehrten Farben trägt, ist für mich unbedeutend. Wenn man gemeinsam ein Ziel verfolgt, vergisst man, wem die Ehre gebührt.»

Jedenfalls erfuhr die Trägerin des WM-Trikots Aufmerksamkeit. Seit dem Sieg in Leogang ging es für Balanche Schlag auf Schlag: zwei Weltcup-Abfahrten am folgenden Wochenende in Maribor und eine im portugiesischen Lousã. «Alles ging sehr schnell. Ich fühlte mich geradezu belästigt von den Medienanfragen. Am Ende der Saison war ich ausgebrannt und hatte keine Energie mehr», gesteht die Athletin heute.

Fehlende Vergleiche

Die Neuenburger Weltmeisterin ist froh, dass sich die Wogen gelegt haben. Die Nummer drei der Weltrangliste geniesst den Respekt der Konkurrenz. Trotzdem steht sie im Schatten von Mountainbike-Stars wie Myriam Nicole, die in jedem Rennen gefährlich ist. «Im WM-Zirkus lässt man mich einigermassen in Ruhe, und das passt mir gut», so die Bikerin des Teams Dorval AM. Ihr Leben habe sich trotz der internationalen Anerkennung nicht wesentlich geändert, sagt sie. Gerne zieht sie ihre Inline-Skates an und spielt mit den Bieler Mistonnes Hockey.

An diesem Wochenende in Österreich lastet die pandemiebedingte Auszeit schwer auf den Schultern der Weltmeisterin: «Letztes Jahr hatte ich vor Leogang schon sieben Abfahrten in den Beinen. Aber bis heute wurden alle Wettbewerbe abgesagt.» Aus Erfahrung sagt Balanche: «Ich will das Renngefühl wiederfinden und nicht allzu weit hinter der Führenden landen.» Ihr Saisonziel ist ein Sieg an einer Weltcup-Abfahrt. Die 31-Jährige weiss: «Ich muss die Komfortzone verlassen und mehr Risiken in Kauf nehmen.» Eines ist sicher: Ob Regen oder Sonne, Balanche dürfte wohl noch viele Erfolge feiern.

 

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Emilie Siegenthaler bestreitet ihre 14. Weltcup-Saison

Die Seeländerin Emilie Siegen-
thaler blickt auf ein schlimmes Jahr 2020 zurück: eine Knieverletzung im Januar und eine weitere im Oktober, kurz vor dem Saisonauftakt in Leogang. Seit September 2019 hat Siegenthaler keinen Wettkampf mehr bestritten. Damit verliert sie ihre UCI-Punkte und stürzt vom 6. auf dem 157. Rang der Bestenliste ab.

«Das neue Reglement trägt den verletzten Athleten Rechnung, aber ich muss wieder von ganz hinten anfangen», erklärt die 34-jährige Bielerin. Ihre insgesamt 14. Teilnahme am Weltcup gestaltet sich zur beschwerlichen Aufholjagd: «Ich darf nicht mehr mit der Elite trainieren und verliere die Qualifikationsvorteile der Top Ten». Siegenthaler wird mit hohen Startnummern ins Rennen gehen. Zum Glück ist sie immer noch Mitglied eines UCI-Teams: «Sonst wäre ich nicht mehr zum Start zugelassen.»

Die vielfache Schweizer Meisterin und regelmässige Top-5-Fahrerin im Weltcup gibt nicht auf. Sie hat schon viele Rückschläge in ihrer Karriere gemeistert. Am Wochenende will sie in Leogang unter die ersten 10 fahren: «Damit würde ich mir Vorteile bei den nächsten Weltmeisterschafts-Prüfungen sichern (3. und 4. Juli in Gets, Anm. d. Red.).»

Die Downhillerin vom Team Pivot Cyles nimmt den Track mit zwei orthopädischen Kniestützen in Angriff. «Die Apparate schützen mich vor allem bei Stürzen. Dank Physiotherapie und Training bin ich heute in Topform und freue mich auf die Saison», sagt Siegenthaler. Das letzte Wort in ihrer beachtlichen Karriere als Mountainbikerin hat Siegenthaler noch lange nicht gesprochen. ck/pl

Stichwörter: Mountainbike, Weltcup, Sport